Ainhoa Martinelli (19) aus Erlach BE maturierte diesen Sommer, aktuell in einem Zwischenjahr
«Mich beschäftigen die Klimakrise und unser träges System. Da fühle ich mich machtlos. Wir rasen mit 120 Kilometern pro Stunde auf eine Wand zu. Das macht Angst. Ich glaube, dass es Jugendlichen psychisch schlecht geht, ist ein Symptom des Systems.
Deswegen bin ich in der Klimabewegung sehr aktiv. Einen Grossteil meiner Freizeit wende ich für den Aktivismus auf.
Momentan baue ich ‹Debt for Climate› in der Schweiz auf. Ursprünglich kommt die Bewegung aus dem globalen Süden (Entwicklungs- und Schwellenländer). Ziel ist es, gemeinsam jene Länder von den finanziellen Schulden zu befreien und so der Ausbeutung ein Ende zu setzen. Das schenkt mir Hoffnung. Aus den Beziehungen und dem Austausch aus meiner Bubble sammle ich zusätzlich Kraft.
Ich bin international vernetzt und war vor kurzem in Hamburg beim ‹System Change Camp›. Wir haben LNG-Terminals blockiert, um den fossilen Kapitalismus zu stören. Im Gespräch mit Aktivistinnen und Aktivisten aus dem globalen Süden wurde mir bewusst, dass ich mit ganzer Leidenschaft hinter der Bewegung stehe und auch negative Erfahrungen in Kauf nehme. Mir ist einmal mehr bewusst geworden, wie privilegiert ich in Europa bin. Mit meinem Aktivismus muss ich nicht mit Sanktionen wie dem Tod rechnen.
Oft entsteht ein falsches Bild der Klimabewegung. Das kann ich nachvollziehen. Wir möchten nicht mit dem Finger auf Individuen zeigen. Die Klimabewegung möchte, dass die Konzerne oder die Politik die Verantwortung übernehmen. Ich finde es nicht richtig, dass die Verantwortung auf die Individuen abgeschoben wird.
Aktuell befinde ich mich in einem Zwischenjahr nach der Matura, ich bin unsicher, was ich studieren möchte. Deswegen arbeite ich in zwei Cafés und in einer Schule als Klassenassistenz. Sehr gerne würde ich auf einem Permakultur-Hof ein Praktikum machen.
Für die Zukunft wünsche ich mir ein basisdemokratisches System, in dem wir wirklich etwas ändern können.»
Tim Steinmann (22) aus Schaffhausen, Forstwart-Lehrling im ersten Lehrjahr
«Vor meiner Lehre als Forstwart habe ich das KV abgeschlossen. Dort habe ich schnell gemerkt, dass mich die Arbeit im Büro nicht erfüllt. Ich bin jung, will mich bewegen, solange ich noch kann. Nicht den ganzen Tag vor dem Computer sitzen. Geld hat in meinem Leben nicht erste Priorität. Leistungsdruck macht mir nichts aus – solange ich den Sinn in meiner Arbeit sehe.
Was ich bisher vom Leben gelernt habe: wie unglaublich wichtig es ist, für sich selbst einzustehen. Es anzusprechen, wenn einem etwas nicht passt. Tut man es nicht, kann das ernsthafte Konsequenzen haben – erfahren musste ich das in Form einer Depression, von der ich mich mittlerweile wieder befreit habe.
Sinnbildlich gesprochen ist das Leben heute meist so, als müsste man den Times Square in New York durchqueren. Links und rechts blinken Leuchtreklamen und Schaufenster. Gross und bunt, hektisch und vielversprechend, alle wetteifern sie um unsere Aufmerksamkeit. Dieser Reizüberflutung zu widerstehen, ist schwierig.
Gerade deshalb glaube ich, dass wir im Leben einen klaren Fokus brauchen und ständig hinterfragen sollten, was wir eigentlich tun. Das Negative nimmt schnell überhand, deshalb sollten wir uns jeden Tag auf die schönen Dinge konzentrieren. Für mich ist das der Schlüssel zum langfristigen Glück.
Ich glaube nicht, dass eine Einzelperson die ganze Welt verändern kann. Doch kann jeder Mensch seinen eigenen, kleinen Teil beitragen. Ich für mich habe meinen Teil im Wald gefunden. Meine Arbeit ist äusserst langfristig: Die Ergebnisse dessen, was ich jetzt tue, werde ich wohl erst in vielen Jahren sehen.
