Ob Tankfüllung, Pizza, Heizrechnung oder Ferienflug: Alles wird derzeit teurer. Schuld sind der Ukraine-Krieg und stockende Lieferketten. Bei den Lebensmitteln kommen die massiven Ernteausfälle in der Schweiz durch den verregneten Sommer 2021 hinzu.
Das macht sich im Portemonnaie bemerkbar. Etwa bei jenen, die in einem der 15 Restaurants der Pumpstation Gastro GmbH der Zürcher Gastronomen Michel Péclard (54) und Florian Weber (37) einkehren.
«Im Einkauf sind unsere Produkte im Durchschnitt um zehn Prozent teurer geworden», sagt Weber im Gespräch mit Blick. Dass einzelne Produkte aufschlagen, zum Beispiel Kalbfleisch in der Vorweihnachtszeit, ist normal. «Aber nun trifft es vom Gemüse bis zum Fleisch wirklich alles – sogar die Weinflaschen!» Letzteres hat ganz direkt mit dem Ukraine-Krieg zu tun: Dort ist eine Fabrik des Schweizer Glasflaschenherstellers Vetropack unter Beschuss geraten. Ein wichtiger Lieferant fällt damit aus.
Weber und Péclard haben die Preise im Fischer's Fritz, der Milchbar und ihren anderen Gastrobetrieben angehoben. Sie sind damit nicht allein. Blick berichtete etwa jüngst von einem Zürcher Pizza-Take-away, der satte zwei Franken pro Pizza aufschlägt! Der Preisanstieg geht aber weit über die Gastronomie hinaus. Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen (52) warnte jüngst vor einem Preisschub im Sommer, besonders beim Fleisch. Selbst bei Discounter Aldi wird aufgeschlagen, etwa bei Kaffee und Schokolade.
Aufs Jahr gesehen zahlt eine Familie rund 3300 Franken mehr, rechnete der Gewerkschaftsbund am Mittwoch vor.
Aufschlag um Franken statt Rappen
Der Konsumentenschutz erhebt nun einen happigen Vorwurf: «Wir haben die Befürchtung, dass einige skrupellos die Preise erhöhen, weil sie es leicht begründen können», sagt Sara Stalder (56), Geschäftsleiterin des Konsumentenschutzes. Sie meint damit nicht Migros, Aldi oder Péclard und Weber im Speziellen, sondern Händler und Dienstleister aus sämtlichen Branchen ganz im Allgemeinen.
«Die Preisgestaltung ist undurchsichtig. Da besteht die Gefahr, dass einige die Situation ausnutzen, um ihren Gewinn zu maximieren», so die Konsumentenschützerin. Auch aus der Gastrobranche selber gibt es Stimmen, die das bestätigen.
So wird aktuell viel über Weizen diskutiert, stammt ein Drittel des weltweiten Weizens doch aus Russland und der Ukraine. Die Furcht vor einer Knappheit lässt die Mehlpreise ansteigen. Aber: «Aus 25 Kilo Mehl macht man rund 200 Pizzen. Selbst wenn der 25-Kilo-Sack um fünf oder auch zehn Franken teurer wird, ergibt das pro Pizza nur eine Preissteigerung im einstelligen Rappenbereich», rechnet Patrick Bircher (52) vor. Er muss es wissen, ist er doch Geschäftsführer der Pizzakette Dieci.
Wenn ein Pizzaiolo pro Pizza hingegen um zwei Franken aufschlägt, kann er das zumindest nicht nur mit dem Mehlpreis begründen. Neben dem Mehl werden aber auch der Käse, die Tomaten und alle übrigen Zutaten teurer. Nicht weil sie aus der Ukraine stammen. Sondern weil die hohen Energiepreise den Dünger und den Transport verteuern. Und weil Spekulanten die Weltmarktpreise für Lebensmittel hochtreiben, bevor diese Güter tatsächlich knapp werden.
Aber rechtfertigen die Preisanstiege bei den Lebensmitteln die teils saftigen Aufschläge in den Restaurants bereits? Ein grosser Schweizer Gastronom stellt das im Gespräch mit Blick infrage. Um sich in der Branche nicht unbeliebt zu machen, will er nicht namentlich genannt werden. Preisaufschläge kämen bei den Gästen schlecht an, so der Gastronom. Kostet das Bier plötzlich 4.90 Franken statt wie bisher 4.50, steigen manche aus Protest auf Wasser um. Schiebe man den Preisanstieg allerdings auf Krieg und Lieferengpässe, ernte man eher Verständnis. Er wäre daher nicht überrascht, wenn der eine oder andere die aktuelle Lage für Preiserhöhungen auf Vorrat ausnütze, so der Gastronom mit mehreren Dutzend Betrieben und Hunderten Angestellten.
