Österreich und Deutschland haben sie schon – Staatsrechtsexperte erklärt
Kann der Bundesrat eine Impfpflicht ausrufen?

Seit Sommer 2020 befindet sich die Schweiz in der besonderen Lage – auch jetzt, wo sich die Lage wieder zuspitzt. Staatsrechtler Rainer J. Schweizer fordert, erneut die ausserordentliche Lage auszurufen und konsequenter zu handeln.
Publiziert: 04.12.2021 um 00:27 Uhr
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Aktualisiert: 04.12.2021 um 09:52 Uhr
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Staatsrechtler Rainer J. Schweizer sieht die Schweiz wieder in der ausserordentlichen Lage, in der der Bundesrat allein harte Corona-Massnahmen ergreifen kann.
Foto: Keystone
Pascal Tischhauser

Der Bundesrat hat die Zertifikats- und Maskenpflicht ausgeweitet und die Homeoffice-Pflicht verstärkt. Dass die Corona-Ansteckungen und Spitaleinweisungen dadurch stark zurückgehen, wird bezweifelt. Blick hat den emeritierten Staatsrechtsprofessor Rainer J. Schweizer gefragt, ob unsere Regierung nicht zu einer Impfpflicht oder 2G greifen könnte.

Herr Schweizer, Experten sind kritisch, ob die Massnahmen ausreichen, die der Bundesrat beschlossen hat. Welche schärferen Massnahmen kann die Landesregierung derzeit noch ergreifen?
Rainer J. Schweizer: Aufgrund des Epidemiengesetzes und unserer Verfassung kann der Bundesrat zum Beispiel heute schon beschliessen, dass nur noch geimpfte Personen Patienten pflegen dürfen. Das wäre ein wichtiger Schritt, aber dieser reicht kaum.

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Was braucht es denn?
Ich bin nicht Mediziner. Aber wenn ich sehe, dass die Intensivstationen zahlreicher Spitäler schon wieder voll sind und wir mehr Todesfälle zu beklagen haben als bei anderen Wellen, dann ist es eindeutig: Wir befinden uns wieder in der ausserordentlichen Lage.

Aber der Bundesrat macht bislang keine Anstalten, die ausserordentliche Lage auszurufen.
Die Massnahmen, die der Bundesrat nun ergriffen hat und die vermutlich noch nicht ausreichen, entfalten ihre Wirkung ja bekanntlich erst in einigen Wochen. Die Landesregierung würde mit der ausserordentlichen Lage mehr Handlungsspielraum erlangen und vor allem die Bevölkerung aufrütteln.

Könnte er dann auch eine Impfpflicht für alle ausrufen?
Das ist strittig. Aber die laufende Session des Parlaments ist eine Chance dazu. Der Bundesrat kann rasch einen ausserordentlichen Bundesbeschluss erwirken. Wenn er schon Anfang kommender Woche eine entsprechende Vorlage in die zuständigen Kommissionen bringt, kann diese als dringliches Geschäft in Zwei-Tages-Schritten durch die Kommissionen und die beiden Ratskammern gebracht werden. Noch vor Ende der Session hätten wir ein Impfpflicht-Gesetz.

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Aber man kann doch niemanden zur Impfung zwingen. Hier würde doch die persönliche Integrität der Mitbürger verletzt. Wie könnte ein Impfzwang faktisch aussehen?
Wer sich nicht impfen lässt, gefährdet unweigerlich sich selbst und vor allem auch andere Menschen erheblich. Selbstverständlich darf niemand zwangsweise geimpft werden, aber das Gesetz kann Bussen und Nachteile zum Beispiel im öffentlichen Verkehr vorsehen.

Könnte der Bundesrat heute schon, also mit den derzeit geltenden Bestimmungen der besonderen Lage, eine 2G-Regel in Kraft setzen?
Es kommt darauf an, wo. Meiner Meinung nach könnte er dies beispielsweise in den Restaurants schon tun. Aber auch die Kantone selbst hätten die Möglichkeit, auf ihrem Gebiet zu verlangen, dass nur noch Geimpfte und Genesene in eine Bar dürfen. Weil aber die Corona-Situation in den Kantonen nicht mehr sehr unterschiedlich ist, wäre eine nationale Regelung gescheiter. Eines bleibt klar: Die Corona-Zahlen steigen weiter an. Der Bundesrat muss handeln. Je früher er wirksame Massnahmen ergreift, desto besser. Bundesrat und Bundesversammlung haben zurzeit viele rechtliche Handlungsmöglichkeiten.

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