Türkische Vereine nutzen Kulturanlässe für Propaganda
Erdogans Arm reicht bis ins Dorfzentrum

Nationalistische Schülertheater im Unterricht für Heimatliche Sprache und Kultur. Kriegsaufführungen in der Mehrzweckwalle. Erdogans Propaganda-Maschinerie ist in den Schweizer Dorfzentren angekommen. Nur die Gemeinden wissen nichts davon.
Publiziert: 07.05.2018 um 23:40 Uhr
|
Aktualisiert: 24.09.2018 um 20:24 Uhr
1/12
Stefan Hug (52, SP), Gemeindepräsident von Biberist SO: «Es braucht eine nationale Kontrollstelle!»
Foto: zVg
Ralph Donghi und Fabian Eberhard

Die Bilder schockieren: Kinder spielen auf einer Bühne in Uttwil TG Krieg. Sie halten Gewehre, schreien Parolen fürs türkische Vaterland, stellen sich tot, werden mit Fahnen zugedeckt. Kurz: Sie müssen im nationalistischen Theaterstück den Märtyrertod für die türkische Nation glorifizieren – und das im Rahmen des Unterrichts in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK).

Erdogans Propaganda-Maschinerie ist in den Dorfzentren der Schweiz angekommen. Dabei wird nicht nur der Heimatkunde-Unterricht missbraucht. Immer mehr finden auch Anlässe in Moscheen oder Hallen statt, die als harmlose Feste deklariert werden, sich aber als türkische Propagandaveranstaltungen entpuppen.

Mit Gewehren auf der Bühne

Wie am 18. März 2018 in der Biberena in Biberist SO. Dort zielten Mitglieder der Jugendgruppe der türkischen Moschee Solothurn auf der Bühne mit Gewehren auf imaginäre Osmanen-Feinde. Dies, während im Hintergrund auf einer Leinwand Originalaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg liefen.

Bei der Organisation des Anlasses wirkte offenbar der türkische Staat mit. Auf dem Flyer steht, dass die Kriegsaufführung von der Türkisch-Islamischen Stiftung für die Schweiz organisiert wurde – einem direkten Ableger des Religionsministeriums Diyanet in Ankara.

Gemeinden dulden keine Gewaltdarstellungen

Stefan Hug (52, SP), Gemeindepräsident von Biberist, bestätigt BLICK, dass der Vermieter der Biberena im Vorfeld nicht gewusst habe, was dann tatsächlich am Anlass über die Bühne gehen werde – wie auch die Gemeinde nicht.

«Wir mussten dies aus dem SonntagsBlick erfahren und werden nun die nötigen Abklärungen mit dem Eigentümer der Halle treffen», so Hug. Man wisse auch noch nicht, ob es beim Anlass Probleme gab. «So oder so tolerieren wir in Biberist auf keinen Fall solche Gewaltdarstellungen an öffentlichen Vorführungen!»

Kämpfer mit Waffe auf den Flyern

Biberist ist kein Einzelfall. Auf Flyern für solche Propaganda-Events wird sogar offensiv mit Soldaten und der türkischen Flagge geworben. So auch für einen privaten Anlass am 30. März 2018 in Buchs AG. Gemeindeammann Urs Affolter (60, FDP): «Grundsätzlich lehnen wir solche Propaganda ab.»

Auch auf einem Plakat für einen Event am 1. April 2018 in einer Moschee in Aarburg AG prangert ein Kämpfer mit Türken-Flagge. «Wenn ich mir den Flyer so ansehe, erfreut er mich natürlich gar nicht», sagt Gemeindeammann Hans-Ulrich Schär (53, parteilos). Egal, was in der Räumlichkeit passiert ist, auch in Aarburg gilt: «Wir dulden keinerlei Gewaltdarstellungen!»

Hallen-Vermieter in der Pflicht

Das Problem: «Wir können im Vorfeld nur Einfluss auf einen Anlass nehmen, wenn er bewilligungspflichtig ist», sagt Schär. «Wenn er in den eigenen vier Wänden stattfindet, ist es sehr schwierig einzugreifen. Und dann erfahren wir erst im Nachhinein oder gar nie, was genau über die Bühne ging.»

 
Stefan Hug, der Gemeindepräsident von Biberist, fügt hinzu: «Es kann und darf nicht sein, dass auf Schweizer Boden solche türkisch-islamische Propaganda durchgeführt wird. Die Vermieter sind in ihrer Pflicht zu schauen, an wen sie die Infrastruktur vermieten. Zudem müssen sie im Vorfeld wissen, was für Aufführungen stattfinden. Damit sie allenfalls eine Absage erteilen können.»

