Die Deutschen wirbeln, wie wenn es kein Morgen gäbe.
Links Florian Wirtz (21), dem Leverkusen-Geschäftsführer Fernando Carro zwischenzeitlich ein Preisschild in der Höhe von 150 Millionen Euro umgehängt hat. Und rechts Bayerns Jamel Musiala (21), bisher der Superstar dieser EM. Und in der Mitte: Ilkay Gündogan (33), der Captain, in einer so offensiven Rolle wie noch nie. Vor allem nicht in der Nationalmannschaft.
Es war Julian Nagelsmanns Geniestreich, den gebürtigen Gelsenkirchner zum echten Zehner mit primär offensiver Ausrichtung zu machen. Es ist vielleicht das Entscheidungs-Puzzleteil, das die Deutschen derart stark macht. Zuvor gabs immer Diskussionen um Nationalspieler Gündogan. Auch zuletzt im von Nagelsmann vor dem EM präferierten 4-2-3-1-System mit einem defensiveren Gündogan. Im Klub, so hiess es, spiele er sowieso viel besser.
Vor dem EM-Start hatte Gündogan gesagt, dass ihn diese schon fast rituelle Diskussion nerve. Nun ist sie nicht auf einen, sondern auf zwei Schläge verstummt.
Player of the Match – auch für Kroos
Gegen Ungarn war Gündogan Player of the Match. Offiziell, seitens der Uefa, aber auch inoffiziell, geadelt von «Sir» Toni Kroos: «Es freut mich sehr für Illy», sagt der deutsche Superstar und spielte auf jene erwähnte Kritik und Widerstände an.
Der Spieler selbst nimmt das dankend an, doch die Töne bleiben leise: «Ich wollte immer geduldig bleiben und meine Aufgaben auf dem Platz erfüllen, ohne mich allzu wichtig zu nehmen. Je öfter man gemeinsam trainiert und spielt, desto besser ist das Gefühl auch für den Nebenmann. Das Gefühl in dieser offensiven Position, wo man schon vorher wissen muss, wie es weitergeht, wo man Einschuss-Situationen schaffen muss, wird immer besser.»
An einer Endrunde noch nie brilliert
Seine Bilanz bisher: «Man muss die gefährlichen Situationen überstehen, und wenn man das hinbekommt – eiskalt zuschlagen. So ist das Turnier. Das haben wir super gemacht.» Vor allem Gündogan, der nach seinem ersten EM-Tor (dem zweiten Endrundentor nach dem 1:0 gegen Japan in Katar 2022) mit drei Punkten nun EM-Topskorer ist.
Gewonnen hat er mit der Auswahl bislang noch nichts.
- 2012 kam er nicht zum Einsatz.
- 2014 wurde er nicht aufgeboten, weil er wegen Rückenproblemen über ein Jahr ausgefallen war.
- 2016 verpasste er die EM wegen einer Kniescheiben-Luxation.
- 2018 spielte er 59 Minuten gegen Schweden. Das wars.
- 2021 durfte er in den Gruppenspielen ran, nicht aber im Achtelfinal gegen England.
- 2022 war er bei der deutschen Horror-WM Stammspieler.
Die Nummer mit Erdogan
Und dann war da noch eine Sache, als er sich zusammen mit Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ablichten liess. Einem Anti-Demokraten, der sein Land autokratisch führt.
Derweil der 2018 zurückgetretene Özil mittlerweile Wahlkampf für Erdogan macht, hat sich Gündogan zur Aktion erklärt, als er dem Präsidenten ein Deutschland-Trikot mit der Aufschrift «Mit Respekt für meinen Präsidenten» geschenkt hatte und danach massiv angefeindet worden war. Er habe kein politisches Zeichen setzen, sondern seine aufgrund der Herkunft starke Verbundenheit zur Türkei manifestieren wollen. Mittlerweile hat man ihm verziehen. Die Coaches sowieso. Hansi Flick machte ihn zum Captain. Nagelsmann rüttelte nicht daran.
Zeichen setzt er nun auf dem Feld. Und wie! Der für England nicht berücksichtigte ehemalige Teamkollege bei Manchester City, Jack Grealish, adelt Ilkay: «Ich kann nicht beschreiben, wie gut dieser Kerl ist. Er ist wirklich einer der Besten, mit denen ich je das Vergnügen hatte, zu spielen.»