Die Buben sind knapp sechs Jahre alt. In Militäruniformen marschieren sie auf, salutieren, rufen mit heller Stimme Parolen für das türkische Vaterland. Dann krachen Maschinengewehr-Salven aus den Lautsprechern. Die Kinder auf der Bühne schiessen sich mit Spielzeugwaffen gegenseitig nieder.
Es sind verstörende Szenen, die sich am 25. März in der Mehrzweckhalle in Uttwil TG abspielen. SonntagsBlick liegen Filmaufnahmen der Kriegsspiele vor. Primarschüler, die als Leichen posieren müssen – zugedeckt mit türkischen Fahnen. Im Publikum: Hunderte Türken aus der ganzen Schweiz. Sie applaudieren und drehen Handy-Videos.
Türkische Botschaft als treibende Kraft
Organisiert hat das Theater der Elternbeirat der türkischen Schule St. Gallen. In Uttwil angemeldet wurde der Anlass von der türkischen Schule Romanshorn. Als treibende Kraft im Hintergrund jedoch wirkte die türkische Botschaft in Bern. Sie übernahm die Schirmherrschaft, in der vordersten Reihe sassen diplomatische Ehrengäste aus Ankara.
Nationalistische Kriegspropaganda in der Schweiz also – gesteuert von Machthaber Recep Tayyip Erdogan. Besonders befremdlich: Das Theater entstand im Rahmen des türkischen Unterrichts für «Heimatliche Sprache und Kultur» (HSK). Den besuchen die minderjährigen Protagonisten wöchentlich – ebenso wie Tausende andere türkischstämmige Schüler.
Die meisten Kinder auf der Bühne der Uttwiler Mehrzweckhalle gehören zu einer HSK-Klasse in Flawil SG. Für den Heimatkunde-Unterricht arbeitet die türkische Botschaft mit den Kantonen zusammen. Unter anderem stellt St. Gallen Klassenzimmer in öffentlichen Schulen zur Verfügung, der Besuch wird im regulären Zeugnis vermerkt.
Die lange Hand des türkischen Staats
Faktisch haben die Erziehungsdepartemente aber wenig Kontrolle über die HSK-Kurse. Im Gegenteil: Im Fall der Türkei werden die Lehrer meist direkt von Ankara entsandt, das türkische Erziehungsministerium diktiert den Lehrplan.
Schulkinder, die «Heiliger Krieg» spielen müssen und dazu benutzt werden, den Märtyrertod für die türkische Nation zu glorifizieren. Wer mehr über die Hintergründe erfahren will, stösst auf Schweigen.
Alexander Kummer, Leiter des kantonalen Amts für Volksschule in St. Gallen, will sich zu den Bildern nicht äussern. Man habe keine Kenntnis davon gehabt. Er sagt einzig: «Der HSK-Unterricht ergänzt den Sprachunterricht in der Regelklasse, da sich die jeweiligen Lernprozesse wechselseitig positiv beeinflussen.»
Die türkische Botschaft reagiert nicht auf Anfragen, involvierte Lehrer legen den Hörer auf.
Schliesslich redet Nazim Nacalkan. Er koordiniert die St. Galler HSK-Kurse im Auftrag der türkischen Botschaft. Nacalkan räumt ein, dass das militaristische Schauspiel wohl etwas zu weit gegangen sei, betont aber gleichzeitig: Die Kinder hätten «nur» ein historisches Ereignis nachgespielt – nämlich die Schlacht von Gallipoli 1915, ein blutiges Gefecht im Ersten Weltkrieg mit mehr als 100’000 Toten.
Gallipoli-Schlacht feiern hat Tradition
Nationalistische Gedenkfeiern rund um die Gallipoli-Schlacht haben in der Türkei seit Jahren Tradition. Erdogan nutzt die Erinnerung an das Ereignis, um seine Grossmachtsfantasien zu befeuern. In Gallipoli besiegten die Soldaten des Osmanischen Reiches die Entente-Mächte Frankreich, Australien und Grossbritannien. Für den türkischen Autokraten ist der Ausgang der Schlacht ein heroischer Sieg des Islams über die westliche Welt.
SonntagsBlick hat dem deutschen Türkei-Experten Ismail Küpeli die Kriegsspiel-Videos gezeigt. Er findet sie hochproblematisch: «Hier werden Kinder gezielt für nationalistische Propaganda instrumentalisiert.» Erdogans Strategie sei klar: «Schon die Kleinsten sollen ideologisch geformt und auf Linie gebracht werden.»
Handelt es sich beim Theater in Uttwil um einen einmaligen Ausrutscher, oder haben solche Anlässe in der Schweiz System als Erziehung von islamischen Märtyrern? Recherchen zeigen: Ähnliche Kriegsspiele fanden auch in anderen Kantonen statt.
