Es hatte alles so schön begonnen: Aus einer Berner Bäckerei richtete sich Simonetta Sommaruga (60) an die Schweizerinnen und Schweizer. «Damit es uns wirklich gut gehen kann, muss es auch den andern gut gehen», sagte die frischgebackene Bundespräsidentin am 1. Januar und wünschte allen «von Herzen es guets Nöis».
Nun, gut ist in Sommarugas zweitem Präsidialjahr nicht viel geworden. Auch wenn im Januar, als sie am WEF mit US-Präsident Donald Trump (74) über den Klimawandel stritt, kaum etwas auf die enorme Krise hinwies. Corona – das ist zu diesem Zeitpunkt ein seltsames Virus, das es irgendwo in China geben soll.
Ein Händedruck noch am 28. Februar
Zwei Monate nach ihrem Bäckerei-Besuch, am 28. Februar, ruft der Bundesrat wegen des Virus die «besondere Lage» aus und verbietet Grossveranstaltungen. Und die Bundespräsidentin? Sie empfängt noch den ghanaischen Präsidenten Nana Addo Dankwa Akufo-Addo zum Staatsbesuch mit einem zehnsekündigen Händedruck. Courant normal, Sommaruga beisst sich im präsidialen Fahrplan fest.
Zum Virus, das die Schweiz und die Welt verunsichert, hält sie sich zurück. Selbst dann, als immer mehr Stimmen die Abwesenheit der Landesmutter beklagen, überlässt diese die Bühne ihrem SP-Parteifreund und Gesundheitsminister Alain Berset (48).
Die Krise macht ihr zu schaffen
Erst Mitte März, als der Bundesrat zuerst die Schulen schliesst und das Land drei Tage später in den Lockdown schickt, sitzt Sommaruga mit auf dem Podium. «Es braucht jetzt jede und jeden Einzelnen von uns», sagt sie in die Kameras, eindringlich, wie das sonst keiner der Bundesräte gekonnt hätte.
Man sieht ihr in dieser Zeit an, wie sehr ihr die Krise zu schaffen macht. Sie wirkt noch dünner und angespannter als sonst. Kein Wunder – wie sie später zugibt, hatte sie in dieser Zeit einige schlaflose Nächte. Die Arbeitslast ist enorm: Bis zu fünf Bundesratssitzungen pro Woche leitet sie, muss unterschiedliche Meinungen und Lobbyinteressen unter einen Hut bringen.
Sie überlässt Berset die grosse Bühne
Doch öffentliche Auftritte sind auch dann noch Ausnahmen. Erst am 8. April richtet sich die Bundespräsidentin wieder an die Bevölkerung, die gar nicht genug Information bekommen kann. Und tritt in den folgenden Monaten nur in Erscheinung, wenn es Lockerungsschritte bekannt zu geben gilt. Die strukturierte Sommaruga, so scheint es, braucht lange, um voll in den Krisenmodus umzuschalten.
Führungsstark nach aussen geben sich währenddessen zwei Männer ohne Haare: Berset und Daniel Koch, die es in diesen Wochen nur im Doppelpack gibt. Auch ohne Koch an seiner Seite gibt Berset bis in den Herbst hinein in der Krise den Ton an. Und macht dabei auch so einige Fehler, wie er inzwischen selbst zugibt.
Insbesondere lässt er die Kantone an der langen Leine. Fatal, wie sich später herausstellt: Weder bauen diese ein belastbares Contact Tracing auf noch sind sie mutig genug, um im Herbst auf sprunghaft ansteigende Fallzahlen zu reagieren. Berset hält sich vornehm-föderalistisch zurück.
Im Oktober endlich zeigt sie Leadership
Sommaruga zaudert sogar in ihren ureigensten Dossiers bis in den Sommer hinein. Wie BLICK im Juli publik machte, stellte sich die Verkehrsministerin lange gegen ein Maskenobligatorium im ÖV. Ihr Generalsekretär Matthias Ramsauer (57) wehrte sich im Corona-Krisenstab mehrfach gegen die Maskenpflicht.
Es wird Oktober, bis Sommaruga ganz offen Leadership zeigt und sich selbst ins Pandemie-Rampenlicht rückt: Mitte Monat ruft sie die Kantone zum Krisengipfel nach Bern – und grätscht damit auch Berset brutal in die Parade. Vor den Medien wird das magistrale Motto «der Bundesrat möchte» zu «Ich habe reagiert». So macht sie den Regierungsräten klar, dass die Kantone endlich handeln müssen – sonst tut es der Bund. Worauf die Gesundheitsdirektoren eiligst eine ausserordentliche Sitzung einberufen.
Gegen Ende immer stärker
Es dauert dann noch ein Weilchen, aber zumindest in der Romandie wird den Kantonen die heikle Situation bewusst – sie gehen im November in den Teil-Lockdown. Die Deutschschweiz aber wartet weiter ab. Was Sommaruga im Dezember erneut dazu veranlasst, den Tarif durchzugeben: Dass der Bund – wie mehrfach angedroht – wieder das Heft in die Hand nimmt, setzt sie gemäss Quellen aus dem Bundesratsumfeld durch.
Was zeigt: Es hat lange gedauert, bis Sommaruga in ihrem zweiten und wohl letzten Präsidialjahr angekommen ist. Doch als es nötig war, hatte sie die Stärke, gegen alle föderalistischen Bedenken durchzugreifen. Ab jetzt kann sie das ihrem Nachfolger überlassen – denn mit dem 31. Dezember endet Sommarugas Präsidialjahr. Ab Neujahr wird Guy Parmelin (61) den Landesvater geben müssen.