Fluch der vierten Plätze
Schweizer Team hat schon historisch viel Medaillenpech

Ist der Vierte bei Olympia der erste Verlierer? Nein. Jedes Leder ist anders einzuschätzen. Einfacher macht es die Sache dennoch nicht.
Publiziert: 08.08.2024 um 14:45 Uhr
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Aktualisiert: 08.08.2024 um 15:56 Uhr
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Sie bedankte sich für die Unterstützung, war aber am Boden zerstört: Angelica Moser. Sie wurde Vierte, wie so viele andere Schweizer …
Foto: BENJAMIN SOLAND

Leder, Leder, Leder, Leder, Leder, Leder, Leder und nochmals Leder. Haben Sie gezählt? Genau, achtmal Platz vier gab es bislang für die Schweiz bei den Olympischen Spielen in Paris. Es sind so viele wie nie in den letzten 20 Jahren (siehe Box). «Wir Schweizer sind offenbar ziemlich gut darin, Vierte zu werden», sagte Simon Ehammer (26) mit Ironie und Tränen in den Augen. Der Appenzeller war – wie könnte es anders sein – beim Weitsprung knapp neben dem Podest gelandet. 

Schweizer Olympia-Ausbeute: Medaillen, 4. Plätze, Diplome

Athen 2004: 5 Medaillen, 2 vierte Plätze, 13 Diplome

Peking 2008: 7 Medaillen, 1 vierter Platz, 13 Diplome

London 2012: 4 Medaillen, 1 vierter Platz, 6 Diplome

Rio 2016: 7 Medaillen, 2 vierte Plätze, 18 Diplome

Tokio 2021: 13 Medaillen, 4 vierte Plätze, 23 Diplome

Paris 2024: 7 Medaillen, 8 vierte Plätze, 36 Diplome

Stabhochspringerin Angelica Moser ist eine von vielen Schweizerinnen, die mit Platz 4 leben muss.
BENJAMIN SOLAND

Athen 2004: 5 Medaillen, 2 vierte Plätze, 13 Diplome

Peking 2008: 7 Medaillen, 1 vierter Platz, 13 Diplome

London 2012: 4 Medaillen, 1 vierter Platz, 6 Diplome

Rio 2016: 7 Medaillen, 2 vierte Plätze, 18 Diplome

Tokio 2021: 13 Medaillen, 4 vierte Plätze, 23 Diplome

Paris 2024: 7 Medaillen, 8 vierte Plätze, 36 Diplome

Es stellt sich langsam aber sicher die Frage: Fehlt den Schweizer Athleten der Killerinstinkt, um auf oberstem Niveau das zu erreichen, was alle wollen – also die Medaillen? Swiss Olympic schreibt, das sei eine interessante Frage, auf die Chef de Mission Ralph Stöckli allerdings erst am Sonntag, bei der Bilanz-Medienkonferenz, eingehen wolle. Sicher ist: Jeder vierte Platz ist anders einzustufen. Blick liefert die Übersicht. Da sind die Schweizer Pechvögel!

Fabienne Schweizer (26), Célia Dupré (22), Pascale Walker (29) und Lisa Lötscher (24): Geschichte geschrieben

Nicht jeder Leder-Platz ist auch eine Pleite. Das beste Beispiel dafür ist der Schweizer Doppelvierer. Nie zuvor hatte es ein Schweizer Grossboot bei den Frauen in einen Olympia-Final geschafft. Und dort drehte das Schweizer Quartett nach 1000 Metern derart auf, dass am Ende nur eine halbe Bootslänge auf den Bronze-Platz fehlte. Dupré: «Es war ein super Duell mit Deutschland, leider hat es nicht gereicht. Aber das ist ein historischer Schritt vorwärts.»

Martin Dougoud (33): Frust am Feiertag

Es ist der Schweizer Nationalfeiertag, doch Dougoud hat nichts zu bejubeln. 57 Hundertstel fehlen ihm in Vaires-sur-Marne beim Kajak-Slalom zu einer Medaille. Tönt nach wenig? Ist es aber nicht. Trotzdem: Als der Genfer wenige Tage später auch im Kajak Cross als Fünfter knapp scheitert, ist er komplett bedient. «Ich wollte es unbedingt, ich wollte die Medaille in die Schweiz bringen», sagt er mit Tränen in den Augen. 2028 in Los Angeles wäre Dougoud 38 Jahre alt – er spielt mit dem Gedanken, es nochmals zu versuchen.

Jan Schäuble (24) und Raphaël Ahumada (23): Nie mehr Olympia?

