DFB-Elf gibt sich selbstsicher
Die Deutschen, die Meister der grossen Töne

«From zero to hero», sagen die Engländer so schön. Und da kann es im überhitzten Fussball-Business ganz, ganz schnell gehen. Erst recht im Fall Deutschland.
Publiziert: 21.06.2024 um 20:03 Uhr
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Aktualisiert: 21.06.2024 um 20:16 Uhr
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So titelte die Bild am Donnerstag.
Foto: zVg
Alain Kunz, Herzogenaurach

Wie hatten sie sich doch selbst bemitleidet, die Deutschen, als sie unter Hansi Flick keinen Fuss mehr vor den anderen gebracht hatten. Negativer Höhepunkt: der 9. September 2023, als man Japan in Wolfsburg 1:4 unterlag und Flick gehen musste. Von einer «Peinlich-Peite» schrieb die «Bild». Der «Spiegel» sah «Fussball-Deutschland in der Krise». Die renommierte «Frankfurter Allgemeine» setzte allem den Deckel drauf – mit dem Titel: «Deutsches Schaubild des Schreckens.»

Alles rosarot ... ääh, pink

Jetzt, acht Monate später, ist plötzlich alles rosarot. Ääh, pink. Deutschland sieht sich selber bereits wieder als einer der grossen Favoriten. Weil Deutschland immer Favorit sei bei einem Turnier, heisst es. Die «Bild» titelt nach dem 2:0 gegen Ungarn bereits «Pink! Peng! Pott?» Geil, diese Schlagzeile. Und anderntags werden die beiden Wege in den Final minutiös aufgezeigt. Mit Stadien und möglichen Gegnern.

Immerhin: Dem schwierigeren Weg, jenem, der über Gruppenplatz zwei führt, wird genau gleich viel Platz eingeräumt wie dem Königsweg über Platz eins. Welcher es sein wird, darüber befindet einzig die Schweiz am Sonntag. Bei einem deutschen Sieg oder einem Remis gibts den Königsweg für Deutschland. Bei einer Niederlage dürfen wir den betreten.

Desinteresse der Medien?

Und doch dauert es an der gestrigen Medienkonferenz in Herzogenaurach geschlagene 23 Minuten, bis das Wort «Schweiz» von einem Journalisten oder Deniz Undav und Chris Führich auf dem Podium erstmals in den Mund genommen wird. Weil Blick nachfragt, ob dies Zeichen eines gewissen Desinteresses der deutschen Medien der Schweiz gegenüber sei.

Undav reagiert hellwach: «Also wir interessieren uns für die Schweiz. Und wir haben einen Mitspieler, der da spielt, der Leonidas Strigu. Natürlich passen wir auf. Das sind die anderen, die sich nicht für die Schweiz interessieren, wir interessieren uns schon dafür», sagt der Stuttgarter, auf die Journalistenschar deutend. Und, ja, sein Mitspieler heisst nur ungefähr Strigu …

Die Schweizer Endrunden-Bilanz ist besser als die deutsche

Die Schweiz nicht ernst nehmen? Ein Land, das sich an den letzten fünf Grossanlässen immer für die K.-o.-Runde qualifiziert hat? Das 2021 den aktuellen Weltmeister Frankreich in den Achtelfinals eliminierte und im Viertelfinal erst im Elfmeterschiessen an Spanien scheiterte? Die deutsche Bilanz in derselben Zeitspanne? Klar, da stand dieser Weltmeistertitel 2014. Aber da gabs auch zweimal ein Vorrunden-Aus wegen Niederlagen gegen Japan und Südkorea. Schon vergessen? «Vor der Schweiz muss die DFB-Elf sicher nicht zittern», schreibt die «Bild» am Freitag.

«Das Selbstbewusstsein darf man sich rausnehmen»

Es gehöre zum Fussball eben ein bisschen dazu, sagt «Bild»-Reporterin Yvonne Gabriel, dass es so schnell gehe. «Das Selbstbewusstsein darf man sich bei einer Heim-EM auch rausnehmen. Man möchte auch die Fans ein bisschen mitnehmen und mobilisieren.» Aber vor allem sei das Gefühl im Moment einfach gut, abseits der Ergebnisse. «Vieles, was Nagelsmann macht, ist richtig gut. Das Gefühl, nun schon ‹Berlin, Berlin›, wir träumen von Berlin› zu singen, wie dies die Fans tun, ist nicht ganz aus der Luft gegriffen.»

Dass da kein Platz für die kleine Schweiz bleibt, ist selbsterklärend. Na ja, ein bisschen, vielleicht. 

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