So schlägt sich der legendäre Tour-Teufel durchs Leben
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«Ich lebe von 650 Euro Rente»:So schlägt sich der legendäre Tour-Teufel durchs Leben

Seit 30 Jahren an der Tour de France
Zu Besuch bei Rad-Teufel Didi Senft (71)

Dieter «Didi» Senft ist die berühmteste Figur bei der Tour de France. Er ist zum 30. Mal dabei. Doch wie tickt der 71-Jährige? SonntagsBlick hat ihn bei sich zu Hause im Osten Berlins besucht.
Publiziert: 02.07.2023 um 12:13 Uhr
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Aktualisiert: 02.07.2023 um 13:36 Uhr
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Dieter Senft ist der berühmteste Mann an der Tour de France. Aber nicht in diesem Outfit.
Foto: Sven Thomann

Ohne Kostüm ist er ein einfacher Rentner. Aber mit? Da wird Dieter Senft zum Teufel. Zum Tour-Teufel. Der 71-jährige Berliner ist die bekannteste Figur des grössten Rad-Rennens der Welt. Da können weder Christian Prudhomme (Tour-Direktor) noch die Top-Favoriten auf den Sieg (Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard) mithalten. «Eigentlich bin ich ein scheuer Mensch. Schon als Kind stand in der Schulbeurteilung: ‹Ist eher der Einzelgänger, fühlt sich in Gemeinschaft nicht sehr wohl.› Aber wenn ich mich verkleide, kippt ein Schalter in mir. Dann gibt es kein Halten mehr. Dann bin ich total daneben, einfach lustig-chaotisch», sagt er.

Wir besuchen Dieter Senft in seinem Zuhause in Storkow, eine gute Autostunde ausserhalb Berlins. «Hallo zusammen», begrüsst uns Ehefrau Margitta. Sie kümmert sich um den Garten des schmucken Einfamilienhauses, steckt Setzlinge in die Erde. «Didi kommt gleich», kündigt sie an. Im September feiern die beiden ihre goldene Hochzeit, seit 50 Jahren sind sie ein Paar. Dass sie nicht die einzige grosse Liebe ihres Ehemannes ist, stört sie nicht. «Didi liebt Radsport über alles. Das macht auch mir Freude.» Sie weiss: Eine Teufelsaustreibung wäre nutzlos.

Dusche im Schweinestall

Und dann ist er plötzlich da, springt im Teufelskostüm aus der Eingangstür. Didi Senft, der Tour-Teufel – auch bekannt als «El Diablo» und «Didi the Devil». Seine Laune? Bestens. Wie immer, ist man versucht zu sagen. «Ich bin ein sehr positiver Mensch. Wenn mich jemand dumm anmacht, wünsche ich ihm einen schönen Tag. So ist das einfach.»

Senft zeigt uns seinen VW-Bus, mit dem er zu den Rennen fährt. Es ist sein dritter – insgesamt fuhr er mit ihnen 1,5 Millionen Kilometer und umrundete die Erde damit umgerechnet 37 Mal. Früher kam Margitta ab und zu auch mit, seit Jahren ist er aber allein unterwegs. Ein Bett, Decken, Kleider, Essen und Trinken. «Ich brauche nicht viel, habe Konserven, Knäckebrot und Schokolade dabei. Und wenn nichts mehr da ist, esse ich halt nichts», sagt er.

Auch Regen, Hitze und Kälte können dem gelernten Schlosser, Künstler, Erfinder und Fahrraddesigner nichts anhaben. «Ich war schon auf dem Nufenen, es war eisig kalt. Zum Schlafen nahm ich drei Decken, zog mir eine Mütze an und legte mir ein Tuch übers Gesicht.» Oft dusche er auf Reisen in Bächen, manchmal bei Bauern, «einmal gar mit einem Wasserschlauch im Schweinestall».

