Über 5000 Patientinnen und Patienten hat das Zentrum für Suchtmedizin (Arud) in Zürich vergangenes Jahr behandelt – deutlich mehr als im Vorjahr. Heroin, Alkohol, Anabolika, aber auch Game- oder Glücksspielsucht: Es sind Menschen mit ganz unterschiedlichen Abhängigkeiten, die hier Hilfe bekommen.
Sie gehören zu einer Minderheit. Die allermeisten Personen mit Suchtproblem erhielten keine angemessene Behandlung, stellt das Arud-Zentrum fest. Einerseits schämen sich viele für ihre Sucht: Sie fürchten, nicht ernst genommen oder dafür verurteilt zu werden – und holen sich darum keine Hilfe. Andererseits komme es auch in Arztpraxen und Spitälern zu Diskriminierung und Ausgrenzung, prangert die Fachstelle in einer Mitteilung an.
Bei Rückfall keine zweite Chance
«Menschen mit Suchterkrankung werden schlechter behandelt», sagt Thilo Beck (62), Co-Chefarzt Psychiatrie des Arud. Auch Gesundheitspersonal habe oftmals Vorurteile gegenüber den Betroffenen. «Dass man ihnen nicht trauen kann, sie nicht verlässlich sind oder eine Therapie sowieso nichts nützt», zählt Beck auf. Habe jemand beispielsweise während eines Entzugs einen Rückfall, würden viele Kliniken den Suchtkranken immer noch praktisch sofort vor die Tür stellen. «Dabei ist ein Rückfall einfach ein Symptom des Problems, das die Leute haben.»
Der Experte kritisiert, dass das Thema in der Ausbildung von Ärztinnen und Pflegefachpersonen viel zu stiefmütterlich behandelt werde. Der Ausbildungsteil über Suchterkrankungen betrage nur wenige Stunden.
«Da müsste ich den Laden dichtmachen»
Eine Studie, die vor einigen Jahren an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel durchgeführt worden ist, ergab, dass sich 70 Prozent der Patientinnen und Patienten stigmatisiert fühlen – auch vom Personal. «Junkies sind ungeduldig, fordernd, möchten immer mehr Medis und sind am Schluss undankbar», gab einer der Studienautoren in einer Präsentation eine Aussage eines Klinikangestellten wieder. Oder ein anderes Vorurteil: «Alkoholiker sind ungepflegt und stinken.»
Zudem wird aus einer Mail eines Arztes zitiert: «Ich bin jetzt neu als niedergelassener Psychiater tätig, ich kann leider keine abhängigen Patienten aufnehmen. Die sind viel zu unzuverlässig, da müsste ich den Laden dichtmachen.»
Solche Aussagen stimmen Psychiater Thilo Beck sehr bedenklich. Auch, weil die Betroffenen für ihre Krankheit verurteilt werden, die sie sich nicht ausgesucht haben. Nicht alle hätten nämlich das gleiche Risiko, abhängig zu werden, stellt Beck klar. Eine gewisse Anfälligkeit könne vererbt werden, andere Risikofaktoren seien Traumata, belastende Kindheitsverhältnisse, psychische Erkrankungen oder viel Stress. 2022 war gemäss Statistik des Bundes bei einem Fünftel aller Psychiatrie-Patienten ein problematischer Substanzkonsum das Hauptproblem.