Hadi M.* (18) aus Bad Ragaz SG sitzt am Freitag beim Besuch von Blick auf seinem Bett im Kantonsspital Graubünden in Chur. Dass er lebt, grenzt an ein Wunder: Noch am Mittwochabend kämpfte er ums eigene Überleben und konnte auch seinen Vater vor Schlimmerem bewahren. Nachbar Wati S. ** (30) attackierte die beiden Männer zunächst mit einem Messer und griff danach zur Machete. Das Resultat: eine fast abgetrennte Hand, mehrere Schnitt- und Stichwunden sowie eine traumatisierte Familie. «Er griff uns kaltblütig an», sagt der Schweizer mit libanesischen Wurzeln. Das Motiv? Die Religion – vermutet Hadi M.
Wie es zur Bluttat kam, schildert der Verletzte so: Nach der Arbeit habe er mit seinem Vater – der im Rollstuhl sitzt – einkaufen gehen wollen. In der Tiefgarage angekommen, sollen die beiden festgestellt haben, dass die Pneus an ihrem Auto aufgeschlitzt worden waren. «Also holten wir die Polizei. Während die Beamten alles aufnahmen, lief der besagte Nachbar an uns vorbei und machte da bereits einen Spruch über unser Herkunftsland. Wir nahmen es nicht ernst, lachten sogar noch.»
Messer hinter dem Rücken versteckt
Nach der Bestandsaufnahme sollen die Beamten die beiden dann zurück in ihre Wohnung geschickt haben. «Wir fuhren von der Tiefgarage mit dem Lift nach oben. Dort angekommen, trat dieser Mann – unser Nachbar – auf uns zu», erinnert sich Hadi M. «Er fragte nach unserer Religion. Mein Vater sagte, wir sind Muslime. Und schon stach der Nachbar zu.» Das Messer habe der Angreifer bis dahin hinter seinem Rücken versteckt.
Dann sei alles ganz schnell gegangen: Der erste Stoss sei in Richtung Halsregion seines Papis gegangen. «Ich habe meine Arme um meinen Vater gelegt, um ihn zu schützen. Daher die Schnittwunden an meinem Arm.»
Rollstuhl als Schutzschild
Irgendwie habe er es geschafft, seinen Vater aus dem Rollstuhl zu ziehen und vom Täter wegzubewegen. «Dann ging der Mann auf mich los, immer wieder.» Die Situation sei eskaliert: «Ich wusste, ich kämpfe gerade um unser Überleben.» Dabei habe ihm der Rollstuhl seines Vaters als eine Art Schutzschild gedient.
Als seine elfjährige Schwester kurz die Wohnungstür aufgemacht habe, habe er sie angeschrien, sie solle wieder zurückgehen und die Tür schliessen.
«Er wusste, was er macht»
Was Hadi M. jetzt im Nachhinein verwundert: «Sein Gesicht regte sich nicht einmal, er stach einfach immer wieder zu und sagte Dinge wie: ‹Wir sind hier in einem deutschen, christlichen Land. Es gibt hier keinen Platz für Muslime.›» Kurz vor dem Angriff habe der Nachbar auch gemeint: «Ich bombardiere den Libanon und töte euch alle.»
Sein Nachbar habe nicht wirr oder betrunken gewirkt. «Er wusste, was er macht», ist sich Hadi M. sicher. Was er jedoch nicht verstehen kann: Der Angreifer habe seiner Hautfarbe nach selbst Migrationshintergrund. Gemäss der Kantonspolizei St. Gallen hatte der Mann vormals die swasiländische Staatsbürgerschaft – einem Land im südlichen Afrika, in dem überwiegend Christen leben.
Nachbar holt Machete
«Irgendwann griff er zur Machete, die er gleich an seiner Wohnungstür – rechts von unserer – bereitgestellt hatte», sagt Hadi M. weiter. Damit erwischte er den jungen Mann am Kopf. Dort ist am Freitag eine kahle Stelle zu sehen und eine sauber vernähte, rund zehn Zentimeter lange Narbe.
Als Hadi M. realisiert habe, dass er gegen den Angreifer keine Chance hat, liess er seinen Vater schweren Herzens liegen und rannte in die Tiefgarage, wo er noch die Polizei vermutete. «Die Beamten folgten mir nach oben. Dort stand unser Nachbar über meinen Vater mit der Machete in der Hand und wollte ihn töten. Die Polizisten zückten ihre Waffen. Sogleich legte sich der Angreifer hin und liess sich verhaften.»
Mehrfache versuchte vorsätzliche Tötung
Die Kantonspolizei St. Gallen bestätigt gegenüber Blick einen entsprechenden Einsatz. «Die Polizisten blieben unverletzt. Der Festgenommene zeigte sich den Umständen entsprechend kooperativ», heisst es. Und weiter: «Die Ermittlungen zu den Umständen und den Hintergründen der Tat laufen.» Ermittelt werde wegen mehrfacher versuchter vorsätzlicher Tötung.
Die Aussagen des Angreifers – etwa «Ich bombardiere den Libanon» – kann die Polizei so nicht bestätigen: Die Aussagen eines Opfers seien derzeit eine einseitige Darstellung der Ereignisse und müssen im Rahmen der Ermittlungen zuerst durch die Polizei verifiziert werden.
Inzwischen ist klar, dass auch Hadi M.s Vater den Angriff überlebt hat. Laut der Polizei fügte der Angreifer ihm lebensgefährliche Verletzungen zu. Laut Hadi M. wurde gar eine Hand fast abgetrennt. Jetzt wünscht sich der junge Mann: «Der Angreifer soll ins Gefängnis. Lebenslang. Damit meine Familie sicher ist.»
* Name bekannt
** Name geändert