Als ihr Sohn genau heute vor fünf Jahren Bundesrat wurde, mussten Jeannine (†80) und Richard Parmelin (84) erst einmal leer schlucken. In der Stube von Guy Parmelins (61) jüngerem Bruder hatten sie die Wahl am 9. Dezember 2015 am Fernseher verfolgt. Erst nach einer Schrecksekunde stiessen sie mit einem Gläschen Weisswein vom familieneigenen Weingut auf ihren Sohn an.
Im Gegensatz zu dieser Zitterpartie ist die Wahl Parmelins zum Bundespräsidenten heute Mittwoch reine Formsache. Das Rotationsprinzip sieht vor, dass der Waadtländer das Amt als Primus inter pares – «Erster unter Gleichen» – am 1. Januar von Simonetta Sommaruga (60, SP) übernimmt. Die Familie des Wirtschaftsministers lässt es sich diesmal trotzdem nicht nehmen, im Bundeshaus dabei zu sein. Ehefrau Caroline (58), Vater, Bruder und Schwester reisen von Bursins VD nach Bern. Parmelins Mutter kann diesen Tag nicht mehr miterleben. Sie ist Anfang Jahr gestorben.
Randfigur steht nun im Mittelpunkt
Der Romand kann den Rückhalt seiner Familie gut gebrauchen. Ihm steht ein äusserst schwieriges Jahr bevor – nicht nur, aber vor allem wegen Corona. Obwohl er als Wirtschaftsminister eine wichtige Position innehat, war Parmelin – zumindest in der Öffentlichkeit – bisher eher eine Krisen-Randfigur. Nun ist er es, der die Regierung führen und die Bevölkerung hinter sich scharen muss.
Ausgerechnet er. Bei Umfragen zur Beliebtheit der Bundesräte landet der SVPler jeweils weit hinten. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass er bei öffentlichen Auftritten oft etwas linkisch wirkt. Mit seiner «gmögigen» Art vermag der gelernte Landwirt und Winzer im direkten Kontakt zwar Sympathiepunkte zu sammeln, mitreissend ist seine Art aber kaum. Der erste welsche SVP-Bundesrat ist rhetorisch ungelenk – ganz besonders auf Deutsch, auch wenn er es nun besser spricht als am Anfang. Und über seine Englischkenntnisse weiss die halbe Welt Bescheid. «I can English understand, but je préfère répondre en français»: Mit diesem Satz schaffte es Parmelin sogar in die «New York Times».
Beim Rahmenabkommen in der Zwickmühle
Zudem gilt Parmelin als führungsschwach. «Nicht er führt sein Departement, sondern das Departement führt ihn», sagt ein langjähriger Parlamentarier. Dennoch muss er nicht nur die Corona-Krise meistern. Da wäre auch das Rahmenabkommen mit der EU, bei dem es kommendes Jahr vorwärtsgehen soll. Als Bundespräsident übernimmt Parmelin die Führungsrolle – ob er will oder nicht.
Ausgerechnet er. Parmelin steckt in der Zwickmühle: Er muss sich für das Abkommen einsetzen. Die SVP erwartet aber von ihm, zumindest zwischen den Zeilen die Parteimeinung durchblicken zu lassen. Oder wie es SP-Fraktionschef Roger Nordmann (47) formuliert: «Beim Rahmenabkommen läuft Parmelin in den totalen Konflikt.»
Kommt hinzu, dass Parmelin auch als Landwirtschaftsminister vor einem herausfordernden Jahr steht. Die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative, die im Juni zur Abstimmung kommen, geniessen in der Bevölkerung grossen Rückhalt. Der Abstimmungskampf dürfte hart werden.
«Chrampfer» ohne Star-Allüren
Doch Parmelin ist sich «chrampfen» gewöhnt, nicht nur von früher auf dem Bauernhof, den inzwischen sein Bruder führt. «Er ist ein unglaubliches Arbeitstier», sagt ein SVP-Parlamentarier. Während der ersten Welle der Corona-Pandemie habe ihn seine Frau nur sehr selten gesehen, erzählt Jean-François Rime (70), ehemaliger Freiburger Fraktionskollege und guter Freund.
Dass Parmelin engagiert ist, räumen selbst kritische Stimmen ein. Und auch wenn die Meinungen über seinen politischen Leistungsausweis weit auseinandergehen, wird er einhellig als freundlich und zugänglich gelobt. Er höre zu, statt sich am liebsten selbst zu hören.
Dass er nicht nur als Nationalrat, sondern auch als Bundesrat eher blass blieb, wird auch positiv ausgelegt: Er habe – im Gegensatz zu anderen Bundesrätinnen und Bundesräten – keine Star-Allüren, heisst es. Das kann der Arbeit im Kollegium, vor allem in der Krise, durchaus zuträglich sein.
Wie schon nach der Wahl in den Bundesrat könnte ausserdem auch Parmelin von seiner Unscheinbarkeit profitieren: Gross enttäuschen kann er nicht. Positiv überraschen aber schon.