Kein Handy, keine Auto-Versicherung, kein Geld
Dieser Genfer steht auf der Sanktionsliste

Das Russland-Embargo trifft auch Alexander Pumpyansky. Die Schweiz verunmögliche seiner Familie trotz rotem Pass hier zu leben, klagt er. Doch Bundesbern gibt sich knallhart.
Publiziert: 31.07.2022 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 31.07.2022 um 11:00 Uhr
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«Ich bin kein Oligarch»: Doppelbürger Alexander Pumpyansky.
Foto: Bloomberg via Getty Images
Reza Rafi

Die Swisscom hat ihm das Handy-Abo gekündigt. Das geleaste Auto, ein BMW X7-Serie, muss er zurückgeben. Die Autoversicherung läuft Ende Jahr aus. Die Hypothek kann nicht mehr bedient werden. Bargeld bleibt ihm und seiner Familie nicht mehr viel.

Alexander Pumpyansky (35), schweizerisch-russischer Doppelbürger aus Genf, steht auf der Liste der Russland-Sanktionen und erfährt gerade bitter, was das im hiesigen Alltag bedeutet. Seit vier Monaten, kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, ist der dreifache Familienvater im Visier.

Die Europäische Union versucht mit ihrem Embargo, das wirtschaftliche Umfeld von Kriegsherr Wladimir Putin (69) trockenzulegen. Dazu gehört aus Brüsseler Sicht auch Pumpyanskys Vater, Dmitry Pumpyansky (58), ein milliardenschwerer russischer Stahlunternehmer, der bis im März die Firma OAO TMK kontrollierte, einen wichtigen Zulieferer der russischen Öl- und Gasindustrie, aber auch westlicher Konzerne. Auch Sohn Alexander muss dran glauben. «Ich bin aber kein Oligarch», sagt dieser. Er habe sich seine Existenz selber aufgebaut.

In der Schweiz kann er Güter des täglichen Lebens – Nahrungsmittel, Kleider, Hygieneartikel – nicht mehr besorgen. Jetzt weilt er mit seiner Frau und den Kindern in der Türkei, wo sie Freunde haben und sie vor den Sanktionen verschont sind. Die drei Kinder sind in der Schweiz geboren und aufgewachsen, sie besuchen dort die Schule und haben dort ihre Freunde. Ob sie diese nach den Sommerferien wiedersehen, steht in den Sternen.

Pumpyansky verurteilt den Krieg

Ist Alexander Pumpyansky ein Opfer? Muss man mit ihm Mitleid haben? Gut situierte russischstämmige Businessleute jedenfalls stehen angesichts des Grauens, das Putins Armee in der Ukraine anrichtet, im Wettbewerb um öffentliche Solidarität nicht zuvorderst.

Doch geht es dem Unglücklichen, der fliessend Russisch, Französisch und Englisch spricht, nicht um Politik, wie er sagt. Er verurteilt den Krieg und findet schrecklich, was er von dort mitbekommt. Pumpyansky vermisst die Verhältnismässigkeit der Schweizer Behörden.

Es gehe ihm nicht um den Erwerb von Luxusgütern oder ökonomische Privilegien, sondern darum, dass ihm die Grundbedürfnisse verwehrt werden, dass er den Unterhalt nicht mehr decken kann, Telefonrechnungen, Nahrungsmittel, Elektrizität oder die Zahnarztrechnung.

Er hat seit 2016 den Roten Pass und verbrachte den grössten Teil seines Lebens hier. Dabei betont er, dass die Schweiz nicht seine zweite, sondern seine erste Heimat ist: «Die erste Muttersprache meiner Kinder ist Französisch.»

Das Seco antwortet nach vier Monaten

Seit vier Monaten versucht er schriftlich und telefonisch, mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft Seco in Kontakt zu treten, das die Umsetzung der Massnahmen verantwortet. Ausser einer Eingangsbestätigung kam aus Bern nichts – bis vor einigen Tagen. Nach über vier Monaten hat sich das Seco gemeldet und bittet um Übermittlung eines Budgets. Man werde dies prüfen. Wieso das Amt zuvor nicht reagierte, ist nicht klar. Klar ist nur, dass es für ihn hier prekär wird. «Die Schweiz entzieht ihren eigenen Bürgern die Möglichkeit, in ihrem eigenen Land zu leben», sagt Alexander Pumpyansky. Das widerspreche der Verfassung.

Er kann nicht verstehen, weshalb der Bund die Vorgaben und die Namen eins zu eins übernimmt, ohne die Listen selbständig anzupassen. So gibt es, trotz des rigorosen Regimes, in Bern keine Akte über ihn.

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Kurz nach Kriegsausbruch am 24. Februar geriet der Bundesrat mit seinem Zögern international in die Kritik. Einige Tage später zog die Regierung aber nach und kündigte am 28. Februar die Übernahme der EU-Sanktionen an. Hat man nun Angst davor, erneut als Oligarchenparadies ausgebuht zu werden?

Auf Anfrage heisst es beim Seco, dass man Einzelfälle nicht öffentlich kommentieren könne. Sanktionierte Personen, Unternehmen und Organisationen würden aber «selbstverständlich» über die Möglichkeit verfügen, ihre Rechte geltend zu machen. «Sie können beim zuständigen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) ein sogenanntes De-Listing-Gesuch einreichen und damit die Streichung von der Sanktionsliste beantragen.» Ein allfälliges De-Listing müsste durch den Gesamtbundesrat entschieden werden. Die Rechtsstaatlichkeit sei dadurch gewahrt.

Man erhalte von Betroffenen «eine sehr grosse Zahl von Anfragen». Bei vielen handle es sich «um komplexe Einzelfälle, die eingehend analysiert werden müssen, was Zeit beansprucht». Diese würden so schnell wie möglich und mit einem personell verstärkten Team beantwortet. «In Ausnahmefällen» könne das Amt zur Vermeidung von Härtefällen «Zahlungen aus gesperrten Konten, Übertragungen gesperrter Vermögenswerte sowie die Freigabe gesperrter wirtschaftlicher Ressourcen» bewilligen.

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