Sie ist die Leichtathletik-Dominatorin von Paris. Gold über 400, 800, 1500 und 5000 Meter, dazu Silber im 100er. Dass Catherine Debrunner (29) mit hohen Zielen nach Paris reisen würde, war klar. Schon früh ist die Thurgauerin mit ihrem Kernteam das Programm durchgegangen.
Der Erholung wurde grosse Priorität eingeräumt. Deshalb schottet sie sich an den Paralympics ab. Interviews gab es nur noch in der Mixed Zone direkt nach den Rennen, und sie vermied es, sich in den sozialen Medien aufzuhalten.
Dieses Selbstverbot legte sie sich auf, um eine komplette Reizüberflutung zu verhindern, sagt sie: «Am Abend hat man generell schon viel Adrenalin. Wenn du dann noch am Handy hockst oder alle die Eindrücke des Tages verarbeiten willst, kannst du irgendwann nicht mehr damit umgehen.»
Paralympics-Kolumne von Experte Lukas Christen
Wer an so vielen Disziplinen an den Start geht wie sie und dabei stets legitime Podestambitionen hat, muss auf solche Details schauen. Und auch andere Eventualitäten in den Gedankengang mit einbeziehen. Wie den Umgang mit Emotionen nach den Wettkämpfen und das Vermeiden, dass das Pendel die Extreme «himmelhoch jauchzend» und «sehr betrübt» erreicht.
Aus Selbstschutz freut sie sich nicht zu stark
Bei ihr ging es zwar nur in die positive Richtung, ein Faktor war es dennoch. Und das erklärt auch, dass man Debrunner nach ihren bisherigen Triumphen zwar freudig, aber nicht ausgelassen erlebt hat. «Das ist mehr ein Schutz, weil ich weiss, es geht gleich weiter», sagt sie, «auch positive Emotionen haben einen Einfluss, und das muss ich regulieren.»
Die Zusammenarbeit mit ihrer Mentaltrainerin hat sich ausbezahlt. Debrunner: «Ich habe es bisher relativ gut geschafft, runterzukommen und mich dann wieder aufs nächste Rennen zu konzentrieren. Der Zeitplan kam mir dabei sehr entgegen. Die Rennen waren meistens am Mittag und ich hatte am Nachmittag Zeit, den Moment etwas zu geniessen und war am Abend wieder zeitig im Bett.»
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Vor drei Jahren in Tokio hatte sie einmal Gold und einmal Bronze gewonnen – nun würde sie mit einer sechsten Medaille die erfolgreichste Athletin in Paris. Sie hat grosse Fortschritte auf allen Ebenen gemacht und unter anderem gelernt, im Rennen etwas egoistischer zu sein. «Oft ist dieser Begriff negativ konnotiert. Aber es heisst ja eigentlich nur, für sich selber einzustehen, um die optimale Leistung abrufen zu können.»
Training in Holland
Zudem verfügt sie über ein sehr gutes Umfeld, angeführt vom holländischen Toptrainer Arno Mul und hatte ein Vorbild unmittelbar vor der Haustüre: «Gerade von Manuela Schär habe ich sehr viel gelernt, ich bin ihr sehr dankbar.»
Viermal Gold und einmal Silber hat sie schon, und am Sonntag folgt noch der Marathon. Es ist die Distanz, in der die ursprüngliche Sprinterin innert kürzester Zeit von der Anfängerin zur Spezialistin aufgestiegen ist. Der Anfang sei – für einmal – nicht geplant gewesen, sagt sie mit einem Schmunzeln: «Damit begonnen habe ich im Lockdown, weil es mir ein wenig langweilig war. Es ist viel Fleissarbeit, und ich dachte, ich brauche eine Aufgabe und habe mit den langen Einheiten begonnen.»
Mittlerweile ist sie auch über die 42,195 Kilometer absolute Spitze und zählt zu den Favoritinnen. Und hat einen Traum: «Am Schönsten wäre es natürlich, gemeinsam mit Manuela Erfolg zu haben.»
Debrunner und Schär gemeinsam auf dem Podest – es wäre der schönstmögliche Abschluss für beide Athletinnen.