Wehmütige Erinnerungen
Wegbegleiter von Gino Mäder (†26) nehmen Abschied

Sie begleiteten und trainierten Gino Mäder (†26) in dessen Anfangsjahren: Pierino Rossi, Marcello Albasini, Daniel Gisiger und Danilo Hondo. Sie erzählen von ihren Erlebnissen mit dem talentierten Radfahrer.
Publiziert: 20.06.2023 um 07:40 Uhr
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Aktualisiert: 21.06.2023 um 16:02 Uhr
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Gino Mäder ist nicht mehr da, doch er geht nicht vergessen. Vier ehemalige Trainer blicken zurück.
Foto: keystone-sda.ch
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Mathias GermannReporter Sport

Pierino Rossi (71)

Als ich die Nachricht vom Tod Ginos erhielt, war ich gerade im Garten. Sofort habe ich gemerkt, dass ich aufs Velo musste – nur so konnte ich diesen Schock verarbeiten. Auf meiner Tour kamen Erinnerungen hoch. Ich war Sportlicher Leiter des Nachwuchsteams von Maca-Loca, Gino trainierte bei uns, sein Vater Andreas war auch oft dabei. Einmal im Winter entschied ich, dass wir mit der Gruppe ein Langlauf-Training machen. Wir fuhren nach Les Prés-d’Orvin, das Skigebiet liegt auf 1000 m.ü.M., ganz in der Nähe von Biel. Weder Gino noch die anderen standen je zuvor auf Langlaufskis, was die Sache sehr lustig machte. Ich versuchte, ihnen die Skating-Technik zu zeigen. Gino war ein Teenager, körperlich gut drauf, aber ein Gstabi. Marc Hirschi war damals auch dabei. Am dritten Tag beschloss ich, ein Rennen zu veranstalten. Fünf Runden, es ging rauf und runter – ein perfektes Intervall-Training. Kurz vor dem Ziel war Gino noch vorne mit dabei, er und drei andere spurteten. Aber sie taten es so unkontrolliert, dass sie sich mit den Langlaufstöcken ineinander verhakten – sie fielen in den Schnee und lachten. Das war ein grosser Spass.

Ein oder zwei Jahre später gab es eine weitere Episode, an die ich gerne zurückdenke – diesmal bei einem Strassenrennen in Sursee über zehn Runden. Ich betreute einen anderen Fahrer, wusste aber um Ginos Stärke. Also sagte ich meinem Schützling, er solle sich an Ginos Hinterrad klemmen. Ich stand am Strassenrand und wartete. Und was passierte? Gino kam alleine angebraust, dahinter mein Fahrer und irgendwann der Rest. Für Gino galt immer: Achtung, fertig, los. Ihm war nie langweilig, er machte immer etwas. Klar, dass er jenes Rennen gewann, er überrundete irgendwann sogar das Feld. Gleichzeitig war Gino nie übertrieben ernst: Er machte gerne Sprüche, auch kurz vor dem Wettkampf. Und wenn er nicht gewann, sagte er einfach: Dann halt nächstes Mal!

Marcello Albasini (65)

Letztmals sah ich Gino beim Ostschweizer Bike-Cup. Während seine Freundin fuhr, lief er die Runde mit seinem Hund ab. Ich behalte Gino als herzensguten Menschen in Erinnerung, er war sehr bescheiden und zuvorkommend. Zum ersten Mal fiel mir Gino auf, als ich noch Sportlicher Leiter bei IAM Cycling war – das war vor etwa acht Jahren. Ich fuhr zur Tour de l’Avenir in Frankreich, um Talente für unsere Equipe zu entdecken. Gino fiel mir mit seinem gekräuselten Haar, der Brille und der schlaksigen Statur sofort auf. Vor allem aber fuhr er sehr stark.

Gino war ein sehr netter Mensch, er las auch viel. Das Soziale war ihm sehr wichtig – wenn er aber etwas aus Prinzip nicht gut fand, machte er es auch nicht. Da war er sehr konsequent. Als Fahrer hatte Gino Hochs und Tiefs – bei den Hochs wurde deutlich, dass er jeweils viel besser war als alle anderen. Ich war Assistenztrainer der Nationalmannschaft, als Marc Hirschi 2018 WM-Gold bei der U23 holte. Gino wurde damals Vierter – er hatte sich für Marc aufgeopfert und sich hinten angestellt. Das war typisch für ihn.

Daniel Gisiger (68)

Ich betreute Gino zwischen seinem 16. und 18. Lebensjahr. Er war fast wie ein Sohn für mich. Ich verbrachte damals mehr Zeit mit Gino als mit meinen eigenen Kindern, die Arbeit als Nationaltrainer war sehr intensiv. Als wir einmal mit dem Team ein Trainingslager auf Mallorca bestritten, habe ich meine Fahrer ermutigt, ohne Zmorge aufs Rad zu steigen. Diese Nüchtern-Ausritte sind gut – so lernen Junioren, dass sie nicht vier Kilo Teigwaren brauchen, um Grosses zu leisten. Viele waren skeptisch. Nach 80 Kilometern auf dem Velo gab es dann etwas zu essen. Die Fahrer waren erstaunt, wie gut es geklappt hatte – auch Gino. Er setzte sogar noch einen obendrauf, fuhr auch die restlichen zwei Stunden, ohne sich zu verpflegen. «Es funktioniert», stellte er glücklich fest. Das war typisch für Gino, er war sehr offen für alles.

Gino zog die Sympathien in der Gruppe stets auf sich. Er tat dies nicht bewusst. Es war vielmehr so, dass er gerne mit Menschen redete. Gino wollte immer alles wissen. Ich bin sehr stolz, dass ich ihm einige Tipps auf seinen Weg mitgeben konnte – beim Velofahren, aber auch fürs Leben. Ich bin momentan als Bahntrainer Japans bei den Asien-Meisterschaften in Kuala Lumpur tätig. Als ich vom Tod Ginos erfuhr, habe ich versucht, mir nichts anmerken zu lassen. Es gelang mir nicht.

Danilo Hondo (49)

Ich bin unglaublich dankbar, dass ich Gino als Nationaltrainer mehrere Jahre lang betreuen durfte. Sein Tod berührt mich sehr, obwohl ich im Rad-Zirkus mehrere solche Todesfälle hautnah miterlebt habe. Fabio Casartelli bei der Tour 1995, Manuel Sanroma 1999 in Katalonien, Andrei Kiwiljow 2003 bei Paris–Nizza und Wouter Weylandt 2011 beim Giro – an so tragische Nachrichten gewöhnt man sich nie. Damals fand ich es fast makaber, dass die Rennen ein oder zwei Tage später einfach weitergingen. Aber so ist es halt, man muss irgendwie zur Normalität zurückkehren.

Gino war einer der jungen Wilden, als er 2015 zu mir kam. Der Radsport war seine grosse Leidenschaft, aber ich hatte den Eindruck, dass er sich fast zu viele Gedanken darüber machte. Und über andere Dinge. Das hat ihn ab und zu blockiert. Gino hatte nicht nur riesiges Potenzial, sondern war auch ein grosser Teamplayer – das hat mir imponiert. Der Radsport ist gefährlich, da müssen wir uns nichts vormachen. Wenn ich an die Tour de France denke, wo 200 Fahrer stets versuchen, nach vorne zu kommen, ist das schon verrückt. Es gibt viele Stürze, bei denen Glück und Pech nahe beieinander liegen – Gino hatte wohl grosses Pech.

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