Als Joana Hählen (31) 14 Jahre alt war, hatte sie nur einen Wunsch: Sie wollte eines Tages im Weltcup fahren und sich mit den Besten messen. «Und jetzt bin ich schon seit über einem Jahrzehnt dabei. Ich hatte viele schöne Erlebnisse, fuhr gute Resultate ein und traf tolle Menschen. Ich hatte zwar drei grössere Verletzungen, aber das Positive überwiegt bei weitem», so die Berner Oberländerin.
Wer nun meint, Hählen würde sich mit dem Rücktritt befassen, irrt. Im Januar wird sie 32 Jahre alt – und ist im besten Alter für Speedrennen. Es ging ihr körperlich noch nie so gut wie jetzt. Und wer weiss, vielleicht holt sie in St. Moritz GR ja im 132., 133. oder 134. Weltcuprennen tatsächlich ihren ersten Weltcupsieg – von Freitag bis Sonntag stehen zwei Super-Gs und eine Abfahrt an.
Der erste Sieg? Tatsächlich: Hählen ist die einzige Fahrerin aus der Nationalmannschaft, die noch nie auf dem obersten Treppchen stand. Lara Gut-Behrami (39 Siege), Corinne Suter und Wendy Holdener (je 5), Michelle Gisin und Jasmine Flury (je 1) würden Hählen dieses Erlebnis längst gönnen – zumal Hählen mit ihren vier Podestplätzen schon nahe dran war.
Sie selbst sagt: «Wenn alles zusammenpasst, bin ich überzeugt, dass ich es schaffen kann. Ich gebe alles dafür, muss aber locker bleiben. Ich könnte nach der Karriere auch gut ohne Sieg leben – man darf nicht vergessen, dass nur die wenigsten gewinnen.»
Hählens Ziel: frech fahren
Ihre freche Fahrweise hat ihr das Image eingebracht, dass sie immer Kopf und Kragen riskiere. Zu Unrecht, wie sie anmerkt. «Ich bin in meiner Karriere höchsten vier oder fünf Mal schlimm gestürzt.»
Tatsächlich landete Hählen nur bei einem ihrer drei Kreuzbandrisse (2011, 2014 und 2018) im Schnee. Sie meint sogar: «Ich bin am sichersten und schnellsten unterwegs, wenn ich frech fahre und meinem Instinkt folge. Klar, muss ich mich manchmal retten, weil es knapp wird. Aber das ist bei Marco Odermatt auch der Fall und er gewinnt und gewinnt. Zufall ist das nicht.» In den letzten Jahren habe sie ihre Limite genauer kennengelernt.
Kommt sie in den Kampfmodus, wird sie gefährlich
Während viele zu Hause in solchen Momenten vor dem TV den Atem anhalten, hat Hählen auf der Piste nie das Gefühl, bald ins Netz zu fliegen. Im Gegenteil: «Ich muss die optimale Linie ausreizen, um schnell zu sein. Was bringt es mir, keine Fehler zu machen und auf Platz 20 zu landen?»
Besonders stark fährt Hählen oft nach begangenen Fehlern. «Dann komme ich in den Kampfmodus und sage mir: Das kann es nicht sein!» Die Folge: Sie lässt die Handbremse endgültig los.
Vielleicht schafft sie dies ausgerechnet in St. Moritz GR – es gibt schliesslich nie einen schlechten Moment für den ersten Sieg.