Gold hat er sich gewünscht, Silber ist es geworden für Steve Guerdat. Vor seiner Abreise nach Paris hat der ehrgeizige Springreiter ohne Umschweife über die Ziele geredet. Und eine klare Ansage gemacht: «Alles andere als eine Medaille wäre eine Enttäuschung.» Der 42-Jährige hält im Einzel-Final Wort und liefert. Dies, nachdem das Team wenige Tage zuvor bereits in der Quali bitter gescheitert ist.
«Dass es danach eine Medaille gegeben hat, macht mich glücklich und unglaublich stolz auf mein Team und Dynamix», so Guerdat. Der Jurassier gesteht, dass er Tage hinter sich hat, die alles andere als angenehm gewesen sind. Denn Guerdat, der vor elf Monaten im Sattel der Stute schon zum EM-Titel geritten ist und sie ein Genie nennt, war sich eine so schlechte Runde (zwei Abwürfe) mit ihr nicht gewöhnt. «Ich war durcheinander. Seit Dynamix ein junges Pferd war, hatte ich immer nur gute Tage mit ihr.»
Doch Guerdat bleibt ruhig. Und die guten Tage kommen wieder. In der Einzel-Qualifikation und dann im Final. Obwohl der Parcours im Schlossgarten von Versailles den Springreitern und ihren Pferden alles abverlangt, mit viel Höhe und Breite bei den Sprüngen und herausfordernden Distanzen dazwischen.
Gold knapp verpasst
Nur drei Reiter schaffen es ohne Abwurf ins Stechen: der Deutsche Christian Kukuk mit Checker, der Holländer Maikel van der Vleuten mit Beauville und eben Steve Guerdat. Die Medaillen werden unter ihnen verteilt. Als Schlussreiter hat der Schweizer die perfekte Ausgangslage, weil er abschätzen kann, wie viel Risiko er eingehen muss. Weil Kukuk eine starke Zeit vorlegt, muss Guerdat attackieren. Doch nach einer zu engen Wendung fällt eine Stange beim zweitletzten Steilsprung. Er holt Silber hinter dem Deutschen. «Dynamix sprang fantastisch», so Guerdat.
Vor einigen Jahren wäre beim ambitionierten Springreiter vielleicht noch etwas Enttäuschung mitgeklungen, dass es nicht ganz für Gold gereicht hat. Doch der Olympiasieger von 2012 strahlt auch mit der Silber-Medaille um den Hals. Denn ihre Bedeutung ist genauso gross wie jene der Goldenen in London.
Guerdat will Silber auskosten
Seine Erklärung: «Wir betreiben einen Sport, bei dem eine lange Karriere möglich ist. Dennoch gibt es viele Weltklasse-Reiter, die noch nie eine Einzel-Medaille gewonnen haben. Und für mich ist dies schon die Zweite.» Er habe bewiesen, dass das Gold in London kein Zufall gewesen ist.
Sie ist damals ein Überraschungs-Coup. 2012 gehört Guerdat mit seinem Wallach Nino des Buissonnets, der da erst ein Jahr in seinem Beritt ist, nicht zum Favoritenkreis. Er ist befreit vom Medaillen-Druck, den er sich vor Paris dann selbst auferlegt. Weil er weiss, wozu seine geniale Stute fähig ist, die er seit sechs Jahren schon sattelt und schonend aufgebaut hat. Weil er weiss, dass er in den letzten zwölf Jahren reiterlich noch besser und erfahrener geworden ist. Dass er Wort hält, bedeutet der Weltnummer 4 deshalb viel.
Mit Familie und Freunden werde er nun feiern. Sein Versprechen: «Diese Silber-Medaille werde ich richtig geniessen.» Hinter dieser Aussage steckt die Reue Guerdats, seinen Gold-Triumph damals in London nicht wirklich ausgekostet zu haben. Das holt er jetzt mit Silber nach.