Diego Armando Maradona mit dem BLICK in der Hand! Allein für dieses Foto, aufgenommen Ende Mai 2002 in Buenos Aires, bedarf es damals eines Riesenaufwands, verbunden mit der einen oder anderen abenteuerlichen Aktion und viel Geduld seitens der Redaktion. Einer, der sich noch genau an jene Tage erinnert, ist Christoph Graf (59), heute Präsident der Swiss Football Agents Association (SFAA), damals Fussballchef und stellvertretender Leiter Sport beim BLICK.
Aber der Reihe nach: Ganz am Anfang steht die Idee, Maradona für die Wochen während der WM in Japan und Südkorea als Kolumnist einzuspannen. Für ein Interview und auch, um den angestrebten Deal tatsächlich einzutüten, reisen Graf und sein Tessiner Mitarbeiter Romano Pezzani eigens nach Buenos Aires. «Teil der Abmachung war, dass wir bei diesem ersten Meeting schon die Hälfte des vorbesprochenen Salärs mitbringen sollten», erzählt Graf. Wie viel das war? «Total hatte er später 20'000 Dollar von uns überwiesen bekommen.» Eine Summe, die zu jenen guten Zeiten von einem Medienhaus noch zu stemmen war. Eine Summe, wie sie heute nicht mal mehr im Ansatz bezahlt wird.
«Diese Aktion war nicht ganz ungefährlich, denn Argentinien steckte damals in der Wirtschaftskrise», berichtet Graf: «Wir wurden vor der Kriminalität in Buenos Aires gewarnt, hörten von Entführungen auf offener Strasse – und dann kamen wir da mit 10'000 Dollar unter dem Arm an...» Eine Überweisung auf eine Bank in der südamerikanischen Metropole sei aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht möglich gewesen.
«So gegen halb zwei Uhr nachts kam er herein»
Vor der Reise wird dem Reporter-Duo ein Treffen in einem Hotel versprochen. Irgendwann am Abend sollte der Superstar dann an der Zimmertüre anklopfen, hiess es. Graf muss schmunzeln, als er an die Warterei zurückdenkt: «Wir sassen lange einfach nur da. So gegen halb zwei Uhr nachts kam er dann herein. Dazu muss man wissen: Es war ja Ende Mai. Also Spätherbst in Argentinien, mit dementsprechenden Temperaturen. Doch Maradona ist der Schweiss nur so heruntergelaufen – während ich beinahe erfroren wäre, weil sie auf seinen Wunsch hin im Hotel die Klimaanlage angestellt hatten.»
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Graf und Pezzani sehen von der ersten Sekunde an, dass da ein Mann sitzt, der schon im Alter von 42 Jahren klar vom Leben gezeichnet ist: «Rückblickend muss ich ehrlich sagen: Ich hätte ihm nicht noch weitere 18 Jahre zugetraut.»
Im Interview für den SonntagsBlick allerdings sei Maradona richtiggehend aus sich herausgekommen: «Er war sehr, sehr herzlich, unglaublich sympathisch. Es freute ihn, dass er nach seiner Zeit in Neapel mit uns wieder mal Italienisch reden konnte.» Der Kolumnen-Deal wird an jenem Abend eingetütet.
Auf einen Kick mit Diego?
Am nächsten Tag klingelt bei Graf das Telefon. Einer vom Maradona-Clan ist am Apparat. Was ist passiert? «Nichts! Maradona wollte einfach nur ausrichten lassen, dass er in der vorhergehenden Nacht derart den Plausch hatte, dass er mit uns noch irgendwo kicken gehen wollte.»
Kälte hin, Spätherbst-Wetter her. Wer schlägt Maradona schon ein Mätchli aus? «Ich habe mir vor Ort sogar noch Fussballschuhe gekauft», erinnert sich Graf: «Dann haben wir gewartet und gewartet, bis es bereits wieder dunkel wurde. Irgendwann kam dann der Anruf: Es geht leider nicht, Diego schläft immer noch...»
