SonntagsBlick trifft Bidens neuen Mann in Bern
«Am Ende macht die Schweiz immer das Richtige»

Seit Januar vertritt Scott Miller die USA in der Schweiz. Er spricht mit uns über den Neustart in Bern, ein geplantes Pharma-Abkommen, den Ukraine-Gipfel in Lugano – und warum er sich auf den 1. Juli freut.
Publiziert: 26.06.2022 um 13:53 Uhr
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Scott Miller nach dem Gespräch mit SonntagsBlick in der Berner Botschaft – im Hintergrund ein Teil der Flaggen aller US-Bundesstaaten.
Foto: Nathalie Taiana
Interview: Fabienne Kinzelmann

Wer Bidens Botschafter in Bern besuchen will, muss sich erst durchleuchten lassen. In der US-Botschaft gibt es eine Sicherheitskontrolle wie am Flughafen, Laptops sind gar nicht erlaubt, und selbst die Blick-Fotografin darf ihre Ausrüstung erst nach einer Voranmeldung mit reinnehmen. «Am liebsten treffe ich Journalisten eh da, wo ich gerade unterwegs bin», entschuldigt sich Scott Miller (43) für die Umstände. Und unterwegs ist der Neu-Diplomat, der sich als extrovertiert bezeichnet, viel. «Ich sehe Diplomatie wie einen Kontaktsport.»

Herr Miller, als Joe Biden Sie anrief und fragte, ob Sie sein US-Botschafter in der Schweiz werden möchten: Haben Sie da auch nur einen Moment gezögert?
Scott Miller: Ich wollte zumindest meinen Mann Tim noch fragen, weil so ein Umzug natürlich Familiensache ist. Aber er sagte direkt: «Du hast ja hoffentlich zugesagt!» Damit war es beschlossen.

Verbindet Sie beide noch etwas mit der Schweiz – ausser Ihrer Managementkarriere bei der UBS in Denver?
Klar, wir waren beide schon oft hier. Mein Mann hat eine Softwarefirma gegründet, die bekannt ist für das Grafikprogramm QuarkXPress. Deren Europageschäfte wurden teilweise von der Schweiz aus getätigt. Und ich liebe es, wie ähnlich sich die USA und die Schweiz sind und wie viel sie historisch verbindet.

Scott Miller – zur Person

Nachdem ihn der US-Kongress nach monatelanger Blockade im vergangenen Dezember endlich als US-Botschafter für die Schweiz und Liechtenstein bestätigt hatte, sprang Scott Miller (43) «vor Freude auf seinen Kaffeetisch», erzählte er am Rande des Interviews. Gemeinsam mit seinem Mann Tim Gill (68), einer Ikone der Schwulenbewegung, zog der ehemalige UBS-Manager, LGBTQ+-Aktivist und Grossspender im Januar von Denver (Colorado) nach Bern. Traurig: Die beiden heiss geliebten Berner Sennenhunde verstarben vorher.

Nachdem ihn der US-Kongress nach monatelanger Blockade im vergangenen Dezember endlich als US-Botschafter für die Schweiz und Liechtenstein bestätigt hatte, sprang Scott Miller (43) «vor Freude auf seinen Kaffeetisch», erzählte er am Rande des Interviews. Gemeinsam mit seinem Mann Tim Gill (68), einer Ikone der Schwulenbewegung, zog der ehemalige UBS-Manager, LGBTQ+-Aktivist und Grossspender im Januar von Denver (Colorado) nach Bern. Traurig: Die beiden heiss geliebten Berner Sennenhunde verstarben vorher.

Haben Sie eigentlich erst mal ganz viele Dinge Ihres Vorgängers Ed McMullen – Trumps Mann in Bern – rückgängig gemacht, als Sie hier ankamen?
Als Botschafter repräsentiere ich die gegenwärtige Regierung – und die Werte und Ziele unterscheiden sich von Regierung zu Regierung. Unsere Länder haben eine starke Beziehung, und dafür möchte ich allen meinen Vorgängern Anerkennung zollen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand in irgendeiner Weise etwas getan hat, was dieser Beziehung geschadet hat. Und ich möchte sie natürlich noch mehr stärken.

Es heisst, die Schweiz habe keine Priorität bei der Biden-Regierung, und es gab keine nennenswerten Besuche wie von Ueli Maurer im Weissen Haus.
Das sehe ich anders. Wirtschaftlich sind wir eng verbunden, das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern umfasste im vergangenen Jahr 155 Milliarden. Auch die 300 Milliarden, die Schweizer Firmen in den USA investiert haben, und die halbe Million Arbeitsplätze, die sie in unserem Land schaffen, sprechen für eine starke Beziehung. Das ist mehr wert als die Frage, wer wann wen besucht. Besser messen wir die Qualität der Beziehung an politischen Zielen. Einer der allerersten Reisen, die Präsident Biden als Präsident unternahm, war in Genf, um mit Putin zu sprechen. Und seine Frau, Dr. Jill Biden, spricht ständig über ihren Besuch 2014 in Schweizer Lehrbetrieben. Selbst, als wir im Wahlkampf gemeinsam durch die Maisfelder von Iowa fuhren.

