Herzchirurg Franz Immer macht sich Sorgen: «Wir sind tatsächlich kritisch unterwegs», sagt der Direktor von Swisstransplant, der nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation, im Gespräch mit SonntagsBlick. Der Grund: Es gibt in der Schweiz zu wenige Organe, um den Bedarf an Transplantationen abzudecken.
Ende 2022 warteten 1442 Menschen auf ein neues Organ. Demgegenüber standen 570 Eingriffe, bei denen Patientinnen und Patienten ein neues Organ eingepflanzt wurde.
2022 verstarben 83 Menschen auf der Warteliste – so viele wie noch nie. Und auch im neuen Jahr sieht es düster aus: Zwischen Januar und März starben bereits 29 Patientinnen und Patienten, die auf ein neues Organ gewartet hatten. Auf zwölf Monate hochgerechnet wären das 116 Tote. «Ein alarmierender Wert», sagt Franz Immer.
Keine Überbrückungstechnologien für Leber
Derzeit warten in der Schweiz 53 Menschen auf ein neues Herz. Gemäss Swisstransplant müssen sie mit einer mittleren Wartezeit von 325 Tagen rechnen. In dieser Zeit verschlechtere sich ihr Zustand meist rapide.
Das grösste Problem habe man bei den Menschen, die auf eine Leber warten, sagt Swisstransplant-Sprecherin Stephanie Balliana. Im letzten Jahr standen 472 Patientinnen und Patienten auf der entsprechenden Warteliste – 35 mehr als im Jahr zuvor. 142 Lebern wurden transplantiert, neun weniger als 2021. Da es für die geschädigte Leber keine Überbrückungstechnologien gibt – etwa ein künstliches Herz –, ist die Mortalität hoch. 2022 verstarben 42 Menschen auf der Warteliste für eine neue Leber.
Für Kandidaten für eine Herztransplantation gibt es nun immerhin einen Lichtblick. Das neue Perfusionsgerät (Bericht auf diesen Seiten), das den Herzkliniken in Bern, Zürich und Lausanne VD seit Ende 2022 zur Verfügung steht, wird nach Einschätzung von Swisstransplant die Aussichten auf ein geeignetes Organ verbessern.
Frühestens 2025 neue Lösung
Herzchirurgen rechnen mit bis zu 15 zusätzlichen Herztransplantationen, die sie dank dieser neuen Methode jährlich durchführen können. In der Papworth-Herzklinik in England, wo die Technik seit sieben Jahren angewendet wird, konnte man die Anzahl durchgeführter Transplantationen um 50 Prozent steigern.
Im Mai 2022 sagten 60,2 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten Ja zum neuen Transplantationsgesetz. Künftig sollen Menschen, die ihre Organe nicht spenden wollen, dies explizit erklären. Ist der Wille eines Verstorbenen nicht bekannt, dürfen die Angehörigen in seinem oder ihrem Sinn entscheiden.
Die Initianten der Gesetzesänderung rechneten ursprünglich mit der Einführung des neuen Systems im nächsten Jahr. Daraus wird aber nichts. Gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) tritt die neue Lösung frühestens 2025 in Kraft.
«Wir brauchen die Widerspruchslösung»
Zwei Dinge machen die Implementierung kompliziert: der Aufbau des Registers und der Datenschutz. BAG-Sprecherin Katrin Holenstein: «Der Zugang zum neuen Register soll für alle einfach und ohne grossen Aufwand möglich sein. Gleichzeitig müssen der Zugang und das Register sicher sein. Es gelten die hohen Bundesvorgaben bezüglich Informatiksicherheit und Datenschutz.»
Für Swisstransplant ist derweil nicht erst angesichts der neuen Zahlen klar: «Wir brauchen die Widerspruchslösung. Je eher, desto lebensrettender.»