Bund soll nationale Lösung finden

Hug fordert: «Es ist auch der Bund gefragt, der eine Lösung finden muss. Es braucht eine nationale Kontrollstelle!»

Aufgepasst müsse auch werden, ob Kinder oder Jugendliche im Rahmen des Heimatkunde-Unterrichts an einer solchen Veranstaltung teilnehmen. «Da sind vor allem die Kantone mit ihren Departementen gefragt», sagt Hug.

Immerhin: Weder in Biberist noch in Buchs oder Aarburg sollen Kinder im Rahmen des Heimatkunde-Unterrichts an den Veranstaltungen teilgenommen haben. Hug: «Was es jedoch nicht besser macht.»

Auch Schweizer Kinder haben Heimatkunde

Mit knapp 30 000 Franken hat das Bundesamt für Kultur im Jahr 2016 Heimat­liche Sprache und Kultur (HSK) für Schweizer Kinder im Ausland gefördert. Diese werden dort angeboten, wo es weder eine Schweizerschule hat noch eine internationale Schule, an der die Schweiz eigene Lehrkräfte stellt.

Konkret wurden die HSK-Kurse 2016 in Argentinien und Hongkong angeboten, 157 Schweizer Kinder nahmen daran teil. «In diesen Kursen wird den Schülern die Schweizer Kultur nähergebracht», sagt Fiona Wigger vom zuständigen Bundesamt für Kultur.
Die Kinder würden dort Schweizerdeutsch sprechen und etwas über die hiesigen Traditionen erfahren – die jüngeren über Globi-Bücher, die ­älteren beim Zubereiten von Rösti und Fondue.

 
«Natürlich sind auch Schweizer Geschichte und unsere Legenden wie Wilhelm Tell Thema», so Wigger auf Nachfrage, ob die Kinder ähnlich wie die Türken hierzulande auch Nationalmythen beschwören würden. «Ob das auch in Theateraufführungen aufgearbeitet wird, entzieht sich unserer Kenntnis.»


Eine Parallele gibt es: Hier in der Schweiz ­organisiert die türkische Botschaft die Kurse. Und genauso macht es die Schweiz im Ausland. Zwar würden Schweizer Heimatkurse in Hongkong und Argentinien von Elternvereinen organisiert.
Doch die Schweiz unterstützt die Kurse ­finanziell und überwacht diese auch: «Die Lerninhalte werden in enger Absprache mit der ­Botschaft und auch unter deren Kontrolle fest­gelegt», so Wigger. Sermîn Faki

Mit knapp 30 000 Franken hat das Bundesamt für Kultur im Jahr 2016 Heimat­liche Sprache und Kultur (HSK) für Schweizer Kinder im Ausland gefördert. Diese werden dort angeboten, wo es weder eine Schweizerschule hat noch eine internationale Schule, an der die Schweiz eigene Lehrkräfte stellt.

Konkret wurden die HSK-Kurse 2016 in Argentinien und Hongkong angeboten, 157 Schweizer Kinder nahmen daran teil. «In diesen Kursen wird den Schülern die Schweizer Kultur nähergebracht», sagt Fiona Wigger vom zuständigen Bundesamt für Kultur.
Die Kinder würden dort Schweizerdeutsch sprechen und etwas über die hiesigen Traditionen erfahren – die jüngeren über Globi-Bücher, die ­älteren beim Zubereiten von Rösti und Fondue.

 
«Natürlich sind auch Schweizer Geschichte und unsere Legenden wie Wilhelm Tell Thema», so Wigger auf Nachfrage, ob die Kinder ähnlich wie die Türken hierzulande auch Nationalmythen beschwören würden. «Ob das auch in Theateraufführungen aufgearbeitet wird, entzieht sich unserer Kenntnis.»


Eine Parallele gibt es: Hier in der Schweiz ­organisiert die türkische Botschaft die Kurse. Und genauso macht es die Schweiz im Ausland. Zwar würden Schweizer Heimatkurse in Hongkong und Argentinien von Elternvereinen organisiert.
Doch die Schweiz unterstützt die Kurse ­finanziell und überwacht diese auch: «Die Lerninhalte werden in enger Absprache mit der ­Botschaft und auch unter deren Kontrolle fest­gelegt», so Wigger. Sermîn Faki

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?