Aber das Freihandelsabkommen ist trotzdem tot.
Das denke ich nicht. Die Schweiz hat jedoch beschlossen, dass sie uns keinen Zugang zum Agrarmarkt geben kann. Bis wir dort weiterkommen, sprechen wir über spezifische sektorale Abkommen wie zum Beispiel in der Pharmaindustrie. Hier arbeiten wir an einem Abkommen, dass die FDA-Zulassung für Schweizer Pharmazeutika erleichtern würde.

Die wirtschaftliche Beziehungspflege fällt Ihnen als ehemaligem Unternehmer sicher leicht. Geht die Babymilch-Notlieferung aus der Schweiz auch auf Ihre Kappe?
Ja, darauf bin ich sehr stolz! An einem Mittwoch habe ich mich mit dem Nestlé-CEO getroffen, schon am Samstag begann die Lieferung für anderthalb Millionen Fläschchen der speziellen Nahrung für Kleinkinder mit Allergien und für Frühgeburten, die in den USA besonders knapp waren. Das war ein wirklich erfreulicher Moment und hat die Engpässe sofort gemildert, die wir in den USA hatten. Das Gute an der Zusammenarbeit mit Nestlé ist auch, dass sie schon über eine gute Logistik in den USA verfügen. So konnte das Produkt schnell bedürftige Familien erreichen. Für die nächsten Wochen hat uns Nestlé bereits weitere Tonnen Babynahrung zugesagt.

Also wird sich der Lieferengpass bei Säuglingsnahrung nicht schnell erledigen?
Die Fabrik in Michigan nimmt möglichst bald den Betrieb wieder auf, aber ein paar Monate haben wir wohl noch mit Knappheiten zu kämpfen. So was darf nie wieder passieren. Das muss furchtbar stressig gewesen sein für Eltern. Ich bin froh, dass ich von Bern aus helfen konnte.

Die Schweiz würde gern an der militärischen Kooperation mit den USA arbeiten. Wie könnte das aus Ihrer Sicht aussehen – und was hätten die USA davon?
Grundsätzlich können wir besonders bei der Beschaffung von Militärgütern helfen. Ansonsten gilt: Wir arbeiten gerne mit der Schweiz zusammen, wenn sie uns darum bittet, aber letztendlich liegt das ganz in der Hand der Schweizer Regierung und der Schweizer.

Seit dem 24. Februar hat sich der Blick auf Sicherheitsfragen europaweit drastisch verändert. Schweden und Finnland wollen in die Nato. Sollte die Schweiz das auch?
Das müssen die Schweizer entscheiden. Einer der Gründe für die Existenz der Nato ist, dass niemand unter Druck gesetzt wurde beizutreten. Es ist die Entscheidung eines jeden Landes, wie es seine Souveränität und seine territoriale Integrität schützen will und welche Bündnisse es eingeht.

Aber fänden Sie es klug, wenn die Schweiz der Nato beitritt?
Ich möchte keine Entscheidung beeinflussen, die von der Schweizer Bevölkerung und der Schweizer Regierung getroffen werden muss. Ich bin hier, um alle Gespräche zu erleichtern, die sie dafür gegebenenfalls brauchen. Unabhängig davon ist die Zusammenarbeit in Sachen Militär und Verteidigung von Europa sehr gut.

Trotzdem hat die Schweiz mehrere Gesuche von Ländern abgelehnt, ursprünglich hierzulande produzierte Munition für die Ukraine freizugeben.
Die Schweiz muss wegen ihrer neutralen Haltung natürlich sehr vorsichtig sein, wenn es um die Einhaltung ihrer Regeln und Gesetze geht. Und es ist am Ende an jedem Land zu entscheiden, welche Regeln für Waffenexporte gelten. Das ist bei den USA nicht anders. Wir sind aber stolz darauf, dass wir in der Lage waren, der Ukraine bei der Verteidigung ihrer territorialen Integrität und Souveränität zu helfen.

Anfang Juni liess sich die Schweiz doch trotz Neutralität auch in den Uno-Sicherheitsrat wählen.
Das ist etwas anderes. Der Sicherheitsrat würde ja etwa niemals über Exportkontrollen von Verteidigungsmaterial abstimmen. Ich freue mich, dass die Schweiz dabei ist. Sie ist bereit für diesen Moment und wird eine grossartige Ergänzung sein.

