Von Kondomen zu «Brot»
So radikalisierte sich der Messerstecher von Zürich im Internet

Am Samstag stach ein Teenager in Zürich auf einen orthodoxen Juden ein. Jetzt kommt heraus: Der Jugendliche trieb sich vor seiner Tat in kruden Online-Netzwerken umher. Anfänglich harmlose Google-Suchen mündeten in Märtyrer-Fantasien.
Publiziert: 07.03.2024 um 14:24 Uhr
|
Aktualisiert: 15.03.2024 um 20:17 Uhr
1/7
Der junge Messerstecher von Zürich trieb sich in kruden Online-Netzwerken umher.

Die Tat erschütterte die Schweiz: Am 2. März stach ein Jugendlicher (15) in Zürich mit einem Messer auf einen Juden (50) ein. Wenig später tauchte ein Video auf, in dem der Täter der Terrororganisation IS die Treue schwor. Darin bekannte er sein Ziel klar: Juden zu töten. 

Bei dem Täter handelt es sich um einen 15-jährigen Schweizer Staatsbürger. Gemäss der «Neuen Zürcher Zeitung» wurde er mit drei Jahren eingebürgert. Geboren wurde der Angreifer hingegen in Tunesien, den Pass besitzt er ebenso. Sein Vater arbeitet in der Schweiz als Taxifahrer, die Familie lebt in einfachen Verhältnissen am Rande von Zürich.

Im Alter von rund acht Jahren soll der Angreifer in seine Heimat zurückgekehrt sein, schreibt die Zeitung unter Berufung auf «gut informierte Quellen». Er besuchte demnach eine Schule in Tunesien, verbrachte dort vier Jahre und wurde erst 2021 wieder hierzulande eingeschult. Zurück in der Schweiz soll der 15-Jährige von seinen Mitschülern isoliert gewesen sein. Grund dafür soll unter anderem sein gebrochenes Deutsch sein. Zwar spricht der Angreifer Schweizerdeutsch, dies sei der Zeitung zufolge aber «sonderbar». Das Arabisch sei hingegen fliessend. 

Doch wie konnte es zur grausamen Tat kommen? Ob der Täter bereits in Tunesien radikalisiert wurde, ist bislang unbestätigt. Hinweise auf eine Radikalisierung durch soziale Medien gibt es hingegen viele.

Alles begann harmlos

Recherchen des «Tagesanzeigers» zeigen: Vor seiner Tat trieb sich der Jugendliche in kruden Online-Netzwerken umher. Sein Umgang mit dem Internet startete harmlos, wurde über Monate aber immer radikaler.

Zunächst googelte der Teenager noch Dinge wie «Was sind Kondome?» und vertrieb sich seine Freizeit mit Video-Spielen. Auf dem Kurznachrichtendienst X informierte er sich darüber, ob bestimmte Käsesorten halal, also für Muslime erlaubt, sind. Der Täter fragte sich laut dem «Tagesanzeiger»: Sind pornografische Videos erlaubt oder verboten?

«Ein Terroranschlag auf das friedliche Zusammenleben in dieser Stadt»
2:08
Mario Fehr über Messerangriff:«Ein Terroranschlag auf das friedliche Zusammenleben»

«Brot backen» als islamistisches Code-Wort

2021 eröffnete der Messerstecher laut der Zeitung einen Online-Account mit dem Namen «Brot». Er war erst zwölf Jahre alt. In der islamistischen Szene könnte das Wort «Brot» eine versteckte Botschaft vermitteln. Denn: Vor ein paar Jahren schrieb ein Mitglied der Schaffhauser IS-Zelle einem Kollegen: «Du weisst, wenn ich Brot backen gehe, brauche ich viele Zutaten.» «Brot backen» ist laut dem New Yorker Islamismus-Forscher Evan Kohlmann ein Code-Wort für eine «terroristische Aktion».

In den vergangenen Jahren lud der 15-Jährige auf Youtube regelmässig Videos hoch, die ihn beim Kampf-Spiel «Brawl Stars» zeigen. Dazwischen schnitt der Teenager immer wieder Propaganda-Videos, in denen Hassbotschaften vorkommen. Auf den Online-Plattformen, in denen der Jugendliche unterwegs war, finden sich laut dem «Tagesanzeiger» immer wieder muslimische Bezüge. Diese hätten zunehmend in islamistischem Gedankengut und Kontakten zu IS-Sympathisanten gemündet. 

Online-Nutzer bezeichnen Jugendlichen als IS-Mitglied

Der junge Mann sah sich plötzlich selber in einer potenziellen Märtyrer-Rolle und sah sich dazu berufen, Bestrafung auszuüben. In Online-Chats unterhielt er sich mit mehreren arabischen Kontakten über die Fragen, ob er ein IS-Anhänger ist. Jemand schreibt: «Er ist tatsächlich Isis». 

Am Freitag oder Samstag postete der Messerstecher laut dem «Tagesanzeiger» schliesslich ein Bild von Broten. Darunter der Satz: «Demnächst folgt, so Gott will.» Laut der Zeitung kommentierte ein Nutzer das Bild mit der Frage: «Für wen bäckst du?»

Die Radikalisierung gipfelte schliesslich in dem Bekennervideo, das er laut dem «Middle East Media Research Institute» bereits acht Stunden vor seinem Angriff auf offener Strasse im Internet hochgeladen hatte. (ene)

Fehler gefunden? Jetzt melden