«Wir müssen lernen, offen über psychische Probleme zu reden»
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Kurse für mentale Gesundheit:«Müssen lernen, offen über psychische Probleme zu reden»

Geschäftsleiterin von Pro Mente Sana
«Wir müssen lernen, über Schwierigkeiten zu reden»

Am 10. Oktober ist Welttag der psychischen Gesundheit. Um diese steht es hierzulande nicht sonderlich gut. Muriel Langenberger nimmt uns alle in die Pflicht, das zu ändern.
Publiziert: 09.10.2022 um 17:30 Uhr
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Muriel Langenberger amtet seit Anfang September 2022 als Geschäftsleiterin der Stiftung Pro Mente Sana.
Foto: Thomas Meier
Dana Liechti

Klimawandel, Coronavirus, Ukraine-Krieg: Eine Krise jagt die nächste. Die im ersten Pandemiejahr viel beschworene Rückkehr zur Normalität ist ausgeblieben. Und das hat Folgen: Viele Schweizerinnen und Schweizer fühlen sich von Unsicherheiten und Sorgen geplagt, immer mehr Menschen hierzulande sind psychisch belastet.

Vielen fällt es dennoch schwer, sich zu öffnen und über ihre Gefühle zu sprechen. Oder angemessen zu reagieren, wenn jemand im Umfeld leidet.

Muriel Langenberger möchte das ändern. Seit September amtet die gebürtige Westschweizerin als Geschäftsleiterin der Stiftung Pro Mente Sana, die sich seit über 40 Jahren für psychische Gesundheit in der Schweiz einsetzt.

SonntagsBlick: Frau Langenberger, wie würden Sie reagieren, wenn ich Ihnen anvertrauen würde, dass es mir nicht gut geht?
Muriel Langenberger: Zuallererst würde ich Ihnen einfach zuhören. Und dann offene Fragen stellen. Ich würde zum Beispiel wissen wollen, was Sie gerade brauchen, was Ihnen guttun würde. Zu einem späteren Zeitpunkt würde ich nochmals auf Sie zugehen und Sie gegebenenfalls ermutigen, sich professionelle Hilfe zu holen. Wichtig ist, dranzubleiben.

Und wenn Sie nur vermuten würden, dass es mir nicht gut geht?
Dann würde ich Sie darauf ansprechen. Es ist wichtig, dass man sich das traut. Wir müssen lernen, über Schwierigkeiten zu reden. Natürlich ist das in unserer Leistungsgesellschaft nicht leicht – und vielmals auch mit der Angst verknüpft, etwas Negatives auszulösen.

Persönlich

Muriel Langenberger (53) ist Geschäftsleiterin von Pro Mente Sana. Zuvor arbeitete sie unter anderem als Mitglied der Geschäftsleitung der Jacobs Foundation, beim Bund als Leiterin für Kinder- und Jugendfragen und beim Kinder-hilfswerk Terre des hommes. Langenberger ist verheiratet und wohnt in Erlenbach ZH.

Muriel Langenberger (53) ist Geschäftsleiterin von Pro Mente Sana. Zuvor arbeitete sie unter anderem als Mitglied der Geschäftsleitung der Jacobs Foundation, beim Bund als Leiterin für Kinder- und Jugendfragen und beim Kinder-hilfswerk Terre des hommes. Langenberger ist verheiratet und wohnt in Erlenbach ZH.

Sprechen Sie aus Erfahrung?
Als ich das Gymnasium besuchte, starb eine Mitschülerin an Suizid. Im Vorfeld hatte ich bemerkt, dass es ihr nicht gut ging. Ich wusste aber überhaupt nicht, wie ich damit umgehen sollte und erlaubte mir nicht, mit ihr darüber zu reden. Auch die Klasse und die Lehrpersonen waren völlig unvorbereitet. Diese Situation hat mich stark geprägt. Jedes an Suizid verlorene Leben ist eines zu viel.

Vor wenigen Tagen veröffentlichte der Bund die Statistik über Suizide im ersten Pandemiejahr 2020. Sie zeigt, dass die Suizidrate hierzulande seit 40 Jahren kontinuierlich sinkt. Und dass sich erstmals seit 1964 weniger als 1000 Menschen das Leben genommen haben.

Stimmt es Sie zuversichtlich, dass immer weniger Menschen Suizid begehen – selbst in einem Krisenjahr wie 2020?
Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen. Grundsätzlich müssen wir uns bewusst sein, dass die Situation, was Suizide angeht, in der Schweiz nicht gut ist. Ausserdem zeigt sich bei jungen Frauen ein gegenteiliges Bild, bei ihnen steigt die Suizidrate. Auch die Anzahl der Suizidversuche wird leider nicht kleiner. Was die Pandemie angeht: Man entscheidet nicht von heute auf morgen, sich das Leben zu nehmen. Es kann sein, dass die Suizidrate erst mit einiger Verzögerung steigt. Natürlich hoffen wir, dass dem nicht so ist. Zentral ist, dass wir uns jetzt fragen, warum es so vielen Menschen und insbesondere jungen so schlecht geht. Wir müssen etwas verändern.

