Der Bundesrat hat diese Woche Vorschläge gemacht, um die steigenden Fallzahlen in den Griff zu kriegen. Es handelte sich um relativ lockere Massnahmen, dennoch lehnten die Kantone selbst diese teils ab. Wie kam das?
Lukas Engelberger: Das ist keine korrekte Zusammenfassung der Situation. Die Kantone haben allen Vorschlägen des Bundesrats mit grosser Mehrheit zugestimmt, ausser beim Testobligatorium an den Schulen.
Just jene Massnahme, für die Epidemiologen schon lange plädieren.
Die Reihentests sind ein spezieller Fall: Es handelt sich dabei um Bildungspolitik, die in der Kompetenz der Kantone liegt. Aber das Veto gegen eine schweizweite Massnahme heisst nicht, dass die einzelnen Kantone dies bei sich nicht machen. Gewisse testen systematisch, andere führen Ausbruchstestungen durch. Darüber kann man geteilter Meinung sein. Aber alleine deswegen zu sagen, die Kantone hätten alle Massnahmen abgelehnt, ist nicht fair.
Die Kantone haben auch der Homeoffice-Pflicht und der Ausweitung der Zertifikatspflicht auf private Veranstaltungen eine Absage erteilt.
Bei der Homeoffice-Pflicht hatte der Bund verschiedene Varianten vorgeschlagen. Und bei privaten Treffen macht es keinen grossen Unterschied, ob man von einer Verpflichtung oder einer dringenden Empfehlung spricht, das Zertifikat einzusetzen – das läuft auf dasselbe hinaus.
Dennoch liess Bundesrat Alain Berset an der Medienkonferenz durchblicken, dass er das Verhalten der Kantone nicht versteht: Erst hatten sie vom Bund härtere Massnahmen gefordert – und als der Bund solche vorschlug, bremsten sie.
Wie gesagt: Die Reaktion der Kantone auf die Vorschläge des Bundes waren positiv. Dass man in der Konsultation nicht mit allem einverstanden ist, ist Teil des Systems. Aber jetzt die Kantone zu kritisieren, finde ich nicht richtig. Es ist auch für die Kantone nicht einfach.
Wie meinen Sie das?
Wir haben vor vier Wochen darauf hingewiesen, dass Massnahmen auf nationaler Ebene wünschbar wären. Der Bundesrat hat den Ball an die Kantone zurückgespielt, weshalb viele von ihnen in den letzten Wochen eine Maskenpflicht für Innenräume erlassen haben. Nun kommt der Bund plötzlich mit der Option von 2G ohne Maskenpflicht – was uns vor die Frage stellt, ob wir die Maskenpflicht wieder aufheben sollen. Mit anderen Worten: Die Situation ist nicht nur für den Bundesrat anspruchsvoll.
Es entsteht der Eindruck, dass sich Bund und Kantone derzeit erneut die Verantwortung zuschieben. Hat man aus dem letzten Winter denn nichts gelernt?
Wir sind nicht am gleichen Ort wie letzten Winter. Heute haben wir die Impfung, wir sind am Boostern und mit dem Zertifikat haben wir ein neues Instrument, um mit der Situation umzugehen. Aber jede Phase der Eskalation in der Pandemie ist anspruchsvoll. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Obwohl Bundesrat Berset neue Massnahmen bekannt gab, appellierte er zugleich an die Kantone, falls nötig strengere Massnahmen zu ergreifen. Das scheint nicht sehr kohärent.
Es ist richtig, dass die Kantone bei Bedarf strengere Massnahmen ergreifen können. Aber der Anspruch muss schon sein, dass die schweizweiten Massnahmen die Bevölkerung genug schützen. Ob dies der Fall sein wird, werden wir in den nächsten Tagen sehen.
Aus den Spitälern kommen jetzt schon Hilferufe …
Ich kann Ihnen nur eine Laieneinschätzung geben. Und die lautet, dass wir sehr hart am Wind segeln. Es kann sein, dass die Massnahmen reichen. Aber es dürfte niemanden überraschen, wenn wir in ein bis zwei Wochen feststellen, dass weitere Einschränkungen nötig sind.
Ist die flächendeckende Einführung von 2G doch eine Option?
Das ist eine Möglichkeit. Mit seinem Entscheid vom Freitag hat der Bundesrat da bereits vorgespurt. Wenn man die Dynamik aber nicht in den Griff kriegt, wird 2G nicht reichen. Dann wird man die Maskenpflicht ausweiten und neue Kapazitätsbeschränkungen einführen müssen.
Jene Kapazitätsbeschränkungen, die aufzuheben sich der Bundesrat gezwungen sah, weil die impfwillige Bevölkerung die Impfung erhalten habe.
Wir kommen diesbezüglich zu einem anderen Schluss als der Bund.
Werden auch Schliessungen wieder ein Thema werden?
Österreich hat das gemacht. Wir wollen das verhindern, dahinter stehe ich weiterhin. Aber wir können es nicht ausschliessen.