Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der Westen mehr als 1000 Personen sanktioniert. Ihnen wird zur Last gelegt, zu Wladimir Putins (70) Machtzirkel zu gehören.
Doch einige seiner mächtigen Anhänger blieben von Einschränkungen verschont. So auch Wladimir Potanin (61), mit rund 26 Milliarden Dollar Vermögen einer der reichsten Russen überhaupt. Der langjährige Putin-Freund, der sich etwa als Investor für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi hervortat, wurde weder von den USA noch der EU behelligt – somit auch nicht von der Schweiz, welche die europäischen Sanktionen übernommen hat.
Potanin profitiert vom Ukraine-Krieg
Einzig Australien und Kanada setzten Potanin von Anfang an auf die Sanktionsliste. Im Sommer zog Grossbritannien nach und begründete den Schritt so: «Potanin erweitert seinen Reichtum, während er Putins Regime unterstützt.»
Tatsächlich profitierte Potanin vom Ukraine-Krieg wie kaum ein anderer: Im Mai kaufte er der französischen Bank Société Générale, die Russland wegen des Kriegs verlassen wollte, das Finanzinstitut Rosbank ab. Fast gleichzeitig erstand er die Digitalbank Tinkoff zum Schnäppchenpreis. Firmengründer Oleg Tinkow (54) war zum Verkauf gezwungen, weil er es gewagt hatte, Putins Ukraine-Feldzug zu kritisieren.
Eine offizielle Erklärung, wieso die USA, die EU und die Schweiz Potanin verschonen, gibt es nicht. Eine EU-Beamtin teilt mit, das «ausführliche Verfahren», das über eine Aufnahme in die Sanktionsliste entscheide, sei «nicht öffentlich». Auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) will sich zu einzelnen Fällen oder den Diskussionen in der EU nicht äussern. Das US-Finanzministerium liess eine Anfrage unbeantwortet.
Es geht um wirtschaftliche Interessen
Trotz dieser Intransparenz liegen die Gründe für Potanins Spezialbehandlung auf der Hand: Es geht um wirtschaftliche Interessen. Potanin kontrolliert den russischen Bergbaukonzern Norilsk Nickel, einer der weltgrössten Produzenten wichtiger Platinmetalle wie Nickel und Palladium. Diese sind für westliche Industriefirmen unabdingbar, kaum ein technologisches Produkt kommt ohne sie aus.
«Die Vermutung liegt nahe, dass Potanin verschont wird, weil der Westen seine Versorgung mit Platinmetallen nicht gefährden will», sagt Oliver Classen, Sprecher der Nichtregierungsorganisation Public Eye. Und weiter: «Würde man alle Oligarchen nach denselben Kriterien bewerten, müsste Potanin auf der Sanktionsliste ganz weit oben stehen.»
Für Hans-Peter Portmann (59, ZH), FDP-Nationalrat und Vizepräsident der Aussenpolitischen Kommission, beweist der Fall Potanin, dass die Sanktionsliste der EU teils willkürlich zustande kommt. «Die Schweiz sollte die Liste deshalb nicht ungeprüft übernehmen, sondern besser einzelne Produkte und Rohstoffe aus Russland boykottieren.»
Potanin als Präzedenzfall
Dass solche Massnahmen der Schweiz durchaus etwas bewirken könnten, beweist der Fall Potanin ebenfalls: Die Rohstoffe, die Norilsk Nickel abbaut, werden nämlich über die Tochtergesellschaft Metal Trade Overseas SA nach Europa, Asien und Amerika verkauft – ein Unternehmen mit Sitz im Kanton Zug.
Dass Potanin verschont bleibt, könnte sich auch für Oligarchen als Segen erweisen, die sanktioniert wurden. Manche von ihnen versuchen, juristisch gegen die Sanktionen vorzugehen. Ihr Hauptargument: Die Sanktionen seien willkürlich und illegitim. «Das Beispiel Potanin ist für diese Argumentation natürlich Gold wert», so Classen.
Wertvolle Munition liefert den Oligarchen-Anwälten die EU-Sanktionsliste selbst. Auf dieser wird die Sanktionierung von Andrei Melnitschenko (50), dem reichsten Russen neben Potanin, mit dem 24. Februar begründet, als Putin drei Dutzend Oligarchen in den Kreml beorderte: «Die Tatsache, dass er (Melnitschenko) zu diesem Treffen eingeladen wurde, zeigt, dass er ein Mitglied des engsten Kreises von Wladimir Putin ist.»
Das Problem: Wladimir Potanin war an besagtem Treffen ebenfalls dabei.
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