Michelle Gisin lässt sich operieren.
Foto: Keystone

Die miserable Klimabilanz der Athleten
Skistar Michelle Gisin kämpft für Öko-Spitzensport

Michelle Gisin kämpft für den Klimaschutz. Gleichzeitig legt sie im Winter Zehntausende Reise-Kilometer zurück. Die Olympiasiegerin ist sich des Widerspruchs bewusst.
Publiziert: 11.03.2019 um 23:02 Uhr
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Aktualisiert: 13.03.2019 um 08:47 Uhr
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Der Titlis-Gletscher in ihrer Heimat Engelberg geht Jahr für Jahr zurück.
Foto: Keystone
Mathias Germann und Stefan Meier

Michelle Gisins Herz blutet. Die Engelbergerin sieht seit Jahren, wie der Titlis-Gletscher oberhalb ihrer Heimat Engelberg Stück für Stück schmilzt. «Es ist beängstigend», sagt sie. Gleichzeitig schüttelt die 25-Jährige den Kopf über die Aussagen von FIS-Präsident Gian Franco Kasper, der während der Ski-WM die Klimaerwärmung in Frage stellte («Vorläufig ist kein Beweis da.»)

«Als ich das hörte, war ich entsetzt. Und dachte, es sei ein Witz.» Als Botschafterin der nicht-politischen Gemeinschaft «POW - Protect Our Winters» («Schützt unsere Winter») will sie die Sensibilität für den Klimaschutz stärken. «Aber nicht mit dem Finger auf andere zeigen», wie sie betont. Das wolle auch POW nicht. Den Abfall trennen, das Licht ausschalten, das Haus isolieren, auf erneuerbare Energien setzen – das sind die Themen, die sie anspricht. «Kleine Dinge, die in der Summe eine grosse Wirkung haben können.»

Gleichzeitig ist sich Gisin ihrer Doppel-Rolle bewusst. Als Ski-Profi reist sie pausenlos hin und her. Ob im Auto oder im Flugzeug: Ihr ökologischer Fussabdruck ist viel grösser als jener des Durchschnitts-Bürgers.

Ski-Kalender ist nicht umweltbewusst

«Wegen dieses Widerspruchs habe ich natürlich ein schlechtes Gewissen. Aber was soll ich tun? Ich liebe den Skisport, er ist mein Beruf. Nur dank ihm habe ich eine so grosse Reichweite. Deshalb ist es mir ein sehr grosses Anliegen, diese Reichweite für etwas Gutes zu nutzen. Und schlussendlich bestimmt die FIS den Kalender, nicht ich.»

Genau wegen dieses Kalenders reisen die Athletinnen im Weltcup oft kreuz und quer herum. Zur Illustration: Würde eine Fahrerin jedes Rennen fahren, kämen in dieser Saison 36' 000 Reisekilometer (Luftlinie) zusammen. Und das immer auf dem direktesten Weg, ohne Zwischenstopps zuhause. Mit einer anderen, umweltbewussteren Reihenfolge der gleichen Destinationen könnte man knapp 10' 000 Kilometer Reiseweg einsparen.

Kommt hinzu, dass der Ski-Tross gewaltig gross ist: Athleten, Trainer, Betreuer, Funktionäre und und und. Etwa 400 Personen reisen an die Rennen – jeweils im Frauen- und im Männerzirkus. Allein die kompletten Teams der Schweizer und Österreicher fassen über alle Disziplinen je rund 60 Personen.

Also beträgt das Sparpotenzial im besagten Beispiel 4 Millionen Reisekilometer mit Auto und Flugzeug – das entspricht etwa 800 Tonnen CO2! Fairerweise muss man betonen, dass kaum jemand die Reiseroute so absolviert und der Tross nicht immer in dieser Grösse unterwegs ist. Trotzdem zeigt die Modellrechnung, dass das Spar-Potenzial riesig ist.

Gisin fordert weniger Rennen

Gisin stört sich darum auch am Kalender. «Es ist gut, auch mal in weit entfernte Länder zu reisen und dort die Begeisterung für den Sport zu wecken. Trotzdem haben wir meiner Meinung nach zu viele Rennen. Und in der Planung der Rennen gibt es noch grosses Potenzial, da könnte man vieles massiv optimieren.»