Was schlagen Sie vor?
Ein Ausbau des Therapieangebots ist notwendig, gerade, was Kinder und Jugendliche angeht. Es kann nicht sein, dass Jugendliche, die leiden, keine Unterstützung bekommen oder monatelang warten müssen, bis sie eine Therapie beginnen können. Und wir müssen lernen, Zeichen einer psychischen Belastung zu erkennen und – wie schon erwähnt – darüber zu reden.

Hier findest du Hilfe!

Wenn ein Ereignis auch bei dir auch seelisch Spuren hinterlassen hat, zögere nicht, Hilfe zu holen. Auch für Kinder und Jugendliche gibt es passende Angebote.

Pro Juventute, Telefon 147, Beratungstelefon und Chat für Kinder und Jugendliche oder www.147.ch. 24/7. Dargebotene Hand, Telefon 143, www.143.ch, 24/7.

Elternnotruf, 0848 35 45 55 (Festnetztarif) oder www.elternnotruf.ch. Nicht für medizinische Notfälle. Zwischen 23 und 8 Uhr wird der Anruf auf Pro Juventute umgeleitet.

Dureschnufe, www.Dureschnufe.ch, Plattform mit Tipps für psychische Gesundheit rund um Corona.

Hotline für Angststörungen und Panik, Telefon 0848 801 109. Öffnungszeiten an Feiertagen nur von 12 bis 14 Uhr, www.aphs.ch.

Wenn ein Ereignis auch bei dir auch seelisch Spuren hinterlassen hat, zögere nicht, Hilfe zu holen. Auch für Kinder und Jugendliche gibt es passende Angebote.

Pro Juventute, Telefon 147, Beratungstelefon und Chat für Kinder und Jugendliche oder www.147.ch. 24/7. Dargebotene Hand, Telefon 143, www.143.ch, 24/7.

Elternnotruf, 0848 35 45 55 (Festnetztarif) oder www.elternnotruf.ch. Nicht für medizinische Notfälle. Zwischen 23 und 8 Uhr wird der Anruf auf Pro Juventute umgeleitet.

Dureschnufe, www.Dureschnufe.ch, Plattform mit Tipps für psychische Gesundheit rund um Corona.

Hotline für Angststörungen und Panik, Telefon 0848 801 109. Öffnungszeiten an Feiertagen nur von 12 bis 14 Uhr, www.aphs.ch.

Mit wir meinen Sie: Wir alle?
Psychische Gesundheit geht uns alle etwas an. Jede zweite Person wird im Laufe ihres Lebens einmal eine psychische Belastung erleben. Und neun von zehn Personen kennen jemanden, dem es mal schlecht ging oder dem es jetzt schlecht geht. Um der Bevölkerung in dieser Hinsicht unter die Arme zu greifen, haben wir mit Unterstützung der Beisheim Stiftung den Ensa-Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit in der Schweiz eingeführt.

Seit 2019 bietet Pro Mente Sana für Private und für Unternehmen den sogenannten Ensa-Kurs an – quasi ein Pendant zum Erste-Hilfe-Kurs, den man als Teil des Fahrtrainings kennt mit Fokus auf seelische Hilfe. Die Teilnehmenden lernen unterschiedliche Krankheitsbilder kennen und üben, wie sie auf Menschen mit psychischen Problemen zugehen und ihnen zur Seite stehen können.

Wie kommt der Kurs in der Bevölkerung an?
Gut! Ich habe ihn im Sommer selbst besucht und sehr viel gelernt. Auch zahlenmässig ist der Kurs gut besucht: Im Oktober können wir bereits den zehntausendsten Ersthelfenden ausbilden. Unser Ziel ist, eine Million auszubilden. Wir wünschen uns, dass es überall, wo sich Menschen begegnen – sei es auf der Arbeit, auf einer Party, im Sportverein oder in der Familie – jemanden gibt, der weiss, wie man auf eine psychische Belastung reagiert.

Weshalb ist das wichtig?
Je früher eine Erkrankung erkannt und behandelt wird, desto besser. Und noch etwas ist wichtig zu wissen. Dass man von einer psychischen Erkrankung genesen oder – ähnlich wie bei einem Herzfehler – auch damit leben kann. Und dass es ganz viele Menschen da draussen gibt, die das tun und einen beeindruckenden Weg hinter sich haben.

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