Géraldine Ruckstuhl (26) strahlt und ist voller Tatendrang. Aber nicht mehr im Spitzensport. Vor drei Wochen hat die Siebenkämpferin und ehemalige U18-Weltmeisterin überraschend ihre Karriere per sofort beendet. Mitten in der Quali-Phase für Olympia. Das nötige Feuer fehlte, erklärte sie. Doch was hat dazu geführt, dass es erloschen ist?
Mit etwas Abstand auf den Rücktritt sei ihr einiges noch klarer geworden, verrät Ruckstuhl, als sie mit Blick über die genauen Hintergründe spricht. Der Entscheid fühlt sich für sie nach wie vor absolut richtig an.
Sie wunderte sich über die anderen – und wurde dann selber so
«2017 an der WM in London habe ich mich gefragt, was mit den anderen los ist», erinnert sich Ruckstuhl, die damals 19 war und als Supertalent galt. «Alle waren so fokussiert, ernst, und ich war einfach da und hatte Freude.» Jetzt hat sie sich dabei ertappt, wie sie in den letzten Jahren selber so geworden ist, wie die, die sie beobachtet hat. Das Strahlen an den Wettkämpfen ist verschwunden.
So sah sie auch kaum mehr die Möglichkeit, die Olympia-Quali für Paris 2024 zu schaffen. Denn dafür hätte sie eine persönliche Bestleistung gebraucht. Körperlich fühlte sie sich eigentlich bereit. Aber eben, das Feuer. Das Gedankenspiel, im Sommer in Paris im grossen Stadion anzutreten, habe gar nicht mehr so viel ausgelöst.
Der Knackpunkt war das Drama um Olympia
Jetzt, in den Tagen nach ihrem Rücktritt, wurde der Siebenkämpferin erst so richtig klar: Der Grund, warum das Feuer erloschen ist, hat auch mit Olympia zu tun. Mit einem spezifischen Moment. «2021 ist mein Herz für die Leichtathletik zerbrochen», sagt sie. Was ist passiert?
Wir gehen eine Olympiade zurück. Ruckstuhl plante mit den um ein Jahr verschobenen Spielen 2021 in Tokio, laborierte aber noch an einem Fussproblem. Dann der Hammer: keine Selektion! Obwohl sie die Qualifikationskriterien als 24. der Weltrangliste erreicht hätte, durfte die Luzernerin aus Altbüron nicht mit.
Der Schweizer Leichtathletikverband erklärte damals, dass ihr Formstand, die Formkurve und das erwartete Leistungsvermögen ein Aufgebot nicht gerechtfertigt hätten. Ruckstuhl sagt, dass sie ja noch Zeit gehabt hätte, die Verletzung auszukurieren und es auch wichtig hätte sein können, als junge Athletin Erfahrung an diesem Grossanlass zu sammeln.
Im Lift mit Usain Bolt – und was er mit dem Feuer zu tun hat
Ruckstuhl war damals bitter enttäuscht, wollte aber noch stärker zurückkommen, krempelte dafür ihr Umfeld um. Doch jetzt, drei Jahre später, hat sie herausgefunden: Sie brannte nie mehr richtig dafür. Lange habe sie das gar nicht gemerkt.
Das Feuer führt auch zum inspirierendsten Weltstar, der ihr in all den Jahren über den Weg gelaufen ist. Als sie als 19-Jährige 2017 in London an der Elite-WM war, ging sie in den Lift – und da war plötzlich Usain Bolt drin. «Ich habe kein Wort herausgebracht», erinnert sie sich.
Aber genau die jamaikanische Sprint-Legende verkörperte für Ruckstuhl, was ihr zuletzt abhandengekommen ist. «Nachher am Buffet machte er Witze, war locker drauf. Wenn du ihn gesehen hast im Vergleich zu anderen im Essenssaal, da konnte man schön sehen, wer es noch aus Leidenschaft macht.»
Da war auch Ruckstuhl noch eine Leichtathletik-Frohnatur. Jetzt ist sie es neben Feld und Bahn. Sie sprudelt nur so von Projekten, die sie anpacken könnte. Es scheint, als wären es fast mehr als die Anzahl Disziplinen, die sie als Siebenkämpferin bestritten hat.