Juristin und Verlegerin Ellen Ringier zum Frauenstreik
«Männer haben Angst, ihre Privilegien zu verlieren»

Ellen Ringier, Juristin und Verlegerin, erklärt im Gespräch mit SonntagsBlick, weshalb es wichtig ist, dass Frauen einander unterstützen. Auch über den Tag des Frauenstreiks hinaus.
Publiziert: 09.06.2019 um 00:20 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:05 Uhr
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Als Gymnasiastin setzte sich Ellen Ringier für das Frauenstimmrecht in der Schweiz ein. Das «Luzerner Tagblatt» berichtete 1970.
Foto: zvg
Dafina Eshrefi (Interview), Daniel Kellenberger (Fotos)

Viele kennen sie als Gattin des Verlegers Michael Ringier (in dessen Haus auch der SonntagsBlick erscheint). Ich aber kenne sie als Verlegerin des Elternmagazins «Fritz & Fränzi», meiner Nachtlektüre in vielen Momenten, in denen ich als Alleinerziehende Rat suchte und fand. In diesem Interview erklärt Ellen Ringier, wie wichtig die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft ist.

Frau Ringier, am 14. Juni streiken die Schweizer Frauen. Sind Sie dabei?
Ellen Ringier: Leider nein. Aber ich unterstütze das Anliegen der Streikenden! Meiner Ansicht nach ist das ein sehr wichtiges Zeichen. Eigentlich bin ich ja nicht für Streik. Mir gefällt die schweizerische Tradition der Gewerkschaften: Verhandeln und gemeinsam einen Vertrag mit Friedenspflicht abschliessen ...

... aber den Frauenstreik braucht es trotzdem?
So wie es einen objektiven Grund für einen Streik in einer Firma gäbe, wenn Lohnverhandlungen nicht vom Fleck kämen und Tiefstlöhne herrschen würden - genau so gibt es bei diesem Frauenstreik auch einen objektiven Grund, um auf die Strasse zu gehen und zu streiken.

Der wäre?
Dass sich in unserer Gesellschaft – insbesondere seitens der Arbeitgeber – einfach nichts bewegt! Die Lohngleichheit ist in der Verfassung verankert, wird aber nicht zielstrebig umgesetzt. Das ist nur einer der vielen Gründe, auf die Strasse zu gehen und zu fordern: Jetzt muss es weitergehen!

Ein weiteres Problem: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Da kommen wir zum absoluten Kernthema! Solange wir keine Tagesschulen, zu wenig nachschulische Betreuung und nicht genügend qualitativ hochwertige Kinderhorte anbieten, kommen wir in Sachen Berufschancen für Frauen nicht vom Fleck.

Persönlich

Ellen Ringier (67) ist promovierte Juristin und Verlegerin des Elternmagazins «Fritz & Fränzi». Sie wuchs mit zwei Schwestern in Luzern auf und besuchte ein Mädchengymnasium. Bereits zu jener Zeit setzte sie sich aktiv für das Frauenstimmrecht in der Schweiz ein (Zeitungsausschnitt oben) . 2018 war sie Co-Produzentin des Films «Female Pleasure» über die weltweite Unterdrückung der weiblichen Sexualität. Sie lebt in Küsnacht ZH, hat mit ihrem Gatten Michael Ringier (70) zwei erwachsene Töchter und ist zweifache Grossmutter.

Ellen Ringier (67) ist promovierte Juristin und Verlegerin des Elternmagazins «Fritz & Fränzi». Sie wuchs mit zwei Schwestern in Luzern auf und besuchte ein Mädchengymnasium. Bereits zu jener Zeit setzte sie sich aktiv für das Frauenstimmrecht in der Schweiz ein (Zeitungsausschnitt oben) . 2018 war sie Co-Produzentin des Films «Female Pleasure» über die weltweite Unterdrückung der weiblichen Sexualität. Sie lebt in Küsnacht ZH, hat mit ihrem Gatten Michael Ringier (70) zwei erwachsene Töchter und ist zweifache Grossmutter.