Der Wald ist wichtig für das Klima, als Rohstoff und für unsere Erholung, deshalb trage ich in meiner Arbeit grosse Verantwortung. Bisher hat es noch keinen Tag gegeben, an dem ich nicht gerne in den Wald gegangen bin.
In der Gesellschaft nehme ich eine Veränderung wahr. Wir sind heute umweltbewusster und sensibilisierter, es wird langfristiger gedacht. Das ist zwar bloss ein Funke, doch der hat Potenzial. Wie die Zukunft aussieht, liegt in unserer Hand.»
Yasmin Fischer (19), Kauffrau im 3. Lehrjahr bei der Ortsbürgergemeinde St. Gallen
«Ich lebe mit meiner Mutter in St. Gallen. Meine Ausbildung gefällt mir. Es war die richtige Entscheidung, das KV zu machen. Ich arbeite gerne, aber in der Berufsschule sehe ich meine Kolleginnen, und die Tage sind kürzer. Aktuell hat mein Lehrabschluss Priorität. Später will ich eine Weiterbildung anstreben.
Nächsten Sommer kann ich hoffentlich meinen Sprachaufenthalt nachholen. Als ich nach einer Woche in London wegen Corona nach Hause musste, hat mich das sehr traurig gemacht.
Was Beziehungen angeht: Unsere Generation ist mit toxischen Beziehungen sehr konfrontiert, durchs Handy und Social Media. Man ist immer erreichbar, und es ist viel einfacher zu betrügen. Das löst viel Streit aus. Ich habe mit meinem Freund aber eine gute Beziehung. Manchmal stresst mich Social Media, dann lege ich mein Handy weg. Trotzdem ist Social Media wichtig, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben, die nicht in St. Gallen wohnen.
Mit meinen Freunden gehe ich sehr gern an Festivals. Das Openair St. Gallen war diesen Sommer Pflicht. Natürlich diskutiere ich mit meinem Umfeld auch ernste Themen wie die Energiekrise. Aber ich habe keine Angst. Auch die Pandemie konnte ich relativ gut meistern.
Klar, ich habe die Festivals vermisst. Aber ich hatte eine sichere Lehrstelle, und es ging mir so weit gut. Manchmal muss man die Dinge auch akzeptieren und aus der Situation das Beste machen. Vor dem Klimawandel habe ich trotzdem Respekt, besonders wegen den heissen Sommern. Mit der Hitze habe ich Probleme. Trotzdem versuche ich immer, das Positive zu sehen.»
Roman K.* (16) aus Buchs, im letzten Lehrjahr zum Automatiker
«Seit zwei Jahren fühlt sich das Leben an wie eine Abwärtsspirale. Klimakrise, Pandemie, Ukraine-Krieg, jetzt Teuerungen und Stromknappheit. Ich denke, vor allem die Pandemie hat uns Jugendliche stärker beschäftigt, als wir gedacht haben.
Welche Drogen konsumiert werden, ist für mich ein Gradmesser dafür, wie es der Jugend geht. Vor Corona war das hauptsächlich Gras, aber im Lockdown waren plötzlich MDMA, LSD und härtere Sachen im Umlauf. Ich kenne einige, die eine Überdosis hatten und von der Bildfläche verschwunden sind.
Ich mache gerade eine Lehre als Automatiker. Letztes Jahr hatte ich mit einer Depression zu kämpfen. Zuerst dachte ich, es sei eine Winterdepression, doch auch im Frühling wurde es nicht besser. Es nervt mich, dass heute viele Jugendliche jedem erzählen müssen, sie seien so depressiv, obwohl es ihnen nur um Aufmerksamkeit geht. Einerseits muss man sie natürlich ernst nehmen, denn mit Depressionen ist nicht zu spassen. Andererseits macht es das viel schwieriger für diejenigen, die tatsächlich an einer Depression erkrankt sind.
Ob bei der psychischen Gesundheit oder Themen wie Veganismus oder Toleranz: Ich finde es gut, dass wir heute sensibilisierter sind. Doch wird daraus schnell zu viel des Guten. Schliesslich sollte jeder so sein dürfen, wie sie oder er will.
Die Jugend entwickelt sich schnell weiter, aber die Erwachsenen kommen nicht mehr mit. Ich habe das Gefühl, die Älteren finden unsere Entwicklung gut, solange sie selber nichts an ihrem Verhalten ändern müssen. Betrifft eine Änderung sie selbst, fangen sie an, uns zu kritisieren.
Was ich bisher aus meinem Leben gelernt habe, ist, dass ich für alles irgendeine Lösung finden kann. Deshalb bin ich nach wie vor optimistisch.»
* Name geändert