Auf einen Blick
Die Sonne scheint, der Schnee glitzert und die Kinder spielen. Pause auf dem Schulplatz Melchtal OW. Plötzlich kommt ein Bube angerannt – er weint. «Frau Suter, ich habe mir wehgetan!», ruft er. Seine Lehrerin tröstet und hilft. Kurz darauf hilft sie einem Mädchen, die Augentropfen braucht.
Frau Suter? Gemeint ist Juliana Suter (26), ehemalige Skirennfahrerin. Im Dezember 2023 trat sie Knall auf Fall zurück. Obwohl die Junioren-Weltmeisterin in der Abfahrt erst 25 Jahre alt war, einen festen Platz im Kader von Swiss-Ski hatte und sich kerngesund fühlte. «Ich wollte einfach nicht mehr. Mein Feuer für den Skirennsport war erloschen», so Suter.
Heute kümmert sich die ehemalige Speed-Spezialistin vom Stoos SZ, deren Schwester Jasmina (29) nach wie vor im Weltcup fährt (aber derzeit verletzt ist), nicht mehr um Linien, Hundertstel oder Kantenwinkel. In ihrer neuen Welt geht es um Ufzgi, Malstifte und Bastelbögen.
«Viele Athleten haben keine Ahnung, was nach der Karriere kommt. Diese Angst hatte ich nie. Im Gegenteil, ich wusste immer, dass ich einmal Primarlehrerin werden wollte. Darum habe ich auch nebenbei die Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule in Schwyz gemacht», erzählt sie.
Nicht toll, sondern wahnsinnig toll
Beobachtet man Suter während des Unterrichts – sie hat 6- bis 8-jährige «Füchsli und Eulen» – so merkt man sofort: Das ist ihre Welt. Der Druck ihres früheren Ski-Lebens, ständig Resultate liefern zu müssen, ist gewichen. Liebevoll spricht Suter mit den Kindern. Erklärt ihnen, was zu tun ist, fragt nach ihren Ideen und bringt selber welche ein.
«Am Schönsten ist, wenn ich merke, wie begeistert die Kinder sind. Und dass ich ihnen etwas beibringen kann. Sie geben mir immer ein sehr direktes, ehrliches Feedback. Wenn sie etwas toll finden, finden sie es nicht ein bisschen toll, sondern wahnsinnig toll. Umgekehrt natürlich auch.» Sie sei sehr gerne ihre Bezugsperson, erklärt sie.
Suter wird bei der FIS als «aktiv» geführt
30 Mal fuhr Suter im Weltcup. Nur 30 Mal. Immer wieder war sie verletzt, teilweise schwer. Bei einem Dutzend Rennen hamsterte sie auch Punkte, unter anderem zweimal in Garmisch (De), wo die Ski-Frauen am Wochenende unterwegs sein werden. «Ich fahre immer noch gerne Ski. Und immer noch schnell», meint sie augenzwinkernd.
Über ein Comeback, wie es derzeit Mode ist, denkt sie nicht nach. Bloss: Weshalb wird sie dann auf der FIS-Homepage noch als «active», also als aktive Fahrerin, geführt? «Keine Ahnung!» Suter muss lachen.
Jovin: «Aber ich würde gerne Bauer werden»
Zurück ins Schulzimmer. Die Kinder wissen, dass ihre Lehrerin früher Skirennen fuhr. «Und darum sind die Reporter vom Blick auch hier», sagt ihnen Suter. «Sie wollen einen Bericht machen.» Prompt will ein Bub wissen: «Frau Suter, haben Sie auch Rennen gewonnen?» Sie antwortet: «Ja, aber das ist schon lange her.»
Es ist spürbar, wie gerne die Schüler Suter haben. Die sechsjährige Xenia wendet ein: «Sie ist aber manchmal auch streng.» Wann? «Wenn wir etwas laut sind.» Sie wolle eines Tages ebenfalls Skirennfahrerin werden, meint Xenia. Ganz anders denkt Jovin (7): «Ich habe Frau Suter mal im Fernsehen gesehen. Aber ich würde gerne Bauer werden.»
Die Rennen in Garmisch wird Suter am TV verfolgen – so wie immer, wenn sie Zeit findet. «Ich bin nach wie vor ein riesiger Ski-Fan», sagt sie.
Kurz vor Mittag läuten die Glocken im Schulhaus Melchtal. Pause. Die meisten Kinder gehen heim, Suter bleibt und isst eine Kleinigkeit. «Um 13:15 Uhr geht es wieder los. Ich freue mich schon jetzt darauf», sagt sie.