Ist es nicht so, dass nach wie vor hauptsächlich Männer über gesellschaftliche Fragen entscheiden?
Und vor allem über Kriege – das ist noch viel dramatischer! Aber schauen wir doch, wie viele Frauen die Dachorganisation der Frauenverbände Alliance F mit ihrer Kampagne «Helvetia ruft!» motivieren konnte, politisch aktiv zu werden. Ich denke, da gibt es noch viel Luft nach oben. Wir Frauen müssen uns selber befähigen, etwas in Gang zu setzen.

Was müsste geschehen, damit es schneller geht?
Die Schweiz ist womöglich eines der wenigen Länder der Welt, das kein Familienministerium hat. 1948 entschieden die sieben Bundesräte - meiner Ansicht nach für die damalige Zeit zu Recht: «Staat, halte dich aus der Familie raus! Familie ist privat.» Aber mittlerweile hat die ungeheure Schnellebigkeit die Realität rasant verändert. Die Welt rast an uns vorbei!

Die Schweiz braucht eine Familienpolitik!
Beruf gelingt nur dann, wenn die Familie organisiert ist - und Familie gelingt nur, wenn von beruflicher Seite her Hilfe kommt. Man hätte hoffen können, dass die Gesellschaft dieses komplexe Zusammenspiel von sich aus leistet. Die Realität ist aber eine andere. Die Familienfreundlichkeit stagniert, weil ein grosser Teil der Arbeitgeber nicht mitmacht. Da wird beispielsweise beharrlich darauf bestanden, dass Sitzungen um 17 Uhr stattfinden, obwohl es im Gremium mindestens eine Frau gibt, die dann ihre Kinder aus der Krippe abholen muss.

Dabei ist die Kindererziehung an sich ja schon eine anspruchsvolle Sache!
Genau. Was früher vielleicht ein Selbstläufer war, fordert heute einen unglaublichen Einsatz.

Das heisst?
Unsere Ressourcen sind junge, ausgebildete Leute, die lebenstauglich und resilient sein sollen. Wir brauchen unser Human-Potenzial! In meinen Augen ist das heute genauso wichtig wie früher die Landesverteidigung. In meiner Jugend haben Männer wochenlang infolge Militärdienst in den Betrieben gefehlt, ohne dass es Einwände gegeben hätte - im Gegenteil. Der militärische Rang bestimmte die beruflichen Chancen der jungen Männer. Diese Einstellung, die man einst gegenüber der Landesverteidigung hatte, müsste man heute haben, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht!

Was hat sich seit Ihrer Jugend verändert, als Frauen noch kein Stimmrecht hatten?
Ich erlebe, dass sich da vieles enorm verbessert hat. Beispielsweise die partnerschaftliche Erziehung der Kinder. Wo aber bleiben Einsicht und Verständnis für eine Mutter, die eine halbe Stunde früher gehen muss oder für eine echte Vaterzeit? Statt einer weiteren Belastung der Arbeitgeber, warum keine Entschädigung aus einem System wie demjenigen der Erwerbsersatzordnung?

Warum geht es so langsam vorwärts?
Wir müssen schon sehen: Männer haben ein wenig Angst. Jeder Gesellschaftsteil, der ein Privileg zu verlieren droht, kämpft für sein Privileg. Wie lange ist es doch gegangen und was hat es alles gebraucht, bis das Frauenstimmrecht in der Schweiz endlich angenommen wurde! Die Männer waren damals überzeugt, dass sie alleine unseren Staat führen sollten.

Welche Massnahme müsste vor allen anderen realisiert werden, damit Frauen mehr Chancen erhalten?
Die Tagesschule. Ich bin mir sicher, das würde substanziell mehr Frauen in den Vollberuf bringen. Die Universitäten quellen über vor Frauen. Das kostet den Staat einen Haufen Geld. Es kann doch nicht sein, dass man diese Frauen dann nur partiell einsetzt!

Was wünschen Sie sich vom Frauenstreik am nächsten Freitag?
Ich glaube keineswegs, dass ein einzelner Tag entscheidend ist. Aber es ist wichtig, dass wir Frauen uns und unsere Forderungen sichtbar machen und dass dieser Streik etwas bewegt. Ich wünsche mir, dass Frauen die Solidarität aufbringen, um ihre Anliegen zeitnah auf der politischen Ebene verwirklichen - mit Entschlossenheit, Beharrlichkeit und Mut.