Okay, der Kick mit Maradona fällt ins Wasser. Dafür aber klappt es mit den Kolumnen ganz gut. Zumindest mit den ersten. Das Vorgehen: Maradona gibt seine Gedanken an einen argentinischen Journalisten weiter. Dieser schreibt sie auf und mailt sie nach Zürich. Graf: «Dort hat Pezzani aus dem Spanischen ins Italienische übersetzt – und ich dann vom Italienischen ins Deutsche.»
«Ich werde provozieren...»
Warum aber wählte Maradona ausgerechnet BLICK aus? «Als wir anfragten, fand er es eine gute Idee. Er wollte fair sein und in Südamerika niemanden bevorzugen. Da kam es ihm gerade recht, dass jemand von Ausserhalb anklopfte. Für uns war das natürlich auch eine Riesensache. Wir hatten Maradona exklusiv. Und die Kolumne sollte dann auch in Argentinien für grosses Aufsehen sorgen.»
Diego kündigt in der Ausgabe vom 27. Mai 2002, wenige Tage vor der Weltmeisterschaft, gross an: «Ich bin stolz, für BLICK zu schreiben. Ich werde mich mit Herzblut äussern. Und ich werde provozieren, so wie man es von mir gewohnt ist.»
Die wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften seiner Heimat, wie «Clarin», «La Nacion», «Olé» und «Gente», berufen sich in ihren Artikeln auf die Texte, die in der Schweiz gedruckt werden. Brisanten Stoff liefert ihr Landesheld genug. Denn: Argentinien scheidet an dieser WM früh aus – und Maradona leidet! Auch in seinen Kolumnen.
Der Captain der Weltmeister-Elf von 1986 kann das Scheitern seiner Nation nicht fassen. Er schreibt nach dem 0:1 gegen England: «Ich bin traurig und voller Hass.» Vor allem Coach Bielsa bekommt sein Fett weg: «In einem so wichtigen Spiel, bei dem es ein 0:1 aufzuholen galt, hätte er Spieler wie Batistuta und Veron nie auswechseln dürfen.» Maradonas Aussagen lösen im argentinischen Blätterwald ein mächtiges Rauschen aus, werden allerdings auch noch ziemlich zugespitzt.
Schon damals in finanziellen Schwierigkeiten
Als klar ist, dass für die Gauchos schon in der Vorrunde Schluss ist, spart Maradona auch nicht mit Selbstkritik. «Ich bin schuld!», schreibt er und gibt zu, es plage ihn ein schlechtes Gewissen, dass er in seiner Wahlheimat Kuba geblieben und nicht nach Japan geflogen sei: «Spieler wie Batistuta hatten meine Anwesenheit gewünscht.»
Graf sagt, mit dem Scheitern Argentiniens sei auch Maradonas Leidenschaft für die Zusammenarbeit abgeklungen. Auf die zweite Geld-Tranche habe sein Management aber natürlich bestanden. «Wir haben schon damals gemerkt, dass er finanziell in Schwierigkeiten gesteckt haben muss. Nach grossem Hin und Her haben wir es dann irgendwie geschafft, über ein Reisebüro in Luzern das Geld auf eine ungedeckte Kreditkarte zu bezahlen. Auch das war wieder eine echt abenteuerliche Aktion...»
Zu einem Wiedersehen mit Diego kommt es nicht, obwohl dieser später nochmals in Zürich weilt. Graf verpasst ihn knapp.
Als der frühere Journalist am Mittwochabend vom Tod Maradonas erfahren hat, sei er «erschrocken, aber nicht überrascht gewesen», wie er sagt: «Es ist tragisch! Aber ich werde jene Zeit und insbesondere das Treffen in Buenos Aires immer in spezieller Erinnerung behalten.» Ein besonderes Schmuckstück, das er aus jener kalten Nacht im Hotelzimmer mitgenommen hat: ein signiertes Argentinien-Trikot mit persönlicher Widmung. «Por Christoph, con Simpatia.» (Sinngemäss: «Für Christoph, mit Zuneigung.»)