Wie sehen Sie die Schweizer Rolle im Sicherheitsrat?
Die Schweiz kann dort ihre Werte vertreten, zum Beispiel in humanitären Fragen. Und das tun, was sie am besten kann: nämlich schwierige Diskussionen einzuberufen und zu moderieren. Ihre Perspektive wird von unschätzbarem Wert sein – in Hinblick auf die Ukraine, aber auch in Anbetracht der anhaltenden humanitären Probleme, die es auf der ganzen Welt gibt.

In der Öffentlichkeit klingen die USA in den vergangenen Wochen in Sachen Ukraine überraschend zufrieden mit der Schweiz. Was aber etwa die Sanktionen angeht, sagte der bekannte Antikorruptionskämpfer Bill Browder kürzlich in einem Interview: «Eigentlich wunderten sich die USA, warum erst so wenig Gelder beschlagnahmt wurden.»
Ich unterstütze Browders Wunsch und seine Möglichkeiten, Druck zu machen. Persönlich finde ich allerdings, dass die Schweiz sehr schnell und umfassend Sanktionen eingeführt hat. Als ehemaliger Banker weiss ich, dass ein Sanktionspaket dieser Grösse und dieses Ausmasses lange braucht, um vollständig umgesetzt zu werden. Da wartet ja keine Hundertschaft mit einem Plan und Prozessen für die Umsetzung darauf, dass Sanktionen verabschiedet werden.

Also kann die Schweiz nichts besser machen?
Noch immer sind russische Vermögenswerte in Treuhandgesellschaften, Briefkastenfirmen und anderen Unternehmen versteckt. Ich hoffe, dass die Schweiz bald der internationalen Sanktionen-Taskforce Repo (Russian Elites, Proxies, and Oligarchs) beitritt. Dann können wir sie am Austausch von Erkenntnissen beteiligen. Das ist enorm wichtig, um die Strukturen dieser versteckten Gelder aufzudecken. Denn die gross angelegte Verschleierung begann bereits 2014, als die russische Duma ein Gesetz verabschiedete, das es Regierungsbeamten verbietet, ausländische Vermögenswerte zu besitzen.

Anfang Juli findet in Lugano die grosse Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine statt. Warum kommt Joe Biden nicht?
Wir erwarten eine US-Delegation unter der Leitung des stellvertretenden Vizeaussenministers Brian McKeon, der zuständig ist für Verwaltung und Ressourcen. Sowohl der Präsident als auch seine Vizepräsidentin haben zu diesem Zeitpunkt bereits andere Verpflichtungen.

Ist das wichtiger als die Ukraine?
Die Konferenz in Lugano ist wichtig, und sie kommt zur rechten Zeit. Hoffentlich können wir einen Weg für den Wiederaufbau der Ukraine finden und der Ukraine helfen, sich von einem Krieg zu erholen, der so schnell wie möglich beendet werden muss.

Wie soll denn der Wiederaufbau mitten im Krieg aussehen?
Der Marshall-Plan, der den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte, wurde zwei Jahre vor Kriegsende entwickelt. Das ist genau das, was wir auch hier zu tun hoffen: nämlich die Grundlage für einen Plan zu schaffen, der sicherstellt, dass die Ukraine gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich wiederaufgebaut wird. Es geht bei der Konferenz ausserdem um die laufenden humanitären Bedürfnisse der Ukraine. Und natürlich um die Lebensmittelsituation und die Fähigkeit der Ukraine, all das Getreide zu exportieren, das von Russland strategisch blockiert wird.

Ein paar Tage vorher steht in der Schweiz noch ein anderes besonderes Ereignis an: Ab dem 1. Juli dürfen homosexuelle Paare heiraten. Feiern Sie?
Tatsächlich, ja! Wir haben die Feierlichkeiten zum Independence Day in der Botschaft eh auf diesen Tag vorverlegt, und ich denke, ich werde in meiner Rede über die Ehe für alle sprechen.

Wären Sie denn mit Ihrem Mann hergezogen, wenn das Stimmvolk die Vorlage letztes Jahr abgelehnt hätte?
Ich mag keine hypothetischen Überlegungen. Als ich vor 20 Jahren mit meinem Mann zusammenkam, durfte ich ihn noch nicht heiraten. Jetzt bin ich einfach nur froh, dass meine Ehe auch hier die gleiche sein wird wie die von allen anderen Schweizern. Dieser Tag wird für viele homosexuelle Paare in der Schweiz wichtig sein. Es hat etwas ungeheuer Erfüllendes und Bedeutungsvolles, wenn die Regierung sich dazu bekennt, dass man Anspruch auf die gleichen Rechte und Leistungen hat wie alle anderen auch. Ich bin wirklich stolz auf die Schweiz. Es dauert manchmal vielleicht etwas länger – aber am Ende tut sie das Richtige.

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