Auf einen Blick
- Schockierende Vergewaltigungsfälle: Täter betäuben Opfer für kranke Fantasien
- Experte: Täter zeigen keine echte Reue, streben nach Macht
- Vergewaltiger sind wie Süchtige, Resozialisierung enorm schwierig
Der Franzose Dominique P.* (72) vergewaltigte seine Ehefrau Gisèle P. (72) Hunderte Male und bot sie Dutzenden anderen Männern zum Missbrauch an. Der Rapper Sean Combs alias «P. Diddy» (55) soll sich an einem Mädchen (13) vergangen haben. Und auch hier in der Schweiz gibt es schockierende Fälle. Jüngstes Beispiel: Miguel H.** (39), der Pädo-Täter aus dem Thurgau. Er missbrauchte zwischen 2016 und 2020 mindestens sieben Kinder und acht Frauen. Dafür soll H. 15 Jahre in den Knast – danach muss er die Schweiz in Richtung Lateinamerika verlassen. Tag zwei des Pädo-Prozesses in Frauenfeld begann mit den Plädoyers der beiden Staatsanwältinnen.
In den vergangenen Wochen und Monaten kamen immer wieder schockierende Vergewaltigungsfälle ans Licht. Sie alle haben mutmasslich eine Sache gemeinsam: Die Täter betäubten ihre Opfer, bevor sie ihre kranken Fantasien an ihnen auslebten. Aber warum? Was geht in solchen Menschen vor?
«Den Tätern geht es dabei in erster Linie um Macht und absolute Kontrolle», sagt Christian Lüdke (64) zu Blick. Er ist einer der bekanntesten deutschen Kriminalpsychologen, befasst sich seit Jahren mit den schlimmsten Verbrechen. Der Experte hat mit «Profile des Bösen» auch ein Buch über die Persönlichkeitstypen von Schwerverbrechern geschrieben.
Gleicher Entschuldigungsbrief an alle Opfer
Miguel H. brach am Dienstag vor dem Bezirksgericht Frauenfeld in Tränen aus. Lüdke warnt davor, falsche Schlüsse daraus zu ziehen. «Die Reue, die die Täter meist vor Gericht zeigen, ist in den meisten Fällen nicht echt», sagt er. «Sie wird aus strategischen Gründen gezeigt. Der Täter will dadurch soziale Akzeptanz erleben.» Für diese Einschätzung spricht auch die Aussage, mit der die Staatsanwältin im Thurgauer Fall am Donnerstag eines der Opfer zitierte. Dieses soll gesagt haben, dass der Beschuldigte an alle Opfer denselben Entschuldigungsbrief versandt habe. Unpersönlich, kopiert.
Vergewaltiger sind wie Süchtige
Lüdke betont, dass alle Vergewaltiger in der Regel eine ähnliche Persönlichkeitsstruktur besitzen. «Sie sind machtbesessen, haben aber gleichzeitig ein mickriges Selbstwertgefühl.» Ihr Machtstreben sei wie eine Sucht. Ein Wort, das auch Dominique P. während seines Prozesses in Avignon wählte.
Eine weitere Gemeinsamkeit: Häufig kommen die Täter aus dem familiären Umfeld der Opfer. Und: Sie haben als Kinder häufig selbst Missbrauch erlebt.
Oft werden die Taten gefilmt, wie im Fall von Miguel H. im Thurgau. Was steckt dahinter? «Die Täter sehen darin eine Trophäe, verlängern so ihren Tatrausch. Sie erinnern sich an das Machtgefühl während der Vergewaltigung.» Oft prahlen die Täter in sozialen Netzwerken oder Foren mit ihren Taten. So hat Dominique P. die Männer, mit denen er seine Frau missbrauchte, im Netz kennengelernt. Das Internet fungiere für die Täter, die mit diesem Machtrausch ihr mickriges Selbstwertgefühl aufbessern würden, als «narzisstischer Spiegel», so der Experte.
Tut die Öffentlichkeit den Opfern gut?
Lüdke erläutert, was Männer wie Dominique P. oder Rapper P. Diddy besonders gefährlich macht: «Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass sie zu Serientätern werden. Um ihre Sucht zu befriedigen, müssen sie wie Drogenabhängige ständig ihre Dosis erhöhen. Sie schrecken dabei auch nicht vor Betäubung zurück, um ihre Dominanz ohne Unterbrechung ausüben zu können.» Eine Resozialisierung sei enorm schwierig.
Während Lüdke mit «feigen Versagern» wie Dominique P. kein Mitleid hat, macht er sich Sorgen um Gisèle P., weil diese stark in der Öffentlichkeit steht. Vordergründig könne die mediale Aufmerksamkeit hilfreich sein, auf langfristige Sicht aber nicht, analysiert der Psychotherapeut. In der Vergangenheit beriet er unter anderem die Österreicherin Natascha Kampusch (36), die als Kind in Wien entführt und acht Jahre lang von einem Arbeitslosen gefangen gehalten worden war. «Ich empfehle meinen Klienten immer Ruhe und Abstand. Jede Konfrontation mit der Tat stellt eine erhebliche Aktivierung und Retraumatisierung dar.»
Das Urteil im Massenvergewaltigungsprozess von Avignon soll noch vor Weihnachten fallen. Es sei gut möglich, dass Gisèle P., nachdem das Medieninteresse abgeebbt sei, in ein Loch falle, schliesst der Experte. «Die Täter bekommen zehn Jahre Haft, die Opfer durch das Trauma lebenslang.»
* Name bekannt
** Name geändert