«Habe ich Xhaka angesteckt?»
Andreas Böni: Wir hatten etwa ein halbes Jahr um diesen Termin gekämpft. Irgendwann war dann klar: Wir können Granit Xhaka kurz vor der WM in London treffen: Termin nach dem Spiel gegen Chelsea in einem Restaurant ein wenig ausserhalb. Samstag auf Sonntag habe ich das Gefühl, leicht erhöhte Temperatur zu haben. Kein Problem, Medikamente rein, um 7 Uhr ab ins Flugzeug. Tagsüber ist mir ein wenig flau, der Appetit irgendwie weg. Abends der Termin mit Xhaka stellt kein Problem mehr dar. Wir essen und unterhalten uns zwei Stunden, locker und in guter Atmosphäre. Granit Xhaka fährt mich und seinen Berater José Noguera ins Hotel. Doch nach der Rückkehr ins Hotelzimmer gehts los: Magenkrämpfe, Bauchschmerzen. Ein Rückflug am Montagmorgen, während dem ich durch die Hölle ging. Aber alles gut, irgendwann überstanden, Interview im Kasten. Der Schreck folgt am Samstag darauf. Wenige Tage vor der WM muss Granit Xhaka nach 15 Minuten gegen Wolverhampton (2:0) ausgewechselt werden. Magenprobleme! Habe ich ihn etwa angesteckt? Mein Bruder wirft mir an jenem Abend bereits wort- und gestenreich vor, wie ich den Nati-Captain so kurz vor der WM nur ohne Maske treffen könne. Weil wir alles normale Menschen sind und uns nach so viel Pandemie doch nicht im Schneckenhaus verkriechen, sage ich ihm. Einige Spieler, nicht nur Xhaka, hätten Magen-Probleme gehabt, sagt Arsenal-Trainer Mikael Arteta dann nach dem Spiel. Die Agentur «SDA» meldet später: Die Spieler hätten am Tag vor dem Spiel etwas Falsches gegessen. Entwarnung für die Nati. Erleichterung bei mir.
«Was, wenn es Holdener auch jetzt erwischt?»
Mathias Germann: Es sind nur Sekunden, doch sie fühlen sich wie Stunden an. Als Wendy Holdener (29) im letzten Sommer auf dem Balken der 70-Meter-Schanze in Einsiedeln sitzt, frage ich mich innerlich: «War das wirklich eine gute Idee?» Zum ersten Mal überhaupt wagt sich die Schwyzerin auf eine Skisprung-Anlage. Sie habe schon immer mal da runtergewollt, berichtete sie mir. Aber jetzt, in diesem Moment, kurz bevor sie sich in die Tiefe stürzt, sind plötzlich Zweifel da. In den Jahren zuvor verletzte sich Holdener zweimal in der Saisonvorbereitung – was, wenn es sie auch jetzt erwischt? Dann wäre der Blick mitschuldig. «Nein, das seid ihr nicht – egal was passiert», beruhigt mich Holdener. Letztlich geht alles gut, auch wenn sie im Auslauf mit vollem Karacho sogar über einen Kiesweg rasselt. Sie streckt die Arme nach oben, jubelt ausgelassen. «Ich hatte Angst, beim Absprung am Tisch rutschte mir das Herz kurzzeitig in die Hose», sagt sie.
«Ehammer wurde plötzlich ganz ruhig»
Emanuel Gisi: Es muss viel passieren, damit Simon Ehammer (22) plötzlich ganz ruhig und zurückhaltend wird. Der Appenzeller mit dem breiten Lachen und dem offenen Wesen schaut am 4. Juli dem Weisskopfseeadler Jocho ganz tief in die Augen. Für ein Blick-Shooting vor der Leichtathletik-WM in Eugene (USA) trifft er am Fusse des Säntis auf das Wappentier der Vereinigten Staaten. Und auch wenn der 3,5 kg schwere Raubvogel deutlich kleiner ist als der 1,84 m grosse und 80 kg schwere Modellathlet, auf dessen Arm er sitzt, ist Ehammers Respekt für das majestätische Tier sofort spürbar. «Wenn du Auge in Auge mit dem Tier bist und der dich mit seinen kalten Augen aus 30 Zentimetern Distanz anschaust, ist das ein mulmiges Gefühl», sagt er. Offensichtlich aber auch ein beflügelndes: Wenige Tage später fliegt der Schweizer an der WM zu Weitsprung-Bronze, im August legt er mit Zehnkampf-Silber an der EM nach.
