Samstagmorgen, die Sonne brennt, der Himmel ist blau, der Wind hält still. Zweitletzter Tag bei Olympia. Was wird er bringen? Eine Sensations-Medaille für die Schweiz zum Abschluss der Spiele? Kann Morgane Métraux ihre ausgezeichnete Ausgangsposition im Weltklassefeld der Golferinnen ins Trockene bringen?
«Le Golf National» gehört zu den schönsten Golfplätzen in Europa. Hier haben schon grosse internationale Wettbewerbe stattgefunden, darunter der Ryder Cup 2018. Wird diese tolle Anlage zum Glücksbringer der Lausannerin? Eine Stunde, bevor Morgane Métraux ihre Runde beginnt, spielt sie sich auf einem kleinen Green im Schatten der Haupttribüne ein. Ein lockeres Aufwärmen. Fast jeder Putt sitzt. Morgane scheint ganz ruhig, erfüllt Selfie- und Autogrammwünsche. Der Tag beginnt gut.
Noch vor wenigen Tagen hätten wir uns nicht zu erträumen gewagt, dass die 27-Jährige beim Olympischen Golfturnier um Medaillen spielt, gar als Co-Leaderin in den letzten Tag startet. Aber dieser hat es in sich. Da geht was ab im Kopf der Athletinnen. Da kann so viel passieren. Vorsprung verwalten? Das geht nicht. Wer eine Medaille gewinnen will, muss attackieren und die Nerven im Griff haben, denn Golf ist ein Psycho-Spiel.
Start geht ins Wasser
Métraux setzt bereits den ersten Abschlag am ersten Loch ins Wasser. Kein guter Start, aber auch kein Drama. Das kommt bei Loch 5, das der Lausannerin zum Verhängnis wird. Zweimal spielt sie den Ball ins Rough, ins hohe Gras rund um das Fairway. Am Ende braucht sie drei Schläge zu viel, spielt einen sogenannten Triple Bogey, rutscht damit auf dem Leaderboard ab auf den geteilten 9. Rang, später gar auf den geteilten elften. Das tut weh. Aber ganz ehrlich: Hätte man der Schweizerin vor Olympia einen Top-10-Platz angeboten, zumindest wir Schweizer Zuschauer hätten ihn mit Handkuss genommen.
Nicht so Morgane Métraux. Obwohl sie in der Weltrangliste auf Rang 137 steht und die ganze Weltspitze in Paris dabei ist, sagte sie vor den Spielen: «Ich träume von einer Medaille und werde alles dafür tun, diesen Traum zu realisieren.» Doch wie schwierig das ist, wie stark die Konkurrenz ist, zeigt dieser Entscheidungstag.
Weltklassespielerinnen schaffen es vielleicht, einen solchen Rückschlag wegzustecken und sich Birdie für Birdie, also Punkt für Punkt, wieder zurück an die Spitze zu kämpfen. Manchmal reicht ein guter Schlag, der Applaus des Publikums, um wieder zurück in die Spur zu kommen, um neues Selbstvertrauen zu finden. Métraux ist bei Hälfte der Runde noch nicht aus dem Medaillenrennen. Bloss die führende Neuseeländerin Lydia Ko, die bereits eine Silber- und eine Bronzemedaille bei Olympia gewonnen hat, hat sich etwas abgesetzt. Das Rennen um Silber ist total offen. Morgane fehlen zwei Punkte.
Familie fiebert mit
Und sie weiss um die Unterstützung ihrer Familie, die auf der Anlage mitfiebert. Doch Morgane kassiert auch am zwölften Loch das Bogey (+1) und ist plötzlich gleichauf mit der zweiten Schweizerin am Start, Albane Valenzuela (26), die nach drei verpatzten Runden die Medaillenträume früh begraben musste, aber am letzten Tag mit einer Minus-Siebner-Runde eine Weltklasseleistung zeigte. Das wars! Könnte man doch die Leistungen der Schweizerinnen einfach mischen. Am Ende reichte es Valenzuela zum geteilten 13. Rang (-3). «Es gibt nichts Härteres als Olympia. Es war schwierig für mich, motiviert zu bleiben, nachdem es nicht gut gelaufen war», sagte sie. «Zum Glück konnte ich doch noch zeigen, was in mir steckt. Diesen letzten Eindruck nehme ich mit auf meinen Weg zu den nächsten Zielen.».
Ganz anders die Gefühlslage bei Morgane Métraux, die schliesslich den geteilten 18. Rang (-2) belegte. «Ich habe Fehler gemacht. Es hat sich ein bisschen was angesammelt an diesem Tag. Danach habe ich auch ein paar tolle Schläge gemacht. Es wird eine Weile dauern, bis ich das vergessen kann, aber ich werde viel daraus lernen.» Trotz des brutalen Absturzes hat uns auf Morgane auf eine abenteuerliche Reise mitgenommen, die uns grosse Emotionen bescherte, die wir so nicht erwartet hätten. Beide Spielerinnen haben Werbung für den Schweizer Golfsport gemacht und diesen auf ein neues Level gehoben.