Wien, wir kommen! Der Traum der Heim-EM lebt im Ausland weiter. In der Stadthalle der österreichischen Hauptstadt. Im entscheidenden dritten Spiel in der Basler St. Jakobshalle ringt die Nati die Kroatinnen 26:22 nieder.
Die Anspannung in der zweiten Halbzeit ist bis unters Hallendach spürbar. Was für ein Zittern. Und dann steht das Publikum. Standing Ovation für die erste Qualifikation der Frauen-Nati für eine Hauptrunde in der EM-Geschichte – bei der zweiten Teilnahme.
Die Koffer haben die Schweizerinnen sowieso schon gepackt – unabhängig vom Ausgang. Für die Heimreise im Fall einer Niederlage. Oder – viel besser und nun Realität – für die Hauptrunde dieser EM.
Koffer schon gepackt? «Da wird jetzt alles reingeschmissen»
Wobei: Haben die Spielerinnen den Koffer wirklich schon gepackt? «Nein, da wird jetzt alles reingeschmissen», lacht Daphne Gautschi, die die Schweiz als Schlüsselspielerin zusammen mit Tor-Garantin Tabea Schmid in der Zitterphase im Spiel gehalten hat.
Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Bereits am Mittwoch um 11 Uhr soll das Charter-Flugzeug nach Wien abheben! Nur rund 13 Stunden nach der Schlusssirene in der St. Jakobshalle. Am Donnerstag trifft die Schweiz bereits auf Deutschland. Die weiteren hochkarätigen Gegner in der Hauptrunde: Slowenien, Holland und Norwegen.
Der Traum-Start von Goalie bis zur 17-Jährigen
Etwas unterstreicht die Grösse des Sieges: Die Kroatinnen holten vor vier Jahren EM-Bronze! Davon ist zwar nicht mehr viel zu sehen. Und weil die Kroatinnen am Sonntag gegen die Färöer nicht über ein 17:17 hinauskamen, hätte der Schweiz für den Sprung unter die besten zwölf Nationen Europas auch ein Unentschieden gereicht. Nun ist es ein Zittersieg, trotz souveräner Leistung in der ersten Halbzeit.
Die Schweizerinnen starten ausgezeichnet in die Partie. Goalie Lea Schüpbach, im Nachhinein zur Spielerin des Spiels gewählt, pariert alle ersten drei Abschlüsse, vorne eröffnet Emma Bächtiger das Skore, die 17-jährige Era Baumann bleibt cool und legt nach.
Baumann erstaunt weiter. Als die Teenagerin von GC Amicitia in der 26. Minute den vierten ihrer vier Abschlüsse souverän verwertet, steht es 15:6. Die Schweizerinnen spielen sich in einen Rausch. Zuvor hat Kroatien bereits das zweite von drei Timeouts verbraucht – ein gutes Zeichen für die Nati.
Die Angst vor dem eigenen Erfolg? Auch jetzt wieder
Doch dann der Knick: Die wenigen Minuten vor der Pause zeigen, dass das Momentum im Handballsport schnell kippen kann. Auf sechs Tore kommt Kroatien bis zur Pause heran. Doch man ist noch klar vorne. «Ich habe schon sehr viel Nervosität. Aber ich bin mega gern nervös, das zeigt, dass es uns sehr viel bedeutet», sagt die eiskalte Baumann noch bei SRF.
Doch die Worte der Schweizer Schlüsselspielerin Daphne Gautschi kommen wieder in den Sinn. Nach dem Startspiel gegen die Färöer, als die Schweiz zuerst ebenfalls souverän führte, und dann für den Sieg doch noch zittern musste, sagte die Frankreich-Legionärin bei SRF: «Wir haben am Schluss wohl etwas Angst bekommen vor dem eigenen Erfolg.»
So ist es auch jetzt. Denn die Kroatinnen treffen auch nach der Pause, der Vorsprung der Nati schmilzt bedrohlich. Ist es wieder die Angst vor dem eigenen Erfolg, der vor Augen ist? Gautschi nach der Partie zu Blick: «Ja, auf jeden Fall. Wir sind so gut gestartet, und ich glaube, wir fangen dann immer an, zu realisieren, wie gut wir eigentlich sind. Wie viel besser wir eigentlich sind. Deshalb habe ich vielleicht auch von einer mentalen Schwäche gesprochen. Aber wir gingen auch noch nie durch diese Situation durch.»
Die Schlüsselspielerinnen halten die Nati durch heikle Phase
Zweimal mit neun Toren Vorsprung stehen die Schweizerinnen in der ersten Halbzeit da. Dann klappt lange nicht mehr viel. Nur noch die absoluten Schlüsselspielerinnen Schmid und Gautschi treffen, die jüngeren Emmenegger, Bächtiger, und Co. zeigen, im Gegensatz zur ersten Halbzeit, Nerven.
Auch Schüpbach, die in der ersten Halbzeit teilweise sensationell pariert, hält nicht mehr so viele Bälle. So steht plötzlich Seraina Kuratli im Tor, die ebenfalls erst 17-jährig ist! Tatsächlich gelingt ihr in der 50. Minute eine Schlüsselparade mit dem Fuss, sie hält den knapp gewordenen Vier-Tore-Vorsprung fest.
Es ist eine zähe Phase, die Schweizerinnen bringen kaum Schüsse ins Tor. Alle zittern im Stadion. Dann, in den letzten Minuten, funktioniert es. Nun trifft auch Youngster Baumann wieder: zwei enorm wichtige Treffer in der 56. und 57. Minute. Wenig später steht der Sieg fest.
Zuschauer? Hervorragend! Aber genug?
Das erste Ziel haben die Schweizerinnen am letzten Freitag bereits erreicht: den ersten Sieg an einer EM – im zweiten Anlauf. Dies gelang gegen die Färöer.
Der EM-Premierensieg war aus noch einer Sicht historisch: Die 4670 Zuschauer, die in Basel das Spiel gegen die Färöer schauten, waren klarer Rekord bei einem Frauen-Handballspiel in der Schweiz. Gegen Dänemark waren es dann 5423 und nochmals klarer neuer Rekord. Die 3826 Fans beim alles entscheidenden Spiel, obwohl unter der Woche, sind daher etwas enttäuschend.
Doch die, die in der St. Jakobshalle mitfiebern, machen Stimmung. Es ist ohrenbetäubend laut. Und vielleicht hat dieser historische Sieg, der von Spannung kaum zu übertreffen ist, etwas in der Handball-Schweiz bewirkt. Es ist auf jeden Fall der gelungene Abschluss der Heim-EM in Basel – doch das Turnier lebt für die Schweiz weiter. Nein, es fängt erst richtig an.