Das läuft am 14. Juni – und schon jetzt

Der Frauenstreik-Tag beginnt ganz laut: In der ganzen Schweiz werden Frauen* am 14. Juni um 00.01 Uhr den Frauenstreiktag mit Pfannenkonzerten einläuten.

Um 11.00 Uhr beginnt dann die grosse Streikpause. Es werden Manifeste und Forderungen verlesen: Am Arbeitsplatz, im Quartiertreff und auf öffentlichen Plätzen, wie es auf der Homepage der Organisatorinnen des Frauenstreiks heisst. In der Mittagspause werden dann Picknicks und andere Streikessen organisiert.

Um 15.24 Uhr sollen Frauen*, die können und nicht schon den ganzen Tag gestreikt haben, spätestens ihre Arbeit niederlegen, so die Forderung des Komitees an die Frauen. Die Uhrzeit sei der symbolische Zeitpunkt, sie repräsentiere den Lohnunterschied zu Männern. «Von nun an sind wir nicht mehr bezahlt, also arbeiten wir auch nicht mehr.»

In jedem Kanton wurden eigene Frauenstreik-Kollektive gegründet, welche derzeit mit Hochdruck Aktionen und Veranstaltungen planen. In Zürich etwa findet um 17 Uhr der Höhepunkt statt: Die Demonstration durch die Stadt. Sie ist bewilligt und endet auf dem Helvetiaplatz, wo Reden, Konzerte, Aktionen stattfinden. In Bern wird der Bundesplatz das Epizentrum der Proteste sein.

Doch nicht nur am 14. Juni – bereits vorher finden in den Gemeinden und Städten diverse Veranstaltungen statt, welche die fehlende Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau thematisieren. Im Wallis etwa findet schon seit letztem Dezember jeden zweiten Montag eine Diskussionsrunde statt.

Eine Übersicht über die Veranstaltungen in den Kantonen finden Interessierte hier: https://frauenstreik2019.ch/de/startseite-2/kollektive/

Der Frauenstreik-Tag beginnt ganz laut: In der ganzen Schweiz werden Frauen* am 14. Juni um 00.01 Uhr den Frauenstreiktag mit Pfannenkonzerten einläuten.

Um 11.00 Uhr beginnt dann die grosse Streikpause. Es werden Manifeste und Forderungen verlesen: Am Arbeitsplatz, im Quartiertreff und auf öffentlichen Plätzen, wie es auf der Homepage der Organisatorinnen des Frauenstreiks heisst. In der Mittagspause werden dann Picknicks und andere Streikessen organisiert.

Um 15.24 Uhr sollen Frauen*, die können und nicht schon den ganzen Tag gestreikt haben, spätestens ihre Arbeit niederlegen, so die Forderung des Komitees an die Frauen. Die Uhrzeit sei der symbolische Zeitpunkt, sie repräsentiere den Lohnunterschied zu Männern. «Von nun an sind wir nicht mehr bezahlt, also arbeiten wir auch nicht mehr.»

In jedem Kanton wurden eigene Frauenstreik-Kollektive gegründet, welche derzeit mit Hochdruck Aktionen und Veranstaltungen planen. In Zürich etwa findet um 17 Uhr der Höhepunkt statt: Die Demonstration durch die Stadt. Sie ist bewilligt und endet auf dem Helvetiaplatz, wo Reden, Konzerte, Aktionen stattfinden. In Bern wird der Bundesplatz das Epizentrum der Proteste sein.

Doch nicht nur am 14. Juni – bereits vorher finden in den Gemeinden und Städten diverse Veranstaltungen statt, welche die fehlende Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau thematisieren. Im Wallis etwa findet schon seit letztem Dezember jeden zweiten Montag eine Diskussionsrunde statt.

Eine Übersicht über die Veranstaltungen in den Kantonen finden Interessierte hier: https://frauenstreik2019.ch/de/startseite-2/kollektive/

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