Wobei sich die Frage stellt: Braucht es überhaupt Skirennen in Andorra, Russland und China? In Peking steigen 2022 die Olympischen Winterspiele. Davor brauche es Testrennen, ist Gisin überzeugt. «Das gehört dazu. Ansonsten sind wir nicht mehr der ‹Weltcup›. Denn wir wollen auch andere Nationen für den Skisport begeistern.»

Für Gisin ist ein anderer Faktor wichtig: Es gibt zu viele Rennen – 40 wären es bei den Frauen in diesem Winter ohne Absagen gewesen. «Da gibt es auch mal eine Übersättigung. Wenn wir so oft fahren, sinkt aus meiner Sicht das Interesse der Zuschauer. Und je mehr Rennen auf dem Programm stehen, je mehr Energie wir fürs Reisen brauchen, desto mehr schädigen wir die Umwelt.»

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Der Reise-Irrsinn im Sport

Das Sparpotenzial an Reisekilometern im Weltsport ist riesig. Nicht nur der Ski-Weltcup könnte den Kalender optimieren, sondern viele andere Sportarten.

Eines der heftigsten Beispiele liefert in diesem Jahr die Formel 1. Von Monaco geht es ins gut 6000 Kilometer entfernte Montreal. Und von Kanada geht es dann direkt zurück nach Le Castellet in Frankreich – nur knapp 150 km Luftlinie von Monaco entfernt. Nur mit einer Verschiebung im Rennkalender liessen sich also 6000 km sparen.

Auch sonst reist die Formel 1 teilweise kreuz und quer um die Welt: Australien – Bahrain – China – Aserbaidschan – Europa – Montreal – Europa – Singapur – Russland – Japan – Nordamerika – Südamerika. Zehntausende unnötige Reisekilometer. Dabei beteuert die Motorsport-Königsklasse seit Jahren, dass man grüner werden und den CO2-Ausstoss reduzieren wolle.

Katastrophal etwa auch die Renn-Anordnung im Langlauf-Weltcup. Es geht los in Finnland, geht über Norwegen nach Zentral-Europa. Dann wird’s irrsinnig: Von Deutschland geht’s wieder nordwärts nach Estland, dann Schweden und erneut Finnland. Zurück nach Italien, Österreich, um dann wieder nach Norwegen und Schweden zu reisen, um die Saison dann in Kanada zu beenden. Ein wildes Hin und Her durch Europa. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Skispringen.

Ein besseres Beispiel liefert da zum Beispiel der Biathlon-Weltcup. Aus Slowenien startet eine Rundreise durch Zentraleuropa. Dann geht’s für zwei Stationen nach Nordamerika. Ehe die Saison im hohen Norden mit Rennen in Schweden und Norwegen beendet wird. (sme)

Das Sparpotenzial an Reisekilometern im Weltsport ist riesig. Nicht nur der Ski-Weltcup könnte den Kalender optimieren, sondern viele andere Sportarten.

Eines der heftigsten Beispiele liefert in diesem Jahr die Formel 1. Von Monaco geht es ins gut 6000 Kilometer entfernte Montreal. Und von Kanada geht es dann direkt zurück nach Le Castellet in Frankreich – nur knapp 150 km Luftlinie von Monaco entfernt. Nur mit einer Verschiebung im Rennkalender liessen sich also 6000 km sparen.

Auch sonst reist die Formel 1 teilweise kreuz und quer um die Welt: Australien – Bahrain – China – Aserbaidschan – Europa – Montreal – Europa – Singapur – Russland – Japan – Nordamerika – Südamerika. Zehntausende unnötige Reisekilometer. Dabei beteuert die Motorsport-Königsklasse seit Jahren, dass man grüner werden und den CO2-Ausstoss reduzieren wolle.

Katastrophal etwa auch die Renn-Anordnung im Langlauf-Weltcup. Es geht los in Finnland, geht über Norwegen nach Zentral-Europa. Dann wird’s irrsinnig: Von Deutschland geht’s wieder nordwärts nach Estland, dann Schweden und erneut Finnland. Zurück nach Italien, Österreich, um dann wieder nach Norwegen und Schweden zu reisen, um die Saison dann in Kanada zu beenden. Ein wildes Hin und Her durch Europa. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Skispringen.

Ein besseres Beispiel liefert da zum Beispiel der Biathlon-Weltcup. Aus Slowenien startet eine Rundreise durch Zentraleuropa. Dann geht’s für zwei Stationen nach Nordamerika. Ehe die Saison im hohen Norden mit Rennen in Schweden und Norwegen beendet wird. (sme)

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