Missbrauch bei Reformierten
«Die Aufarbeitung ist zu kurz gekommen»

Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, im Gespräch.
Publiziert: 28.01.2024 um 09:36 Uhr
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Aktualisiert: 28.01.2024 um 10:00 Uhr
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Rita Famos ist die Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz.
Foto: Philippe Rossier
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Nach den Katholiken werden nun auch die Protestanten in Deutschland von erschütternden Zahlen schockiert: mehr als 9355 Kinder und Jugendliche sollen von kirchlichem Personal missbraucht worden sein. Die oberste Schweizer Reformierte Rita Famos (58) nimmt Stellung.

Blick: Frau Famos, was bewegt Sie an den Nachrichten aus Deutschland?
Rita Famos:
Zum einen das Ausmass: So viele Kinder und Jugendliche wurden missbraucht! Zum anderen hat man ihnen nicht zugehört. Lange Zeit hat die Kirche nicht die Perspektive der Betroffenen eingenommen.

Könnte es bei den Schweizer Reformierten ähnlich viele Fälle geben?
Die evangelische Kirche in Deutschland ist anders organisiert. Sie betreibt viele Spitäler, Heime und Kitas. Die wenigen evangelischen Schulen in der Schweiz sind in der Verantwortung von Stiftungen und Vereinen, nicht der Kirche.

Was sind Ihre Schlussfolgerungen?
Das Thema «Nähe und Distanz in der Seelsorge» beschäftigt uns seit Jahren. Wir haben Schutzkonzepte und Beschwerdeinstanzen geschaffen. Dennoch dürfen wir uns jetzt nicht zurücklehnen. Wir brauchen eine unabhängige Studie. Die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen ist zu kurz gekommen.

Die katholische Kirche beauftragte die Uni Zürich mit einer Studie. Ist das auch für Sie eine Option?
Die Untersuchung wäre an einer Uni gut aufgehoben. In den nächsten beiden Synoden beraten wir dieses Thema. Alle sind für die Aufarbeitung. Es geht nun darum, welchen Weg wir einschlagen.

Was bringt so eine Studie?
Es geht nicht primär darum, eine Zahl präsentieren zu können. Wir müssen unsere blinden Flecken und strukturellen Probleme finden. Und mit Betroffenen in einen Dialog treten. Sie verdienen Anerkennung.

Die deutsche Studie nennt Risiko- zonen, etwa den Konfirmandenunterricht. Welche Risikozonen sehen Sie?
Das reformierte Pfarrhaus, denn hier vermischen sich Institution und Familie. Ein reformierter Pfarrer hatte früher viel zu sagen – nicht nur in der Kirchgemeinde, sondern im ganzen Dorf. Er war oft eine charismatische Persönlichkeit, es gab ein Machtgefälle zu den Schutzsuchenden. Um dem Ruf der Kirche nicht zu schaden, wurden Probleme vertuscht. Die deutsche Studie zeigt klar: Das Zölibat der Katholiken ist nicht das eigentliche Problem. Viele protestantische Pfarrer waren verheiratet und begingen trotzdem Missbrauch.

Vor wenigen Jahren wurde bekannt: Ein reformierter Pfarrer im Aargau hatte die eigenen Enkelkinder missbraucht.
Ich kenne diesen Fall nicht. Wir sollten uns aber grundsätzlich genau anschauen, inwiefern das hohe moralische Ansehen einer Pfarrperson möglicherweise Täter geschützt hat.

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