Auf einen Blick
- Österreichs Abfahrts-Mannschaft in der Krise – Experten kritisieren fehlenden Teamgeist
- Franz Klammer lobt Schweizer Team und Marco Odermatt als Vorbild
- Österreichs Männer liegen in der Nationenwertung auf Platz 4, nach 30 Jahren Dominanz
In Österreich herrscht seit dem vergangenen Weltcup-Wochenende Staatstrauer. Es ist die einst so stolze Abfahrts-Mannschaft, die von einigen Experten beerdigt wird. «Bei uns ist der Hund drin, es gibt nichts mehr schönzureden. Rein sportlich betrachtet, hängen die Fahnen bei uns auf Halbmast», jammert der ehemalige Weltklasse-Abfahrer (4 Weltcupsiege) und aktuelle Millionen-Show-Moderator Armin Assinger (60) im ORF.
Tatsächlich fällt die ÖSV-Bilanz nach vier Männer-Speed-Rennen ernüchternd aus. Kein Sieg, kein zweiter Platz! Der dritte Rang vom Vorarlberger Lukas Feurstein (23) beim Super-G in Beaver Creek ist bislang die einzige «Stockerl»-Platzierung, die unsere Nachbarn im Osten in den schnellen Disziplinen herausfahren konnten. Weil die Techniker im ersten Saisondrittel nur unwesentlich erfolgreicher waren (zwei Podestränge) liegen Österreichs Alpin-Herren in der Nationenwertung hinter der Schweiz, Norwegen und Frankreich an vierter Stelle. Zur Erinnerung: Zwischen 1989 und 2019 haben die Ösis den Nationencup ausnahmslos gewonnen.
«Uns fehlt der Teamspirit, wie ihn die Schweizer dank Odermatt haben»
Abfahrts-Kaiser Franz Klammer (71, Olympiasieger 1976, 26 Weltcupsiege) blutet aufgrund des Absturzes seiner Erben das Herz. Ihm stösst vor allem etwas sauer auf: «Im ÖSV wird meines Erachtens in zu kleinen Gruppen trainiert, bei uns fehlt der Team-Spirit. Unser Nachwuchs sollte viel früher die Möglichkeit bekommen, um sich mit einem Vincent Kriechmayr messen zu können.» Klammer wirft einen wehmütigen Blick über die Landesgrenze hinaus. «Ihr Schweizer zeigt derzeit in eindrücklicher Manier auf, dass Ski eben auch eine Mannschaftssportart ist. Der Odermatt ist ein herausragender Teamplayer, der reisst die jungen Rennfahrer mit.»
Hans Knauss (53), der 1999 auf der berüchtigten Hahnenkammabfahrt in Kitzbühel triumphierte, ist als ORF-Experte nach wie vor sehr nahe am ÖSV-Team dran. Sein Urteil: «Ich gebe Franz Klammer zu 100 Prozent recht, vor allem unsere Weltcup-Abfahrts-Trainingsgruppe ist viel zu klein. Zudem wird bei uns der Fehler gemacht, dass die Talente im Speed-Bereich viel zu lange im Europacup eingesetzt werden. Das bringt nichts, weil die Abfahrtspisten auf dieser Stufe oft Autobahnen gleichkommen. Deshalb wäre es wichtig, dass die jungen Burschen so schnell wie möglich auf die technisch schwierigen Pisten im Weltcup herangeführt werden.»
«Kriechmayr fehlt die Lockerheit»
Knauss erkennt im Nachwuchsbereich aber noch ein anderes Problem. «Uns fällt auch auf den Kopf, dass vor ein paar Jahren das Trainingszentrum in Innerkrems geschlossen wurde. Zu meiner Aktivzeit konnten wir hier sehr gut Abfahrt und Super-G trainieren. Hier wurden auch FIS-Rennen ausgetragen. Aber weil es Innerkrems nicht mehr gibt, hat ein 19-jähriges ÖSV-Talent heute die Hälfte weniger Speed-Kilometer in den Beinen, als ich das im selben Alter hatte.» Aber warum kommt ein so routinierter und genialer Rennfahrer wie Vincent Kriechmayr derzeit nicht besser in die Gänge? Der Abfahrts- und Super-G-Weltmeister von 2021 erlebte nach den Rängen 5 und 6 in Beaver Creek in der Saslong-Abfahrt mit dem 55. Platz einen seiner schlimmsten Karriere-Momente. Für Franz Klammer ist offensichtlich, «dass dem herausragenden Techniker Kriechmayr derzeit der Grund-Speed fehlt».
Hans Knauss liefert die Erklärung: «Der Vinc bringt derzeit nicht die nötige Geschwindigkeit auf die Bretter, weil er alles zu exakt machen will. Er will alles kontrollieren können. Aber wenn du die Ciaslat in Gröden derart schnell meistern willst, wie das Marco Odermatt getan hat, kannst du nicht alles kontrollieren. Dafür musst du frech und locker sein. Und die Lockerheit geht Kriechmayr derzeit komplett ab.»
Knauss trank so viel, dass er doppelt sah
Knauss erteilt Kriechmayr und seinen Teamkollegen deshalb einen aussergewöhnlichen Ratschlag: «Sehr wahrscheinlich würden die Burschen lockerer werden, wenn sie sich wieder einmal richtig betrinken würden! Ich hatte zu Beginn der Saison 1998/99 auch so eine Phase, wo rein gar nichts zusammengepasst hat. Ich habe dann in der Weihnachtspause bei einer Après-Ski-Party derart viel Gerstensaft getankt, dass ich das Christkind doppelt gesehen habe. Danach bin ich nach Bormio gefahren, wo ich in der Abfahrt als Vierter das Podest nur knapp verpasst habe.»
Ob und wie viel Kriechmayr und Co. unter dem Tannenbaum getrunken haben, ist nicht überliefert. Sicher ist aber, dass am Samstag (Abfahrt) und Sonntag (Super-G) auf der anspruchsvollen Pista Stelvio in Bormio die letzten Weltcuprennen dieses Jahres auf dem Programm stehen.