Die Verbindung rauscht. «Sorry, ich bin gerade noch auf der Rückreise von Spanien», entschuldigt der Klimastreik-Aktivist Cyrill Hermann (18) den schlechten Handyempfang. Zwei Tage dauert die Zugfahrt von Sevilla nach Zürich. Was man halt so macht als junger Mensch mit Umweltbewusstsein, aber entspannt ist das nicht.
Und dann sagt Hermann diesen Satz: «Ich versteh jeden, der fliegt.»
Der Idealismus, mit dem die Greta-Bewegung Ende 2018 auch in der Schweiz ihren Anfang nahm, ist einem neuen Pragmatismus gewichen. Die Jugendlichen besorgt die Klimakrise mehr denn je. Aber sie glauben nicht mehr daran, dass Einzelne die Welt retten können, sie zweifeln am Konzept Klimademo – und sie sind wahnsinnig erschöpft.
Die klimabewegten Jugendlichen fühlen sich ausgebrannt
«Unser Standbein waren die Demos. Aber es ist unmöglich, den Druck über 20 Jahre aufrechtzuerhalten», sagt Hermann. Es werde immer aufwendiger, Leute auf die Strasse zu bringen. «Dem Klimastreik fehlen intern Ressourcen, viele sind ausgelaugt und mögen nicht mehr.» Dass er «überhaupt noch was macht», obwohl er merke, dass es ihm nicht guttue, liege nur an einem: seiner Angst vor den Folgen des Klimawandels.
Wie Hermann geht es vielen in der Bewegung. Drei Jahre lang haben sie sich neben der Schule aufgeopfert, ein Zwischenjahr gemacht, das Studium schleifen lassen. Sie waren Projektleiterinnen, Moderatoren und Pressesprecher in Personalunion. Haben Sitzungen vorbereitet, Manifeste geschrieben, Hunderttausende mobilisiert. Jetzt sind viele mit ihren Kräften am Ende – und wissen nicht, wie es weitergeht.
«Eigentlich bin ich ausgebrannt und rede wöchentlich mit Leuten darüber, dass ich mich zurückziehen möchte. Aber das ist viel schwerer, als man denkt», sagt Meret Schefer, eine 18-jährige Aktivistin aus Bern. Am Anfang sei sie sehr euphorisch gewesen. «Ich habe wirklich gedacht, dass wir es schaffen, alles umzuwenden.» Doch auf die Euphorie folgte Druck. Fuhr sie in die Ferien und hatte den Laptop nicht dabei, stresste sie sich, ihren Aufgaben nicht nachkommen zu können.
Das Pflichtbewusstsein dominiert bis heute ihr Leben. «Ich will mal einen Tag, an dem ich das Gefühl habe, nicht das und das und das machen zu müssen. Sondern an dem ich mir überlegen kann: Will ich Geige spielen oder spazieren gehen?» Das hätte sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gehabt. Aufgeben ist trotzdem keine Option. «Mein Hauptziel ist ‹durehebe›. Dabeizubleiben.»
Die Klimademos brachten zu wenig konkrete Ergebnisse
Die Klimakrise ist für viele der engagierten Jugendlichen persönlich. «Es überrollt einen einfach, wenn man ins Aktivsein kommt. Man bekommt immer mehr negative Infos über den Status der Welt. Dann versucht man das mit mehr und mehr Engagement zu kompensieren», sagt Anna Lindermeier (20), die fast ihr Bio-Studium für die Bewegung geschmissen hätte. Mittlerweile frage sie sich: «Wie viel kann ich machen und wie viel ist auch sinnvoll zu machen, damit es mir selbst noch gut geht?»
Von den Ergebnissen der Klimademos sind die Jugendlichen ernüchtert. Realpolitisch hätte sich selbst mit der grünen Welle nichts verändert. In der Schweiz scheiterte das CO2-Gesetz im vergangenen Jahr an der Urne – auch weil Teile des Klimastreiks dagegen revoltierten.
Und obwohl die jungen Klimaaktivistinnen all ihre Zeit und Energie für die Protestbewegung geopfert haben, sind die Klima-Nachrichten noch schlimmer geworden.
