Berner Psychiatrie schickt Aggro-Patienten raus, der sticht Stunden später zu
«Er hat mich fast getötet – was haben die sich nur dabei gedacht?»

Patrick Wasem erzählt exklusiv bei Blick, wie er nur knapp einen brutalen Angriff eines Psychiatriepatienten überlebte. Trotz Fehler in der Klinik, weigert sich die Berner Staatsanwaltschaft, Anklage zu erheben. Er hofft, mit seiner Geschichte andere zu schützen.
Publiziert: 21.11.2024 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2024 um 08:48 Uhr
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Patrick Wasem (42) wurde während seiner Arbeit als Jagd- und Fischereiaufseher des Kantons Schaffhausen Opfer eines Psychiatriepatienten aus den UPD Bern. Der paranoide und schizophrene Mann versetzte Wasem rund 30 Messerstiche, bevor dieser zu Boden sank.
Foto: Sebastian Babic

Auf einen Blick

  • Patrick Wasem überlebt brutale Attacke eines Psychiatriepatienten
  • Ein Patient durfte das Geländer der Berner Psychiatrie verlassen
  • 37 Stiche und Schnitte, 1,7 Meter Wunden
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sebastian BabicReporter Blick

Patrick Wasem (42) wurde zum Opfer eines Paranoid-Schizophrenen. Dutzende Messerstiche fügte ihm der Psychiatrie-Patient mit einem Messer zu, hackte ihm danach mit einem Gertel in den Nacken. Wasem überlebt nur knapp. Und wird für immer an den Folgen leiden.

Das ist über anderthalb Jahre her. Der Gewalttat gingen massive Fehler in der Berner Psychiatrie UPD voraus, klagt das Opfer. Weil sich der Patient verbal aggressiv gegenüber dem Klinikpersonal verhielt, wurde er in der Nacht unbegleitet nach draussen geschickt, um sich «abzureagieren». Fünf Stunden später stach er zu.

«Er hat mich fast getötet – was haben die sich nur dabei gedacht?», sagt Wasem beim Treffen mit Blick. Während der Täter aufgrund seiner Krankheit wohl für schuldunfähig erklärt wird, weigert sich die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland, Anklage gegen das verantwortliche Klinikpersonal zu erheben. Man sehe keine Anzeichen, dass Fehler gemacht worden wären, zitiert Wasem aus Justizdokumenten.

Angriff aus dem Nichts

Es war ein ganz normaler Morgen im Leben von Patrick Wasem, dem kantonalen Jagd- und Fischereiaufseher des Kantons Schaffhausen. «Ich hatte vergessen, Fischfutter zu einer kleinen Fischzucht zu bringen und wollte es an diesem Morgen nachholen», erzählt er. Dafür fährt er ins nahe Flurlingen ZH: «Gegen 9.30 Uhr wurde ich von einem jungen Mann angesprochen, ob ich ihm den Weg nach Schaffhausen zeigen könnte. Als ich in die Richtung deutete, packte er mich und stach auf mich ein», erzählt Wasem. Mindestens 30 Mal mit einem Messer. Wasem sackt zusammen, bleibt am Boden liegen.

Mit einem mitgebrachten Gertel schlägt der Angreifer danach auf den Nacken seines wehrlosen Opfers ein. Für Wasem ist klar: Der Angreifer versuchte, ihn zu köpfen. Es ist Zufall, dass in diesem Moment Passanten auftauchen. Der Angreifer flüchtet. Mithilfe der Passanten schleppt sich Wasem in den Notfall: «Das Personal war geschockt, als es mich sah!» Und auch Wasem rechnet nicht damit, den nächsten Tag zu erleben.

Anderthalb Jahre nach der Attacke spricht Patrick Wasem zum ersten Mal öffentlich über den Fall. Vor kurzem habe er erfahren, dass die Staatsanwaltschaft in Bern keine Anklage gegen den Assistenzarzt erheben will, obwohl die UPD den Patienten mitten in der Nacht herausgelassen hat. Für das Opfer nicht hinnehmbar. «Die Schmerzen sind auch heute noch unerträglich», erzählt Wasem. «Mein halber Oberkörper besteht aus Narbengewebe!» Insgesamt seien 1,7 Meter Wunden zusammengetackert worden!

Zum Täter ist wenig bekannt. Aus den Dokumenten wird aber ersichtlich, dass der Angreifer unter einer paranoiden Schizophrenie leidet. Er habe sich einen Tag vor dem Angriff selbst eingewiesen, weil er Stimmen gehört habe. 

Trotzdem will die Berner Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Assistenzarzt einstellen. Wasem und sein Anwalt planen dagegen vorzugehen. Laut Aussagen des Assistenzarztes seien solche Massnahmen in der UPD nämlich «normal», zitiert Wasem aus den Dokumenten.

Solche Ausgänge sind normal

Das bestätigt auch Jérôme Endrass, Forensischer Psychologe und stellvertretender Leiter des Amtes für Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich: «Gerade in der Allgemeinpsychiatrie sind solche unbegleiteten Ausgänge auf dem Klinikareal normal. Dort handelt es sich ja nicht um Menschen, die straffällig geworden sind.» Zudem spiele es eine Rolle, ob der Patient sich, wie in diesem Fall, freiwillig in die Klinik begeben hat. Endrass schränkt aber ein: «Wenn jemand nicht zurückkehrt, empfiehlt es sich, dies bei der Polizei zu melden.» 

Es handle sich um einen absoluten Extremfall: «Für die betroffene Person ist das natürlich der blanke Horror und ich verstehe die Wut und Verzweiflung des Opfers. Für uns ist mit dem Strafverfahren die Angelegenheit möglicherweise erledigt, das Opfer leidet aber noch lange danach unter den Folgen des Angriffs.» 

Einen Extremfall gab es aber zuletzt erst im Sommer in Basel. Ein psychisch kranker Doppelmörder durfte auf einen unbegleiteten Psychiatrie-Ausflug. Und tötete abermals!

Weder die Berner Gesundheitsdirektion, noch die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland, äussern sich aufgrund des laufenden Verfahrens zur Tragödie um Patrick Wasem. Ebenso wenig die UPD Bern, die in den vergangenen Jahren bereits mehrmals Schauplatz von Drogenhandel von weiteren Skandalen war. Auch auf allgemeine Fragen gehen die angeschriebenen Stellen nicht ein.

Wasem ist ausser sich: «So etwas kann doch nicht sein! Ich erwarte, vor solchen Menschen geschützt zu werden, und fordere die Politik auf, endlich einzugreifen.» In der UPD seien ganz klar Fehler gemacht worden: «Für mich ist es am schlimmsten, dass niemand zu seinen Fehlern steht.»

Für ihn selbst sei es ohnehin zu spät. Er werde sein ganzes Leben unter chronischen Schmerzen leiden. Vielleicht könne er aber andere schützen, indem er seine Geschichte erzähle.

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