So wurde hinter den Kulissen um die Maske gerungen
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Wirtschaft gegen Wissenschaft:So wurde hinter den Kulissen um die Maske gerungen

Im Krisenstab stritten sich Wirtschaft und Wissenschaft
So wurde hinter den Kulissen um die Maske gerungen

Seit fünf Tagen ist sie Pflicht im ÖV – die Maske. Bis es so weit war, wurde heftig um die richtige Strategie gestritten. Das zeigen die Protokolle des Corona-Krisenstabs des Bundesrats.
Publiziert: 10.07.2020 um 22:27 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2020 um 08:26 Uhr
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Seit Montag, 6. Juli, müssen wir sie im ÖV tragen: Die Schutzmaske.
Foto: Keystone
Sermîn Faki, Ruedi Studer

Die Schweiz und die Maske – das ist keine Liebe. Wir tragen sie seit Montag notgedrungen in Zug, Postauto und Tram und reissen sie noch beim Aussteigen wieder erleichtert vom Gesicht.

Es musste Juli werden, bis sich der Bundesrat zu einer Maskenpflicht im ÖV durchringen konnte. Davor hiess es lange: «Schutzmasken sind, wenn sie in der allgemeinen Bevölkerung getragen werden, sehr wenig wirksam.» Das sagte «Mr. Corona» Daniel Koch (65) vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) beispielsweise am 16. März.

Zwei Wochen später führte Österreich ein Maskenobligatorium in der Öffentlichkeit ein, weitere Länder folgten. Das Mantra in der Schweiz blieb gleich. Masken gibt es fürs Gesundheitspersonal und Erkrankte. Der Rest braucht keine.

Hartes Ringen hinter den Kulissen

Und nun die Maskenpflicht im ÖV, in den Kantonen Waadt und Jura auch beim Einkaufen. Wie konnte es zu dieser spektakulären Kehrtwende kommen? Gesundheitsminister Alain Berset (48) erklärte im BLICK-Interview, dass es Masken während des Lockdowns nicht brauchte. «Nun, wo wir alle wieder mobiler sind, sind Masken nötig, wenn der Abstand nicht eingehalten werden kann.»

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Hinter den Kulissen wurde hart um die Maskenfrage gerungen. Das zeigen die Protokolle des Corona-Krisenstabs, die BLICK gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz eingefordert und erhalten hat.

Den Krisenstab hatte der Bundesrat am 17. März einberufen. Spitzenbeamte der verschiedenen Departemente, Kantonsvertreter, Wissenschaftler und Wirtschaftsspitzen sollten darin die Grundlagen für Bundesratsentscheide vorbereiten. Zu diesem Zweck trafen sie sich zwischen dem 25. März und 18. Juni mehrmals die Woche im Bankettsaal des Bernerhofs, wo das Finanzdepartement seinen Sitz und ausreichend grosse Räume hat.

BAG-Chef Strupler weibelte

In der Maskenfrage bildeten sich schnell zwei Lager: Wissenschaft und BAG waren dafür, Wirtschaft und Verkehr dagegen.

Während Koch die Maske für unnütz erklärte, weibelte sein Chef, BAG-Direktor Pascal Strupler (61), hinter den Kulissen seit April für eine Maskenstrategie. Er verwies beispielsweise auf Österreich, wo die Pflicht keine Probleme mache. Sekundiert wurde er von den Mitgliedern der wissenschaftlichen Taskforce um den renommierten Epidemiologen Matthias Egger (63). Dieser mahnte mehrfach, für verschiedene Situationen ein Obligatorium anzudenken.

Karrer fragte nach «Durchseuchung»

Ihr Gegenspieler: Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer (61). In der 17. Sitzung vom 20. Mai kam es hart auf hart. Um kurz nach 9 Uhr morgens ging es um die Frage, wie sich eine zweite Welle verhindern liesse. Karrer fragte zum einen, warum «Durchseuchung» keine Option sei.

Und meinte zum anderen: «Bei der Maskenpflicht sollte man zurückhaltend bleiben.» Egger hielt dagegen, wie im Protokoll nachzulesen ist: «50 Prozent der Übertragungen finden durch Personen statt, die keine Symptome zeigen.» Deshalb sei das Tragen von Masken wichtig, wenn der Abstand nicht eingehalten werden könne. Alles andere wäre «fahrlässig»: «Dass Masken schützen, ist common sense.»

Masken-Bremser, Öffnungsturbo

Karrer liess sich nicht überzeugen. Noch knapp einen Monat später, es ist mittlerweile Mitte Juni und der Krisenstab trifft sich zum letzten Mal, resümierte er: «Es besteht ein gewisses Risiko, dass man aus dem Maskenthema zu viel macht.» Er gratulierte dem Bundesrat fast zu dessen «Mut, keine Maskenpflicht einzuführen».

Auf Anfrage von BLICK wiegelt Karrer ab. Economiesuisse sei zwar von Anfang an gegen eine generelle Maskenpflicht gewesen. Ob während des Lockdowns oder später nach den Lockerungen: Zentral seien die Abstandsregeln und Hygienemassnahmen. Doch wo das Einhalten dieser nicht möglich sei – ob in der Industrie, auf dem Bau oder aber im Zug –, sei die Maske ein wichtiges Instrument.

Auch Sommarugas rechte Hand war gegen Maskenpflicht

Karrer war mit seiner Skepsis aber nicht allein. Support erhielt der Economiesuisse-Chef vom Staat. Matthias Ramsauer (57), Generalsekretär von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60), sträubte sich ebenfalls gegen eine Maskenpflicht – selbst für den ÖV. Eine solche liesse sich nicht durchsetzen, besser setze man auf «Sozialkontrolle». Was, wie heute alle wissen, nicht funktioniert hat.

Dass Ramsauer so argumentierte, liefert vielleicht auch eine Erklärung für die späte Maskenpflicht im ÖV. Er dürfte sich kaum gegen die Meinung seiner Chefin gestellt haben.

Tram-Foto sagte Maskenpflicht voraus

Zumindest heisst es in Bern, dass sich auch Sommaruga lange gegen das Maskenobligatorium sträubte. Und damit eine Mehrheit im Bundesrat verhinderte. Als Verkehrsministerin sorgte sich Sommaruga wohl, dass eine Maskenpflicht zu weniger Fahrgästen und dadurch zu weniger Einnahmen für die Verkehrsbetriebe führen würde.

Erst als sie am 29. Juni öffentlichkeitswirksam maskiert aus einem Berner Tram stieg, wussten die Befürworter im Bundesrat: Jetzt ist die Zeit reif. Zwei Tage später war die Maskenpflicht beschlossene Sache.


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