Der Bundesrat zieht die Corona-Schraube wieder an – wenn auch nicht so stark, wie er es wollte. Zu gross war der Widerstand aus den Kantonen. Das liess Gesundheitsminister Alain Berset (49) am Freitag durchblicken. Dass Kantone, die eine Überlastung der Spitäler beklagen, gleichzeitig die vorgeschlagenen Massnahmen als zu weitgehend ablehnen, habe ihn «erstaunt».
Dennoch gilt ab Montag ein strengeres Regime. Dabei greift der Bundesrat sogar zu Massnahmen, vor denen er sich lange scheute. Für Veranstaltungen führt er eine freiwillige 2G-Regel ein. Clubs, Restaurants, Fitnesscenter, Kinos und andere kulturelle oder sportliche Einrichtungen können so den Zugang auf Geimpfte und Genesene beschränken.
Damit kommt der Bundesrat einem Wunsch der Clubbetreiber nach. Entscheidet sich ein Club, eine Beiz oder ein Veranstalter für die 2G-Regel, entfallen sowohl die Maskenpflicht als auch die Vorschrift, nur im Sitzen zu essen und zu trinken. Sonst gilt überall zusätzlich zur Zertifikats- auch eine Maskenpflicht – ausser bei privaten Treffen.
Flickenteppich befürchtet
Damit droht erneut ein Flickenteppich. So will etwa Hotelleriesuisse an der Empfehlung für die 3G-Regel festhalten. «Wer weitergehen will, darf natürlich», sagt Verbandspräsident Andreas Züllig (62). Tatsächlich hat etwa das Hotel Kulm in St. Moritz GR bereits die 2G-Regel für Mitarbeitende und Gäste eingeführt.
Auch die Kinobetreiberin Pathé Cinema Schweiz will an der 3G-Regel festhalten. «Die Zertifikate werden am Eingang kontrolliert, und in den Kinosälen gilt die Maskenpflicht», sagt Sprecherin Jolanda Schönenberger. «Wir werden auch wie bis anhin Popcorn und Getränke verkaufen. Während des Konsumierens im Sitzen darf die Maske abgenommen werden.»
Das Schauspielhaus Zürich wiederum hat in seiner Kantine bereits eine 2G-Regel eingeführt – um etwas Sicherheit zu gewinnen. «In unserem Theater galt schon bis anhin eine Maskenpflicht, trotz 3G-Regel», sagt Sprecherin Seta Thakur.
Auch die Nordportal Eventhalle Baden will die 2G-Pflicht einführen, wie Geschäftsführer Maik Strassl erklärt: «3G mit Maske oder das Lokal zu schliessen, ist für uns definitiv keine Option.»
Bundesrat ist mehrfach zurückgerudert
Auch ansonsten wird die Zertifikatspflicht ausgeweitet. Neu gilt sie in Innenräumen bei öffentlichen Veranstaltungen sowie bei sportlichen und kulturellen Aktivitäten von Laien.
Zurückgerudert ist der Bundesrat aber bei der Zertifikatspflicht für Treffen im Familien- und Freundeskreis mit mehr als zehn Personen: Er spricht nur eine Empfehlung aus, nachdem viele Kantone eine Pflicht als nicht durchsetzbar kritisiert haben.
Auch will der Bund die Kantone doch nicht zu flächendeckenden Reihentests an Schulen verpflichten. Eine Mehrheit hatte sich mit Händen und Füssen dagegen gewehrt. Berset macht aber klar: Wenn sich die Situation nicht bessert, könnte der Bundesrat doch noch ein Machtwort sprechen.
Um die Kontakte am Arbeitsplatz zu reduzieren, gilt neu zudem eine dringliche Homeoffice-Empfehlung. Auch müssen alle Mitarbeitenden in Innenräumen eine Maske tragen.
Erhöht Widerstand der Kantone das Risiko?
Unter dem Strich geht der Bundesrat damit deutlich weniger weit als die umliegenden Staaten. Berset räumte ein, dass die Schweiz im Vergleich auf Massnahmen setze, «die möglichst wenig eingreifen». Fragt sich nur, ob das reichen wird, um die fünfte Corona-Welle zu brechen.
Manche Politiker haben Zweifel. «Es ist schon sehr befremdend: Die Kantone hatten den Bundesrat ja öffentlich aufgefordert, nationale Corona-Massnahmen zu erlassen», sagt SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (35) stellvertretend. «Und jetzt wehren sie sich offenbar gegen wirksame Massnahmen wie das repetitive Testen an Schulen und eine klarere Pflicht für Homeoffice.»
So nähmen die Kantone in Kauf, dass sich die Corona-Welle weiter verschlimmert. «Ich hoffe nicht, dass der Bundesrat in einigen Tagen gezwungen sein wird, drastischere Massnahmen zu ergreifen, weil er den Kantonen jetzt entgegengekommen ist», so Wermuth. «Ausschliessen können wir das aber nicht.»