Die Uhren ticken anders im Appenzellerland. Die Menschen aus den Hügellandschaften am Fusse des Alpsteins gelten wie wohl keine andere Region als Inbegriff einer traditionsbewussten Schweiz. Bier, Likör und Käse aus Appenzell finden reissenden Absatz – auch weil Swissness heute voll im Trend ist.
In den 80er- und 90er-Jahren sorgt das konservative Selbstverständnis der Appenzeller hingegen weit über die Landesgrenzen hinaus für Negativschlagzeilen. In den Medien als «rückständig» und «Höhlenbewohner» abgekanzelt, tun sich beide Halbkantone schwer damit, das Frauenstimmrecht auf kantonaler und kommunaler Ebene zu verankern.
José Sutter verglich Appenzeller mit Afrikanern
Während Ausserrhoden an der Landsgemeinde 1989 den Frauen ihre politischen Rechte doch noch zugesteht, versenken die Innerrhoder das Ansinnen im April 1990 schon zum dritten Mal.
«Es ging um die Bewahrung unserer Traditionen. Politische Themen wurden damals in der Familie besprochen. Dann ging der Vater als Oberhaupt an die Landsgemeinde und hat entsprechend abgestimmt», erinnert sich José Sutter (51) zurück.
Der gelernte Autospengler nimmt kurz nach der Landsgemeinde an einer Umfrage der «Schweizer Illustrierten» teil. Seine Aussage damals: «Frauen im Ring? Nein danke! Ich bin stolz, ein Appenzeller zu sein. Irgendwelche Negerstämme in Afrika und wir sind die letzten, wo die Männer noch das Sagen haben.»
Innerrhoder wollten sich nicht dreinreden lassen
Heute, über 30 Jahre später, bezeichnet Sutter seine Worte als «knallhart» und «brutal». Aber er sei von seiner Meinung äusserst überzeugt gewesen. «Es ging mir nicht um die Frauen, sondern um unsere Geschichte. Die Landsgemeinde war seit Jahrhunderten ein Tag für den Mann. Ich wollte das erhalten», erklärt der vierfache Vater.
Für seinen Vergleich mit Schwarzafrika musste Sutter massive Drohungen und Beschimpfungen hinnehmen. Er betont: «Das würde ich heute so nie und nimmer mehr sagen. Ich bin ein vehementer Befürworter der Gleichberechtigung. Dass Frauen etwa beim Lohn noch immer benachteiligt werden, verstehe ich nicht.»
Die Debatte in Innerrhoden eskaliert auch deshalb, weil der Druck von aussen immens ist. «Auswärtige» mischen sich ein, bringen ihr Unverständnis zum Ausdruck. Etwas, was der urchige Appenzeller gar nicht mag. Ablehnung des Frauenstimmrechts erfolgt deshalb zu grossen Teilen auch aus Trotz.
Bundesgericht kippt traditionelles Rollenverständnis
Hinzu kommt, dass die älteren Generationen ein anderes Rollenverständnis haben. Frauen sind in deren Augen dafür da, den Haushalt zu schmeissen und Kinder zu erziehen. Männer bringen das Geld heim. Ganz im konservativen Sinne einer vermeintlich heilen Welt.
«Das Frauenstimmrecht wäre garantiert auch auf demokratischem Wege gekommen, es hätte einfach noch etwas mehr Zeit gebraucht», ist Sutter überzeugt. Doch dazu kommt es nicht mehr.
Im November 1990 greift das Bundesgericht ein und gesteht Innerrhodens Frauen ihre vollen politischen Rechte zu. Beschwerdeführerin ist mit Theresia Rohner (66) ausgerechnet eine «Auswärtige».
Traditionalisten betrauern «Männer-Landsgemeinde»
Eine Schmach, die einige Traditionalisten bis heute beschäftigt. «Ein demokratischer Entscheid wurde einfach umgestossen. Ich bin seither nie mehr an einer Landsgemeinde gewesen. Das ist alles nur Show!», ärgert sich ein Landwirt gegenüber BLICK.
An seinem schmucken Holzstall steht der Schriftzug: «Ziegen sind wie Frauen. Elegant, liebenswürdig und neugierig. Mit einer Neigung zum Meckern!»
Am 7. Februar 1971 sagte das Stimmvolk in der Schweiz – dazumals ausschliesslich Männer – in einer eidgenössischen Abstimmung Ja zum nationalen Stimm- und Wahlrecht für Frauen. Die Schweiz war damit eines der letzten europäischen Länder, das dieses Bürgerrecht auch der weiblichen Bevölkerung zugestanden hat. In einer Serie geht die Blick-Gruppe diesem für unsere Demokratie historischen Ereignis auf den Grund. Wo stehen wir heute, 50 Jahre später, in Sachen Bürgerrechte, Emanzipation und Gleichstellung?
Am 7. Februar 1971 sagte das Stimmvolk in der Schweiz – dazumals ausschliesslich Männer – in einer eidgenössischen Abstimmung Ja zum nationalen Stimm- und Wahlrecht für Frauen. Die Schweiz war damit eines der letzten europäischen Länder, das dieses Bürgerrecht auch der weiblichen Bevölkerung zugestanden hat. In einer Serie geht die Blick-Gruppe diesem für unsere Demokratie historischen Ereignis auf den Grund. Wo stehen wir heute, 50 Jahre später, in Sachen Bürgerrechte, Emanzipation und Gleichstellung?