Ökonom Philippe Thalmann verlangt mehr Engagement von den Konsumenten
«Klimawandel kostet uns 10 Milliarden Franken»

Die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt: Die Folgen des Klimawandels sind überall spürbar. Die Kosten sind immens, auch in der Schweiz. Handeln ist umso wichtiger. Dabei reiche es nun nicht mehr, nur die günstigen Massnahmen umzusetzen, so Experte Thalmann.
Publiziert: 12.03.2019 um 23:58 Uhr
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Aktualisiert: 14.03.2019 um 19:08 Uhr
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EPFL-Klima-Ökonom Philippe Thalmann und sein Team beziffern die Folgen des Klimawandels für die Schweiz auf sechs Milliarden Franken. Insgesamt dürften die Kosten aber zehn Milliarden betragen.
Foto: Paulo de Jesus & Sophie Shiraish

Seit Wochen findet die Klimadiskussion auf den Strassen statt. Schon viele Jahre beschäftigt das Thema die Wissenschaft – auch den Schweizer Klimaökonomen Philippe Thalmann (56) von der EPFL. BLICK erreichte ihn in Berlin. Dort spricht er an einem Workshop über die Schweizer Erfahrung mit der CO2-Abgabe.

BLICK: Wir führen dieses Interview schriftlich, Sie sind unterwegs – klimafreundlich mit dem Zug?

Philippe Thalmann: Mit dem Nachtzug. Prinzipiell reise ich in Europa mit der Bahn.

Vor über zehn Jahren hat ein Expertenbericht die Kosten des Klimawandels beziffert. Wenn wir nichts unternehmen, wird er uns jährlich mindestens 5 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts kosten. Wie sieht es heute aus?

Von den vielen globalen Auswirkungen des Klimawandels auf eine Zahl zu kommen, ist schwierig. Und kaum jemand könnte damit etwas anfangen. Klar dürfte uns allen sein: Der Verlust von Lebensgrundlagen trifft Millionen von Menschen und wird zu Zwangsmigrationen führen. Gletscher, Korallenriffe oder Lebensarten, die schwinden, haben einen hohen Wert, auch wenn es dafür keine Preise gibt.

Was kostet der Klimawandel die Schweiz?

Zu erwarten sind mehr extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen und Dürren, mehr Naturgefahren wie Überschwemmungen. All dies gefährdet neben Hab und Gut auch Menschenleben. Mein Forschungsteam und ich haben versucht, möglichst viele für die Schweiz bis 2060 prognostizierte Folgen zu bewerten. Unser Resultat: sechs Milliarden Franken bei ungebremstem Klimawandel. Alles zu beziffern, ist aber unmöglich. Deshalb dürften die Gesamtkosten realistischer bei zehn Milliarden Franken liegen.

Was kommt uns so teuer?

In der Schweiz ist der grösste Kostenpunkt der Verlust von Leben. In den Hitzesommern von 2003 und 2015 starben etwa 1000 respektive 800 Menschen verfrüht, notabene auch Kinder. Heutige Hitzesommer sind in ein paar Jahrzehnten normal. Im Sommer 2060 dürften daher ähnlich viele Menschen sterben. Obwohl wir natürlich dazulernen werden und uns so zum Teil anpassen können.

Wie kommen Sie auf sechs Milliarden?

Ein Leben ist laut dem Bund 6,5 Millionen Franken wert. Sterben 800 Menschen wegen der Hitze, kostet das 5,2 Milliarden Franken. Weitere zwei Milliarden kommen dazu, weil wir weniger produktiv arbeiten werden. Positiv dagegen dürfte sich der Klimawandel aufs Heizen und den Sommertourismus auswirken. Unter dem Strich macht das sechs Milliarden Franken.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

In jedem Land sind die Auswirkungen anders. In vielen gibt es die grössten Verluste in der Landwirtschaft, in anderen in Küstengebieten. 

Tut die Welt zu wenig im Kampf gegen den Klimawandel, weil es zu teuer ist?

Nichtstun ist heute billiger, aber morgen viel teurer. Verschiedene Schweizer Forscherteams haben simuliert, was es technisch und wirtschaftlich bedeutet, wenn wir den Verbrauch fossiler Energie bis 2050 massiv reduzieren. Ihr Schluss: Unser Haushaltseinkommen würde etwa um ein Prozent sinken. Würde man die Gewinne an Lebensqualität durch weniger Lärm und Luftverschmutzung einrechnen, wäre diese Zahl noch viel kleiner. Insgesamt kostet es uns also gar nicht so viel. Aber einzelne Sektoren müssten sich schon stark anpassen, und wir müssten unsere Konsumgewohnheiten ändern.

Hat die Wirtschaft beim Klimawandel die Tendenz, zuerst die günstigen Massnahmen anzupacken und die teureren auf später zu verschieben?

Oft wird das Bild des Fruchtbaums bemüht: Wir pflücken zuerst die leicht erreichbaren Früchte und später dann diejenigen, für die man eine Leiter benötigt. Das ist verständlich und war lange Zeit im Klimaschutz als optimal angesehen: Solange man nicht weiss, wie viel Minderung notwendig ist, solle man nur die günstigsten Massnahmen umsetzen. Heute wissen wir: Es müssen alle Früchte gepflückt werden. Nehmen wir nur die unteren, müssen unsere Kinder auf die Leiter steigen. Besonders verwerflich ist dieser Ansatz im Ausland: Wir haben billige Minderungsmassnahmen sehr günstig eingekauft, und jetzt sollen die Menschen dort die teuren Massnahmen selbst bezahlen.

In der Schweiz wird beim Wohnen und Bauen relativ viel unternommen, beim Transport dagegen wenig. Warum?

Zum Glück liebt der Schweizer seine Ölheizung nicht so sehr wie sein Auto! Das liegt auch am Bündel von Fördermassnahmen bei Gebäuden: einerseits die CO2-Abgabe, die das Heizen mit Öl und Gas verteuert, andererseits die Subventionen für bessere Dämmung der Gebäude und erneuerbare Wärme. Zudem noch viel Ausbildung und Information. Das alles fehlt bei den Autos. Die Werbung für schwere Autos und die damit verbundene und suggerierte Sicherheit und Freiheit übertönen alle anderen Botschaften.

Welche Massnahmen bringen uns vorwärts?

Wir brauchen in der Klimapolitik eine neue Story: ein Narrativ, wie die Zukunft ohne fossile Energie aussehen wird und wie wir da hinkommen. Vielleicht werden die Schülerinnen und Schüler diese Geschichte für uns alle entwerfen.

Klimaökonom

Philippe Thalmann (56) ist seit 1994 ausserordentlicher Professor für die Ökonomie der natürlichen und gebauten Umwelt an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne. Er leitet den Lehrstuhl für Umwelt- und Städteökonomie. Sein Forschungsfokus liegt unter anderem auf der Umwelt- und Klimapolitik. Fürs Klima engagiert er sich auch persönlich: Am Freitag will er mit den Schülern marschieren.

Philippe Thalmann (56) ist seit 1994 ausserordentlicher Professor für die Ökonomie der natürlichen und gebauten Umwelt an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne. Er leitet den Lehrstuhl für Umwelt- und Städteökonomie. Sein Forschungsfokus liegt unter anderem auf der Umwelt- und Klimapolitik. Fürs Klima engagiert er sich auch persönlich: Am Freitag will er mit den Schülern marschieren.

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