Preiserhöhungen auf Lagerbestände
Vieles, was heute zum Verkauf angeboten wird, stammt noch aus alten Lagerbeständen. Mehl, das der Pizzaiolo heute zu Teig verarbeitet, besteht aus Weizen, der letzten Sommer geerntet wurde. Auch andere Konsumgüter, etwa Spielkonsolen, Laptops oder Smartphones, wurden von den Händlern weit im Voraus eingekauft. «Trotzdem wurden zum Teil die Preise bereits erhöht», kritisiert Sara Stalder.
Die Schlussfolgerung: Die steigenden Preise werden dem Konsumenten sofort aufs Auge gedrückt. Ob die Pizza und die Spielkonsole dann auch sofort wieder günstiger werden, wenn es die Situation zuliesse, ist fraglich. Diese Angst der Konsumentenschützer sei bis zu einem gewissen Grad begründet, bestätigt Samuel Rutz (52) von der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse. «Internationale Studien zeigen, dass die Preise in der Regel schneller steigen, als dass sie fallen.»
Dass die Preise von Händlern und Dienstleistern auf breiter Front künstlich in die Höhe getrieben werden, hält er hingegen für Humbug. «Die Unternehmen wollen ihre Kunden schliesslich nicht mit Preisaufschlägen vergraulen.» Das liberale Credo: Der Wettbewerb regelt es.
Die Detailhändler gehen noch weiter: «Erfahrungsgemäss werden im Detailhandel Preiserhöhungen in der Regel verzögert weitergegeben, dies schon aus Gründen des grenzüberschreitenden Wettbewerbdrucks», argumentiert Dagmar Jenni (53), Direktorin des Detailhandelsverbands Swiss Retail Federation. Sie vertritt unter anderen Ikea, Manor oder C&A. Die Befürchtung, dass die Preise flächendeckend auf Vorrat erhöht würden, seien unbegründet. «Wenn es punktuell auf Lagerbeständen Erhöhungen gibt, dann wohl eher, weil diese Produkte plötzlich stark nachgefragt werden», so Jenni weiter.
Der Zürcher Gastronom Florian Weber haut in die gleiche Kerbe. Seine Produkte würden um zwei bis drei Prozent teurer – obwohl er im Einkauf zehn Prozent mehr bezahle. «Ich kann nicht mehr als zehn Franken für eine Kalbsbratwurst verlangen, das bezahlen die Leute einfach nicht.» Weniger Gewinn sei die Folge, keine «Gewinnmaximierung», wie es der Konsumentenschutz befürchtet.
Preise sollen nicht täglich schwanken
Komplex ist die Preisgestaltung aber allemal. Bei manchen Produkten wird aufgeschlagen, bei anderen nicht, obwohl im Einkauf beide teurer werden. «Die Preisgestaltung erfolgt über das ganze Sortiment, es muss im Durchschnitt aufgehen», meint Ökonom Rutz gelassen. «Die Händler und Konsumenten sind ja auch an einer gewissen Stabilität interessiert. Damit das Pfünderli nicht heute zwei Franken kostet, morgen drei und übermorgen wieder zwei.»
Für Konsumentinnen und Konsumenten mag das bequemer sein. Im Zweifelsfall bezahlen sie dadurch aber mehr, so die Befürchtung von Konsumentenschützerin Stalder. «Der Bund muss einen Stab einsetzen, der die kurzfristigen Preisentwicklungen im freien Markt genau unter die Lupe nimmt, damit die Leute nicht an Kaufkraft verlieren, während die Unternehmen ihre Gewinne maximieren», fordert sie. So wüssten die Firmen, dass jemand hinschaut – und wären mit Preiserhöhungen vorsichtig.
Bei den Beizern sind die Preiserhöhungen zwar sprichwörtlich in aller Munde – der Schuh drückt an einer anderen Stelle aber noch viel schlimmer: beim Fachkräftemangel. Die Personalsuche bereite ihnen deutlich mehr Bauchschmerzen als die steigenden Preise im Einkauf, sagen sämtliche kontaktierten Gastronomen zu Blick. Immerhin in diesem Bereich ist der Ukraine-Krieg ein Lichtblick: Über 30'000 ukrainische Flüchtlinge sind bisher in die Schweiz gekommen. Wenn einige von ihnen eine Karriere in der Gastronomie anstreben, leisten sie schon bald wertvolle Arbeit in Küche und Service.