Böser Brief und geheimes Treffen mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin
Kanton Zug setzte Bund unter Druck wegen Oligarchen-Jagd

Der Regierungsrat des Tiefsteuerkantons kritisierte Bern scharf für die Umsetzung der Russland-Sanktionen. Nach einem diskreten Meeting sind die Zuger nun aber plötzlich rundum zufrieden.
Publiziert: 27.11.2022 um 10:42 Uhr
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Aktualisiert: 27.11.2022 um 18:14 Uhr
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Auszug aus dem Regierungsratsprotokoll vom 23. August 2022: Die Zuger Regierung wollte die Zuger Parlamentarier in Bern im Dunkeln lassen betreffend der Kritik an den Russland-Sanktionen.
Foto: Zvg
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Die Szene im Fernsehen machte Heinz Tännler (62) unfreiwillig berühmt: «Ich muss nicht recherchieren und wie ein Detektiv nachforschen», so der Zuger Finanzdirektor Ende März in einer SRF-«Reporter»-Sendung.

Die Rede war von russischen Vermögen, die aufgrund internationaler Sanktionen eingefroren werden sollten. Kurz zuvor hatte der Bundesrat beschlossen, sich den Massnahmen anzuschliessen – und in Zug wurden besonders viele Russen-Gelder vermutet, da der Kanton mit seiner Tiefsteuerpolitik jahrzehntelang Superreiche und Rohstoffkonzerne angelockt hatte.

Tännler war in Zusammenhang mit den Russland-Sanktionen nicht nur passiv. Wie der «Tages-Anzeiger» diese Woche publik machte, half er dem Zuger Düngerkonzern Eurochem, der vom russischen Oligarchen Andrei Melnitschenko (50) gegründet worden war, sogar bei der Suche nach einer Bank, die noch bereit ist, Zahlungen für das Unternehmen auszuführen.

Recherchen von SonntagsBlick zeigen nun: Finanzdirektor Tännler war nicht der Einzige in der Zuger Regierung, der sich um das Wohl russischer Firmen und Geschäftsleute sorgte. In den Tagen nach Kriegsbeginn waren die Russland-Sanktionen im Regierungsrat Dauerthema. Das offenbaren Regierungsratsprotokolle, die SonntagsBlick, gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung, erhalten hat.

Keine «Causa Zug»

So fasste der Regierungsrat den Entschluss, man wolle «proaktiver kommunizieren» und «das Feld nicht anderen überlassen», damit keine «Causa Zug» entstehe: «Der Kanton soll sich nicht einfach vom Bund treiben lassen, vor allem, was die vom Bund verhängten, einschneidenden Sanktionen betrifft», heisst es im Sitzungsprotokoll vom 1. März.

In den Wochen und Monaten danach wurden der Krieg und seine Folgen für den Kanton Zug immer wieder diskutiert. Zur Sprache kamen unter anderem Bankkonten, die gesperrt worden waren oder Ansiedlungsanfragen von russischen Staatsangehörigen.

Der anfängliche Ärger über den Bund wurde dabei nicht geringer. Am 23. August sprach sich der Regierungsrat schliesslich für «ein engagiertes Vorgehen gegenüber dem Bund» aus – auf Antrag von Finanzdirektor Tännler.

Eine Woche später wurde ein geharnischter Brief verschickt. Empfänger: Bundespräsident Ignazio Cassis (61) und Wirtschaftsminister Guy Parmelin (63).

Das Schreiben, das SonntagsBlick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz einfordern konnte, hat es in sich. Zwar betont der Regierungsrat einleitend, der Kanton Zug unterstütze die Übernahme der Sanktionspakete «ausdrücklich und vollumfänglich». Dann aber folgt geballte Kritik an der Umsetzung. Die zentralen Punkte:

  • In der Schweiz wisse niemand, weshalb eine Person auf der Sanktionsliste geführt werde und was die zugrunde liegenden Quellen für diesen Entscheid gewesen seien.
  • Der Prozess, wann eine sanktionierte Person oder Unternehmung auf die Liste komme beziehungsweise wieder gestrichen werde, sei «nicht transparent, wenn überhaupt vorhanden».
  • Das Seco sei «personell unterdotiert» und auf telefonische Nachfrage häufig nicht erreichbar.

Wenig Konkretes vom Bundesrat

Aus diesen Gründen rufe der Zuger Regierungsrat den Bundesrat auf, sich für eine «schnelle und deutliche Verbesserung der Abläufe» bei der Umsetzung des Embargogesetzes einzusetzen: «Nur so kann eine Sanktionspolitik betrieben werden, die unserem Rechtsstaat würdig ist.» Zudem forderten die Zentralschweizer eine mündliche Aussprache, damit auch «Einzelfallbeispiele aus der Praxis» erörtert werden könnten.

Das Antwortschreiben aus Bern kam vom Seco – und steckt voller Phrasen. Die designierte Direktorin Helene Budliger Artieda (57) betonte darin, dass ihr «Fragen betreffend wirtschaftlicher Auswirkungen von Sanktionen» sehr am Herzen lägen. Zugleich unterstrich sie, dass die Rechtsstaatlichkeit bei der Umsetzung der Sanktionen «vollumfänglich gewährleistet» sei. Konkrete Probleme gestand die Seco-Direktorin einzig im Hinblick auf die lange Bearbeitungsdauer von Gesuchen ein: «Entsprechende Massnahmen, sowohl in personeller als auch in organisatorischer Hinsicht, wurden bereits eingeleitet.»

Am 27. September folgte ein Treffen auf höchster Ebene: mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Von Zuger Seite waren Landammann Martin Pfister (59), Volkswirtschaftsdirektorin Silvia Thalmann-Gut (61) anwesend – und natürlich Finanzdirektor Tännler.

Was bei dem Meeting besprochen wurde, wollen die Beteiligten nicht verraten. «Zum Inhalt des Treffens können wir uns nicht äussern», schreibt das Seco.

Auch der Kanton Zug schweigt zu den Details, wertet die Begegnung aber positiv: «Die meisten offenen Punkte konnten geklärt werden. Die Sache ist für den Kanton Zug damit erledigt», teilt der Regierungsrat mit.

Neue Zuversicht

Auf Nachfrage von SonntagsBlick erklärt Finanzdirektor Tännler diesen plötzlichen Sinneswandel so: «Seit wir den Brief verfasst haben, ist beim Seco einiges gegangen. Das Personal wurde aufgestockt, und dadurch haben sich auch die Prozesse beschleunigt.» Die Situation sei nicht mehr die gleiche wie Ende August.

Doch was ist mit dem Kritikpunkt, in der Schweiz wisse niemand, weshalb eine Person auf der Sanktionsliste lande? Und dass der Prozess, in dem eine sanktionierte Person oder Firma auf die Liste gerate beziehungsweise wieder gestrichen werde, «nicht transparent, wenn überhaupt vorhanden» sei? Auf diese Hinweise auf rechtsstaatlich problematische Abläufe mag Tännler nicht mehr eingehen.

Ohnehin scheinen die Zuger mittlerweile auffallend darauf bedacht, den Ball flach zu halten. Man will nicht erneut in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.

Das war bereits Ende August oberstes Credo, als der böse Brief an den Bundesrat aufgesetzt wurde: So ist im entsprechenden Regierungsratsprotokoll explizit festgehalten, dass die Zuger Mitglieder der Bundesversammlung keine Kopie des Schreibens erhalten sollen.

Der Grund: das erhebliche Eskalationspotenzial.

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