Nein, ganz knapp war es nicht. Gut drei Sekunden fehlten den beiden Doppelzweiern zur Bronzemedaille. «Es ist hart, weil wir in den letzten zwei Jahren immer auf dem Podest standen», so Ahumada. Doppelt bitter: Die zweifachen Ruder-Europameister verpassten eine einmalige Chance. Warum? Der Leichtgewichts-Doppelzweier wird aus dem Olympia-Programm genommen. Wie es weitergeht, ist offen – vor allem bei Schäuble ist der Rücktritt vom Spitzensport möglich.

Cedric Butti (25): Frankreichs Heimvorteil

Gleich alle drei Podestplätze an Frankreich? Für BMX-Crack Butti war das nicht nur Zufall. «Die französischen Athleten durften auf der Rennstrecke trainieren. Eine Frechheit, das wurde extra auf diese Spiele hin eingeführt», so der frustrierte Thurgauer. Butti hatte überzeugt und den Final erreicht – das war sein Ziel gewesen. Aber eben, mit der (verpassten) Medaille vor Augen mussten die Emotionen raus.

Noè Ponti (23): Erbt er Bronze?

Nein, verteidigen will sich Ponti in der La Défense Arena nach den 100 Metern Schmetterling nicht. Im Gegenteil, er nimmt die Schuld auf sich: «Ich habe die Medaille beim Anschlag vergeben», der Tessiner. Im Gegensatz zu Tokio 2021 verpasst er Bronze, 10 Hundertstel fehlen. Oder gibts doch noch Edelmetall? Ein Video im Netz lässt vermuten, dass Silbermedaillen-Gewinner Josh Liendo (Ka) nur mit einer statt mit zwei Händen angeschlagen hat. Der Fall wird geprüft. Es ist trotzdem nicht davon auszugehen, dass Ponti noch Edelmetall erben wird.

Darf Ponti dank dieser Szene noch auf Bronze hoffen?
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Unkorrekter Anschlag:Darf Ponti dank dieser Szene noch auf Bronze hoffen?

Simon Ehammer (24): Bittere Erkenntnis

Übertritt! Und das gleich beim ersten Sprung. Ehammer erwischt einen denkbar schlechten Start in den Wettkampf. Aber er lässt sich nicht beirren, fliegt darauf 8,20 Meter weit. Das Problem? Dabei bleibts, er verbessert sich nicht mehr. «Ein vierter Platz bei Olympia ist keine Niederlage, das ist super. Aber ich weiss, dass viel mehr dringelegen wäre», sagt er mit Tränen in den Augen.

Maud Jayet (28): «Ich bin zerstört»

Jayet hat drei Jahre lang alles dem Ziel Olympia untergeordnet und härter trainiert als je zuvor. Es hat nichts gebracht. Die Seglerin (Kategorie ILCA 6) wird in Marseille nach sechs Tagen mit vielen Rennen und noch mehr Verschiebungen Vierte. «Ich finde keine Worte, um zu beschreiben, wie es mir geht. Ich bin zerstört», so die zweifache Vize-Weltmeisterin aus Lausanne. Wie es weitergeht, weiss sie noch nicht.

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Angelica Moser (26): 5 Zentimeter fehlten

Seit 36 Jahren wartet die Schweiz auf eine Olympiamedaille in der Leichtathletik. Werner Günthör war 1988 in Seoul der Letzte, der das Kunststück schaffte – Bronze im Kugelstossen. Und siehe da: Moser steht beim Stabhochsprung am Mittwochabend kurz davor, diese Durststrecke zu beenden. Von 4,40 Meter bis 4,80 Meter – alle Höhen meistert sie im ersten Versuch. Doch dann gerät ihr Motor ins Stocken, sie reisst die Latte dreimal nacheinander, ist draussen und weint. «Es tut weh», sagt sie danach. Es bleibt dabei: Noch nie stand eine Schweizer Leichtathletin auf einem Olympia-Podest.

Sieben Medaillen hat die Schweiz bislang in Paris gehamstert und damit die Vorgaben erfüllt. Das sind sechs weniger als vor drei Jahren in Tokio. Bei der Anzahl gewonnener Diplome (Ränge 1 bis 8) ist das Bild gedreht: In Tokio waren es 23, jetzt sind es 36. Heisst: Swiss Olympic hatte weniger Athleten auf dem Podest, die Breite in der erweiterten Weltspitze ist aber grösser geworden.

Angelica Moser weint in Paris bittere Tränen
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4. Platz im Stabhochsprung:Angelica Moser weint in Paris bittere Tränen
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