«Ein Blutgerinnsel im Gehirn setzte mich matt»

Senft mag sein spartanisches Leben auf Achse. «Wenn ich nichts habe, bin ich am glücklichsten», sagt er. In jungen Jahren war er in der DDR selbst Amateurfahrer, er wurde sogar Bezirksmeister. Für mehr reichte das Talent aber nicht. «Als Kind hörte ich die Friedensfahrt am Radio und war beeindruckt», erzählt er. Es war der Ursprung seiner Begeisterung für den Radsport.

«Die Idee für das Teufelskostüm hatte ich mit zwölf. Wir schauten heimlich West-Fernsehen, die Tour de France lief und die Reporter berichteten vom letzten Kilometer, der Flamme Rouge, dem Teufelslappen. Da hab ich gesagt, dass ich mich eines Tages als Teufel verkleiden würde.» Nach dem Mauerfall erfüllt sich Senft seinen Traum, seit 1993 peitscht er die Fahrer der Tour de France an – nun erlebt er sein 30-Jahr-Jubiläum. «Nur 2012 habe ich verpasst. Ein Blutgerinnsel im Gehirn setzte mich matt. Aber jetzt geht es mir gut.»

17 Weltrekorde – einige im Wallis

Mit dem berühmten Teufel-Dreizack in der Hand springt Senft für Fotos in die Luft. Der Sprung ist, neben dem Schrei mit weit aufgerissenem Mund, seine berühmteste Pose. «So hoch wie früher gehts nicht mehr», sagt er.

Dann führt uns Senft ans Ufer des Kanals, der an seinem Haus vorbei und in den Grossen Storkower See fliesst. Überall sind kleinere und grössere Kunstgegenstände zu sehen, alle haben mit Velos zu tun – eine Fischskulptur hat er aus Hunderten Klingeln erschaffen. Dazu muss man wissen: 2004 hatte Senft ganz in der Nähe das «Museum für Fahrradkuriositäten» eröffnet, er stellte über 200 selbst kreierte Fahrräder aus. «Ich habe mit meinen Rädern 17 Weltrekorde im Guinness-Buch aufgestellt», sagt er stolz. Irgendwann rentierte das Museum aber nicht mehr, Senft musste es vor fünf Jahren schliessen – viele Stücke werden aber künftig im Musée du Vélo in Chippis VS zu sehen sein.

Tour-Organisator bezahlt ihn

Zurück nach Storkow. Senft hat sich umgezogen. Jeans, blaue Trainingsjacke, blaue Kappe mit der Aufschrift Tom und Luis – es sind die Namen seiner Enkel. «Ohne Kostüm bin ich viel ruhiger, scheu sogar. Es ist, wie wenn sich ein Schalter in meinem Kopf umlegt.» Senft setzt sich in seinen Strandkorb und blickt übers Wasser. Auf einmal wirkt er nachdenklich, aber nicht traurig. «Die Zeiten sind härter geworden. Meine Rente beträgt gerade einmal 650 Euro im Monat. Früher fuhr ich zu jedem grösseren Rennen, auch bei der Tour de Suisse war ich über 20 Mal dabei. Das geht längst nicht mehr.»

Tatsächlich tingelt Senft noch immer durch die Welt, wird aber von Tour-Organisator ASO gesponsert – alle Kosten werden übernommen, dazu gibts einen kleinen Lohn. Als Gegenleistung lässt er sich fotografieren, erscheint auch mal an einem VIP- und Sponsoren-Event. Der Tour-Teufel ist fast schon offizielles Tour-Maskottchen.

«Sicher noch 20 Jahre dabei»

Nach Kaffee und Kuchen bedanken und verabschieden wir uns. Eine Frage bleibt aber: Wie lange noch? «Solange mich meine Beine tragen und ich das Geld irgendwie zusammenkratze. In den nächsten 20 Jahren bin ich sicher noch dabei.» Irgendwie geht es immer weiter. Und wenn nicht mehr? «Der schönste Tod wäre, wenn mein Herz während eines Rennens am Col du Galibier aufhören würde zu schlagen.»

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