Kurvensperrungen erweisen sich als zahnlos
Bestrafte Fans führen Klubs und Behörden vor

Gleich zweimal zeigt die organisierte Fanszene den Behörden am Wochenende die lange Nase. Erst mit dem Fake-Trip nach Bern. Dann kreieren die YB-Ultras im Wankdorf eine Ad-hoc-Kurve für sich. Die Reaktionen sind gemischt.
Publiziert: 23.01.2024 um 15:51 Uhr
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Aktualisiert: 23.01.2024 um 16:41 Uhr
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Dieser YB-Fan ist das fleischgewordene Symbol für das Katz- und Mausspiel der Fans mit den Behörden, indem er eine Wo-ist-Walter-Pappmaske trägt.
Foto: Claudio de Capitani/freshfocus
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Alain KunzReporter Fussball

Mit viel Tamtam proklamiert die Schweizer Fanszene am 16. Januar: «Es reicht – alle nach Bern!» Die Fans aller Klubs sollten gemeinsam ihren Unmut über Kollektivstrafen und Nulltoleranz nach Bern tragen. Und zum zweiten Mal nach den Spielunterbrüchen mit Rauchpetarden am letzten Spieltag 2023 den Kollektivstrafen kollektive Antworten folgen lassen. 

Das Ganze stellte sich als einziger Bluff heraus. Am Samstagmittag verkünden die Fans United, dass es nie ihr Plan gewesen sei, nach Bern zu reisen. Sie hätten nur zeigen wollen, dass ein Aufruf genüge, um den Sicherheitsapparat ins Rollen zu bringen.

Mehrkosten hat der Fan-Aufruf laut Nause nicht verursacht

Konkret: In einem Communiqué hatte die Regionalpolizei Bern festgehalten, dass solch eine Aktion bewilligungspflichtig sei, deshalb nicht toleriert werde und man die nötigen Massnahmen treffen werde, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Für Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause war das alternativlos: «Behörden und Kantonspolizei sind verpflichtet, solche Aufrufe ernst zu nehmen und ihnen nachzugehen. Alles andere wäre fahrlässig.» Mehrkosten habe das aber nicht verursacht. «Wir hatten in der Stadt ohnehin eine Klimakundgebung und am Abend das Spiel YB gegen GC. Da war ein Polizeiaufgebot im Einsatz.»

Erst ein Schürpf-Patzer sorgt für Berner Erlösung
3:58
YB – GC 1:0:Erst ein Schürpf-Patzer sorgt für Berner Erlösung

Und an besagtem Spiel zeigen die Fans den Bewilligungsbehörden erneut die lange Nase. Wegen der Krawalle von YB-Fans im Nachgang des Spiels von Ende Oktober gegen GC in Zürich, bei dem ein Linienbus zerstört und dessen Fahrer massiv bedroht wurde, hatten die Bewilligungsbehörden das Kaskadenmodell aus der Schublade gezogen und die Schliessung des Heim-Fansektors im Wankdorf angeordnet.

In der Pause kommen die (gesperrten) Fans

Entsprechend war dann eine Stimmung in Halbzeit eins quasi nicht-existent. Die Idealvorstellung dieser Bestrafung. Auch der Gästesektor war leer. Die GC-Fans solidarisierten sich freiwillig mit denjenigen von YB. Aber: Die Fans standen vor dem Stadion.

In der Pause kamen sie dann rein. Die GC-Fans veranstalteten eine selten gesehene Pyro-Orgie. Derweil die YB-Ultras plötzlich den Sektor C16 neben/über der Ostkurve bevölkerten, einzelne Pyros anzündeten und fast schon für die übliche Stimmung sorgten. Ein Ad-absurdum-Führen der Strafe sondergleichen!

YB wusste von nichts

Nause sieht das nicht so. «Das Parkett im Sektor D umfasst 3000 Fans. Und der war leer. Die Massnahme hat also funktioniert. Die ‹schweren Jungs› waren nicht präsent. Und wenn sich nun Einzelne im Sektor C einfinden, wo einige Fans sitzen, die der Kurve nahestehen, dann kann man das nicht verhindern.» Choreos habe es ja gar keine gegeben. Und Pyros seien auch nur vereinzelt abgebrannt worden.