Kriegsspiel zu Original-Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg
Am 18. März wurde im Kultur- und Kongresszentrum Biberist SO ebenfalls geschossen. Bilder zeigen Mitglieder der Jugendgruppe der türkischen Moschee Solothurn, die mit Gewehren auf imaginäre Osmanen-Feinde zielen. Auf einer Leinwand im Hintergrund laufen Originalaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg.
Auch in Biberist wirkte der türkische Staat mit. Laut dem Flyer für den Anlass wurden die Kriegsspiele von der Türkisch-Islamischen Stiftung für die Schweiz organisiert, einem direkten Ableger des Religionsministeriums Diyanet in Ankara.
Weitere Kriegsfeiern fanden in türkischen Moscheen im Kanton Aargau statt, darunter in Buchs und Aarburg. Die Erlöse der Veranstaltungen fliessen an die Mehmetçik-Stiftung, die Kriegsveteranen der türkischen Armee unterstützt.
In Deutschland und Österreich wurden in den letzten Wochen ähnlich martialische Vorfälle publik. Dort ziehen die Berichte über das Kriegstheater mittlerweile Kreise bis in die höchste Politik. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP): «Das hat bei uns keinen Platz. Hier wird es null Toleranz geben.» In Deutschland wird über die Schliessung von türkischen Moscheen diskutiert.
Parallelen in die Gegenwart
Denn obwohl sich die Theater um ein historisches Ereignis drehen, ziehen die türkischen Hintermänner damit Parallelen in die Gegenwart. Sie bringen die Schlacht von Gallipoli in Verbindung mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf das syrische Afrin oder dem Kampf gegen die Kurden in der Osttürkei.
Dass in der Schweiz sogar Heimatkundekurse für Erdogans Propaganda missbraucht werden, wirkt alarmierend. Der Experte Küpeli: «Es zeigt, dass die Türkei vor nichts zurückschreckt.» Und für den Basler Integrationsfachmann Thomas Kessler ist klar: «Jetzt braucht es Massnahmen der Kantone.» Notfalls müsste die Zusammenarbeit mit der Türkei gestoppt werden.
Der Bund stellt den Kantonen mehr Mittel für die Integration von Flüchtlingen zur Verfügung. Diese Woche gab Bundesrätin Simonetta Sommaruga bekannt: Ab 2019 erhalten die Kantone eine einmalige Pauschale von 18'000 Franken pro Flüchtling, drei Mal mehr als heute.
Die Integration sozial schwacher Ausländer ist die Basis für ein friedliches Zusammenleben. Und, ja: Integration kostet.
Wichtig allerdings ist, dass es ein wirksames und zeitnahes Controlling über die Verwendung der eingesetzten Gelder gibt. Genau dies fehlte bisher weitgehend.
Heute ist es vielmehr so: Ein Kanton kann sich engagieren und beispielsweise hervorragende Sprachkurse anbieten – er kann die Menschen aber auch einfach ihrem Schicksal überlassen. Bern zahlt in jedem Fall.
In der Schweizer Integrationspolitik wurde bislang zu viel dem Zufall überlassen. Dem Zufall, der sozialen Ader von Arbeitgebern sowie natürlich von all jenen, die sich aus reiner Menschlichkeit um die neuen Einwohner in der Nachbarschaft kümmerten.
Immerhin erklärt der Bund jetzt mit Blick auf die 18'000-Franken-Pauschale (wenn auch erst auf Nachfrage): Man installiere ein solides Monitoring, um zu überprüfen, dass dieses Geld zweckmässig eingesetzt werde. Und: «Der Bund kann Beiträge zurückfordern, wenn ein Kanton die Umsetzung der vereinbarten Wirkungsziele nicht erfüllt.»
Das ist zumindest ein Anfang.
Besser hinschauen muss man auch in anderen Bereichen. SonntagsBlick-Redaktor Fabian Eberhard hat herausgefunden, wie an unseren Schulen die Integration von Kindern türkischer Einwanderer torpediert wird.
Die Recherche erschüttert: Schweizerisch-türkische Primarschüler werden im Freifach «Heimatliche Sprache und Kultur» zu osmanischen Kriegern erzogen. Die Knirpse werden in Militäruniformen gesteckt und auf die Bühnen der Dorftheater im ganzen Land gestellt. Dort metzeln sie die imaginären Feinde des Osmanenreichs nieder. Zur Freude des Publikums aus Eltern und türkischen Honoratioren.
