Die Fallzahlen steigen, die Spitäler füllen sich. Kantone rufen nach dem Bund, der Bund nimmt die Kantone in die Pflicht. Eine Pandemie in der Endlosschlaufe. Die einen nennen es Föderalismus, die anderen fehlendes Krisenmanagement. Und viele zappen weg.
Dabei ist die Lage «très sérieuse», wie es Gesundheitsminister Alain Berset am Freitag vor den Medien formulierte. Er rufe die einzelnen Kantone dazu auf, «strikter zu sein, wenn ihrem Gesundheitssystem die Überlastung droht». Berset machte klar: «Es liegt in der Verantwortung der Kantone, in den Spitälern genügend Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.»
Bei den Kantonen kommen solche Aussagen schlecht an. Denn derselbe Gesundheitsminister, der nun neue Massnahmen bekannt gab, hatte den Kantonen eine Woche zuvor signalisiert, dass er auf nationaler Ebene nichts unternehmen werde.
Ihr steht in der Pflicht!
So betonte Berset am 24. November, der Bund schätze die epidemische Situation zwar als «kritisch» ein. Doch weil die Unterschiede zwischen den Regionen gross seien, sei der Moment für schweizweite Massnahmen «noch nicht gekommen». Handeln müssten jene Kantone, deren Fallzahlen hoch liegen.
Bundespräsident Guy Parmelin doppelte mit einem Brief an die Kantone nach. Der Tenor auch hier: Ihr steht in der Pflicht!
Die Kantone reagierten auf das Vorgehen des Bundesrats mit Kopfschütteln. Der Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf sagte dem «Tages-Anzeiger»: «Manchmal habe ich das Gefühl, der Bundesrat sieht da ein kantonales Virus vor sich.»
Auch die Konferenz der Gesundheitsdirektoren wies darauf hin, dass kantonal unterschiedliche Massnahmen bei hohen Fallzahlen «in der Bevölkerung auf wenig Verständnis stossen».
Kantone sind befremdet
Dennoch beschloss in den vergangenen zwei Wochen ein Kanton nach dem anderen angesichts explodierender Fallzahlen, die Maskentragepflicht auf alle Innenräume auszuweiten.
Während die Stände noch dabei waren, die Schrauben erneut anzuziehen, wurden sie von der Meldung aufgeschreckt, der Bundesrat plane eine Krisensitzung. Die Nachricht machte am vergangenen Montag die Runde, kurz nach der Entdeckung der Omikron-Variante – und einen Tag nach der Abstimmung über das Covid-19-Gesetz.
Wie die scharfen Antworten auf die Vernehmlassung zeigen, hielt sich die Begeisterung über die neuerliche, kurzfristig angesetzte Konsultationsrunde bei den Kantonen in Grenzen.
So schreibt der Kanton Thurgau, das Vorgehen des Bundesrats mute «speziell» an. «Zunächst werden die Kantone angehalten, Massnahmen zu beschliessen. Kaum ist dies erfolgt, kommt schon wieder eine Vorlage des Bundesrates.» Dass zu den angedachten Verschärfungen nun in einer Frist von gerade einmal 24 Stunden Stellung genommen werden solle, «befremdet umso mehr».
Wieder droht eine Überlastung der Spitäler
Auch der Kanton Zug bittet den Bundesrat mit sarkastischem Unterton, «Ruhe und Struktur in die Abläufe zu bringen».
Kurz: Die Stimmung zwischen Bund und Kantonen ist frostig, die Koordination funktioniert nur leidlich.
Entscheidend für die weitere Entwicklung der Pandemie dürfte indes weniger die Stimmungslage sein als die Frage, ob die nun ergriffenen Massnahmen ausreichen, um eine Überlastung der Spitäler zu vermeiden.
Lukas Engelberger (46), Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren, hat da starke Zweifel. «Wir segeln sehr hart am Wind», sagt er zu SonntagsBlick. «Es dürfte niemanden überraschen, wenn wir in ein bis zwei Wochen feststellen, dass weitere Einschränkungen nötig sind.»
Bald 2G?
Ein Blick ins nahe Ausland zeigt, dass Engelberger mit seiner Einschätzung womöglich nicht ganz falsch liegt. Während die Schweizer im Sonderzug durch die Pandemie zu fahren scheinen, haben Deutschland und Österreich mit 2G und Lockdowns das öffentliche Leben wieder deutlich eingeschränkt.
Massnahmen, die laut Bundespräsident Guy Parmelin (62) auch für die Schweiz nicht mehr auszuschliessen seien, wie er am Samstag im Gespräch mit Radio SRF sagte.
«Wir denken, dass die neuen Massnahmen einen Effekt haben, wenn vielleicht auch nicht sofort.» Viele Möglichkeiten würden dann nicht mehr bleiben, so Parmelin. «Wenn wir keinen Impfzwang wollen – und das will der Bundesrat nicht –, bleiben noch Massnahmen wie 2G.»