Und doch: Die Ostkurve hat alles wunderbar orchestriert. Ohne Wissen von YB, wie der Klub auf Anfrage sagt. So haben die Ultras wohl die ihnen nahestehenden Dauerkartenbesitzer des Sektors C16 kontaktiert und umplatziert. Und selber alle verfügbaren Tickets zusammengekauft. Denn ihre eigenen Dauerkarten waren für dieses Spiel gesperrt.

Eine Umgehung der Strafe, denkt auch Kayser

Am Ende des Tages bleibt festzustellen, dass es sich um eine Umgehung der Bestrafung handelt – ein Standpunkt, den auch Karin Kayser, Co-Präsidentin der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren, teilt. «Angesichts der aktuellen Rechtslage lässt sich nicht verhindern, dass gewaltbereite Fans reguläre Tickets erwerben und sich unter die übrigen Zuschauer mischen. Immerhin kann auf diese Weise die Konzentration der Gewaltbereitschaft verringert werden.»

Nächste Kurvensperrung trifft den FCZ

Die nächste Kurvenschliessung ist bereits verhängt. Denn nach dem Klassiker zwischen Zürich und Basel gingen laut Stadtpolizei Zürich rund hundert Fans des FC Zürich mit pyrotechnischen Gegenständen, Steinen und Flaschen auf die Polizisten los. Zum Gewaltausbruch sei es gekommen, weil Zürcher Fans die Konfrontation mit den FCB-Fans gesucht hätten. Die Polizei habe diese verhindern können. Doch nach Abfahrt des Extrazugs griffen die Zürcher Fans die Ordnungskräfte an und errichteten Barrikaden mit Abfallcontainern. Die Polizei antwortete mit Wasserwerfern und Gummischrot. Ob Personen verletzt wurden, ist gemäss Polizeimeldung nicht bekannt. 

Als Reaktion auf die Ausschreitungen verhängt die Konferenz der Polizeidirektoren (KKJPD) am Dienstag eine Sperrung der Südkurve für das Spiel FC Zürich – Lausanne am 31. Januar. (A.Ku.)

Die nächste Kurvenschliessung ist bereits verhängt. Denn nach dem Klassiker zwischen Zürich und Basel gingen laut Stadtpolizei Zürich rund hundert Fans des FC Zürich mit pyrotechnischen Gegenständen, Steinen und Flaschen auf die Polizisten los. Zum Gewaltausbruch sei es gekommen, weil Zürcher Fans die Konfrontation mit den FCB-Fans gesucht hätten. Die Polizei habe diese verhindern können. Doch nach Abfahrt des Extrazugs griffen die Zürcher Fans die Ordnungskräfte an und errichteten Barrikaden mit Abfallcontainern. Die Polizei antwortete mit Wasserwerfern und Gummischrot. Ob Personen verletzt wurden, ist gemäss Polizeimeldung nicht bekannt. 

Als Reaktion auf die Ausschreitungen verhängt die Konferenz der Polizeidirektoren (KKJPD) am Dienstag eine Sperrung der Südkurve für das Spiel FC Zürich – Lausanne am 31. Januar. (A.Ku.)

Nur personalisierte Tickets würden helfen

Was könnte Abhilfe leisten? Die Nidwaldner Regierungsrätin: «Personalisierte Tickets sind hilfreich. Damit kann einerseits der Ticketverkauf für eine bestimmte Person an einem bestimmten Spiel verweigert werden und andererseits können gewaltbereite Personen eher zur Rechenschaft gezogen werden. Leider fehlen uns immer noch die gesetzlichen Grundlagen dafür. Klubs könnten auf freiwilliger Basis diese personalisierten Tickets einführen.» Ist die Massnahme also untauglich? «Eine Massnahme ist nur so wirksam, wie sie umgesetzt wird, und dafür bedarf es der Beteiligung aller, einschliesslich der Ligen, Klubs und Bewilligungsbehörden. Ohne das Kaskadenmodell und die personalisierten Tickets kann man dieses Katz- und Mausspiel nicht verhindern.»

Was aber ganz bestimmt absurd ist: «Dass der bestrafte Heimklub, in diesem Fall YB, mehr Geld generiert als mit geöffneter Kurve, weil zusätzliche Tickets für den Sektor gekauft werden müssen, in welchem die Fans ihre Alternativkurve kreierten.»

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