Wohlgemerkt: Wir sprechen hier nicht von Asylsuchenden. Es geht um die Sprösslinge von Arbeitsmigranten. Organisiert wird die Indoktrination vom Erziehungsministerium in Ankara. Unsere Schulbehörden erteilen dieser Art von Frontunterricht freilich ihren Segen: Fürs Freifach «Heimatliche Sprache und Kultur» – für das Training zum bewaffneten Kampf also – gibt es eine offizielle Note im Schweizer Schulzeugnis.
Wahnsinn!
Unsere Behörden waren gewarnt. 2008 rief der türkische Sultan Recep Tayyip Erdogan seinen Untertanen im Ausland zu: «Niemand kann erwarten, dass Sie sich einer Assimilation unterwerfen. Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.» Erdogan hat seinen Schlachtruf wider die Integration seither wiederholt.
Die hiesigen Schulämter hätten eins und eins zusammenzählen müssen. Dann hätte sich längst jemand schlaugemacht, welchen Begriff von Heimatkunde das türkische Erziehungsministerium eigentlich so pflegt.
Der Staat soll grosszügig Integrationsprogramme finanzieren und durchführen. Solange er aber gleichzeitig eine solche Gehirnwäsche zulässt – solange haben wir ein Integrationsproblem.
Der Bund stellt den Kantonen mehr Mittel für die Integration von Flüchtlingen zur Verfügung. Diese Woche gab Bundesrätin Simonetta Sommaruga bekannt: Ab 2019 erhalten die Kantone eine einmalige Pauschale von 18'000 Franken pro Flüchtling, drei Mal mehr als heute.
Die Integration sozial schwacher Ausländer ist die Basis für ein friedliches Zusammenleben. Und, ja: Integration kostet.
Wichtig allerdings ist, dass es ein wirksames und zeitnahes Controlling über die Verwendung der eingesetzten Gelder gibt. Genau dies fehlte bisher weitgehend.
Heute ist es vielmehr so: Ein Kanton kann sich engagieren und beispielsweise hervorragende Sprachkurse anbieten – er kann die Menschen aber auch einfach ihrem Schicksal überlassen. Bern zahlt in jedem Fall.
In der Schweizer Integrationspolitik wurde bislang zu viel dem Zufall überlassen. Dem Zufall, der sozialen Ader von Arbeitgebern sowie natürlich von all jenen, die sich aus reiner Menschlichkeit um die neuen Einwohner in der Nachbarschaft kümmerten.
Immerhin erklärt der Bund jetzt mit Blick auf die 18'000-Franken-Pauschale (wenn auch erst auf Nachfrage): Man installiere ein solides Monitoring, um zu überprüfen, dass dieses Geld zweckmässig eingesetzt werde. Und: «Der Bund kann Beiträge zurückfordern, wenn ein Kanton die Umsetzung der vereinbarten Wirkungsziele nicht erfüllt.»
Das ist zumindest ein Anfang.
Besser hinschauen muss man auch in anderen Bereichen. SonntagsBlick-Redaktor Fabian Eberhard hat herausgefunden, wie an unseren Schulen die Integration von Kindern türkischer Einwanderer torpediert wird.
Die Recherche erschüttert: Schweizerisch-türkische Primarschüler werden im Freifach «Heimatliche Sprache und Kultur» zu osmanischen Kriegern erzogen. Die Knirpse werden in Militäruniformen gesteckt und auf die Bühnen der Dorftheater im ganzen Land gestellt. Dort metzeln sie die imaginären Feinde des Osmanenreichs nieder. Zur Freude des Publikums aus Eltern und türkischen Honoratioren.
Wohlgemerkt: Wir sprechen hier nicht von Asylsuchenden. Es geht um die Sprösslinge von Arbeitsmigranten. Organisiert wird die Indoktrination vom Erziehungsministerium in Ankara. Unsere Schulbehörden erteilen dieser Art von Frontunterricht freilich ihren Segen: Fürs Freifach «Heimatliche Sprache und Kultur» – für das Training zum bewaffneten Kampf also – gibt es eine offizielle Note im Schweizer Schulzeugnis.
Wahnsinn!
Unsere Behörden waren gewarnt. 2008 rief der türkische Sultan Recep Tayyip Erdogan seinen Untertanen im Ausland zu: «Niemand kann erwarten, dass Sie sich einer Assimilation unterwerfen. Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.» Erdogan hat seinen Schlachtruf wider die Integration seither wiederholt.
Die hiesigen Schulämter hätten eins und eins zusammenzählen müssen. Dann hätte sich längst jemand schlaugemacht, welchen Begriff von Heimatkunde das türkische Erziehungsministerium eigentlich so pflegt.
Der Staat soll grosszügig Integrationsprogramme finanzieren und durchführen. Solange er aber gleichzeitig eine solche Gehirnwäsche zulässt – solange haben wir ein Integrationsproblem.