«Danach ist lange nicht ans Einschlafen zu denken»
Marco Pescio: Verrückt, unvergesslich, was an jenem 21. Mai im Stadion Kleinfeld in Kriens abgeht. Der FC Winterthur steigt nach einem wahnsinnig spannenden Aufstiegsrennen in die Super League auf. Weil Leader Aarau im Parallelspiel beim 1:2 gegen Vaduz die Nerven versagen – und Winti mit einem 5:0 in Kriens vorbeizieht. Nach Abpfiff im Kleinfeld verfolgen die Winti-Spieler die letzten Minuten der Partie in Aarau auf einem Handy, das noch stabiles Netz hat. Auf der Pressetribüne bei uns Journalisten ist das Internet längst überlastet. Alle schauen, ob die Aarau-Pleite Tatsache wird. Als dem so ist, brechen alle Dämme. Ein Grossteil der 1400 mitgereisten Fans stürmt den Platz. Die Spieler zapfen Bier im Stadion-Restaurant, lassen es ordentlich krachen. Vor meinen Augen haut es Mittelfeldspieler Roberto Alves auf einer Bierpfütze voll auf den Latz, er bleibt aber unverletzt. Andere haben weniger Glück. Nur wenige Meter neben der grossen Party behandeln Sanitäter mehrerer Ambulanzen einige Fans, die völlig euphorisiert über die Bande sprangen und sich dabei Arm- und Beinbrüche zugezogen haben. So viele Eindrücke und Emotionen. Mein Adrenalinspiegel ist an jenem Abend so hoch, dass danach lange nicht ans Einschlafen zu denken ist.
«Lueg, de Schinke»
Dino Kessler: Jeder liebt ein Happy-End. Der «Schinke» musste aber erst kurz den Boden unter den Füssen verlieren, bis es soweit war. Das ist, wenn man Eismeister im Hallenstadion ist, keine gute Idee. Der Sturz war aber ursprünglich nicht der Anlass dafür, eine Geschichte über ihn zu schreiben. Ein befreundeter Reporter der NZZ (eine richtige Züri-Schnurre) hatte den Eismeister Dani Schrepfer immer mal wieder erwähnt, wenn der seine Auftritte hatte, um Tore zu befestigen oder Blut vom Eis zu kratzen. «Lueg, de Schinke». Ich schaute. Und als es ihn dann in einem Spiel spektakulär auf den Buckel haute, war ich mir sicher: Jetzt will ich wissen, wer dieser «Schinke» ist. Ich treffe ihn mit unserem Fotografen Toto Marti, wir reden, schiessen Bilder, drehen Videos. «Schinke» erzählt, dass er im Hallenstadion für Umbauarbeiten zuständig ist, früher war er Maler. Den Spitznamen hat ihm ein Kollege im Ausgang verpasst. Sein Traumjob sei der Eismeister, aber dafür fehle ihm das Geld. 7000 Stutz koste der Lehrgang, und die habe er nicht. Ich war gerührt. Als der Artikel erscheint, geht es schnell: Ein Kollege startet ein Crowdfunding, der ZSC sorgt dafür, dass es am Schluss 7000 Franken sind. «Schinke» wird diplomierter Eismeister und – jetzt kommt das Happy-End: Er zügelt im Herbst 2022 mit dem «Z» nach Altstetten, dort hat er jetzt ganz festen Boden unter den Füssen.
«Sorry, darf ich einen Moment?»
Emanuel Gisi: In München stürzt sich Hürdensprinterin Ditaji Kambundji (20) auf den letzten Zentimetern an Konkurrentin Nadine Visser vorbei – sensationelle EM-Bronze! Danach in der Mixed Zone sprudelt es im Gespräch mit den Schweizer Journalisten nur so aus der jüngeren Schwester von Sprint-Star Mujinga Kambundji heraus. Bis sie plötzlich still wird und ihr Blick in die Ferne driftet. Ist etwas passiert? Fühlt sie sich nicht gut? «Sorry, darf ich einen Moment?», fragt sie nervös. Auf dem TV-Bildschirm in den Katakomben des Olympiastadions hat gerade der Final der 4x100-m-Staffel der Männer begonnen. Da hat die Schweiz keine Aussichten auf eine Medaille, Kambundji ist trotzdem mit Leib und Seele dabei. «Come on!», wird sie plötzlich wieder laut. Am Ende steht für die Schweizer Männer um Schlussläufer William Reais Platz 5 und ein neuer Landesrekord. Kambundji jubelt mit – und lässt uns ein bisschen teilhaben am Geheimnis ihres frühen Erfolgs. Da ist ganz viel Leidenschaft für ihren Sport – auch dann, wenn es gar nicht um sie selber geht.