Kaum ein Land ist auf dem richtigen Weg, um die Pariser Klimaziele – die dauerhafte Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad und möglichst unter 1,5 Grad Celsius zum vorindustriellen Zeitalter senken – zu erreichen. Der jüngste Weltklimabericht zeichnet ein düsteres Bild: Die Welt rast auf die sogenannten Kipp-Punkte zu, jene Veränderungen im Ökosystem, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Fast alle haben Klima-Angst
Bei den klimabewegten Jugendlichen sorgt das für Panik. «Für mich ist das recht physisch, mir wird schlecht, ich bekomme keine Luft, wenn ich Texte oder Berichte lese, die die Realität aufzeigen. Wenn ich Veranstaltungen oder politische Events beobachte, schreit in mir alles», sagt die Bernerin Meret Schefer. Was sie beschreibt, kennen Dutzende Aktivistinnen und Aktivisten, mit denen SonntagsBlick für diesen Artikel geredet hat. Die Symptome haben einen Namen: «Climate Anxiety», zu Deutsch «Klima-Angst».
Diese Klima-Angst ist ein globales Phänomen. Die britische Bildungsforscherin Caroline Hickmann hat 10'000 Menschen zwischen 16 und 25 Jahren in zehn Ländern dazu befragt. In der im Dezember im Fachmagazin «The Lancet» erschienenen Studie gaben 59 Prozent der Befragten an, «sehr» oder «extrem besorgt» über die Klimakrise zu sein. Mehr als die Hälfte fühlt sich deswegen oft traurig, ängstlich, wütend, machtlos, hilflos und schuldig.
Die Not ist gross, die Anlaufstellen noch rar. «Es gibt kaum Fälle bei uns, schon gar nicht als Hauptdiagnose», sagt Marc Stutz, Sprecher der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Stattdessen seien die Hauptdiagnose oft Depressionen. Die Zahlen dazu seien bei jungen Menschen schweizweit schon vor der Pandemie gestiegen und hätten sich während der Pandemie zugespitzt – «was jedoch in keinem Zusammenhang mit der Klimafrage steht».
«Besser den Finanzplatz angreifen als Flugverbot»
Aber wer kann bei all den Krisen, die die Jugendlichen in den vergangenen Jahren erleben mussten, noch genau sagen, was Ursache ist – und was Auslöser? Klima, Corona, Krieg: Die engagierten Jugendlichen müssen das nicht nur für sich verarbeiten, sondern sie wissen auch, dass all diese Krisen zusammenhängen. Sie sind systemisch.
«Eigenverantwortung reicht nicht», sagt Anna Lindermeier und schüttet Milch in ihren Kaffee. Richtige Kuhmilch? Lindermeier zuckt mit den Schultern. «Meistens nehm ich schon Hafer, aber ich bin da nicht pedantisch.» Verhaltenstipps zu geben, wie es der Klimastreik anfangs oft gemacht habe, bringe nicht genug und lenke nur von den echten Ursachen ab. «Es ist besser, den Finanzplatz anzugreifen, als alle vom Fliegen abhalten zu wollen.»
Gewerkschaften loben Zusammenarbeit, der Klimastreik zweifelt
Lindermeier hat in den vergangenen Jahren den «Strike for Future» mit aufgebaut, eine Art Klimastreik 2.0. Dafür wurde der Gewerkschaftsbund mit an Board geholt, um gemeinsam einen sozialen Klimaschutz einzufordern. Die Klimajugendlichen versprachen sich davon wieder höhere Teilnehmerzahlen und ein breiteres Verständnis in der Bevölkerung.
Doch die Zusammenarbeit ist gescheitert. Der letzte Aktionstag am 9. April war teilnehmertechnisch ein Flop und fand medial nur wenig Beachtung. Die Unia, die grösste Gewerkschaft der Schweiz, lobt dennoch die Zusammenarbeit: «In vielen Regionen sind tragfähige Beziehungsnetze entstanden, was wir als grosse Chance erachten.» Die Zusammenarbeit mit der Klimabewegung habe auch dazu beigetragen, das Klimathema intern zu verankern. «Das ist wichtig, zumal unsere Mitglieder teils besonders von den Folgen der Klimaerhitzung betroffen sind, etwa die Bauarbeiter, die den immer extremeren Wetterverhältnissen ausgesetzt sind.» An einem weiteren Austausch sei man sehr interessiert.
Doch vonseiten des Klimastreiks ist offen, wie es weitergeht. Bei einem Reflexionstreffen am 19. Juni soll darüber diskutiert werden.
«Die Anfangsidee vom Projekt finde ich immer noch sehr wertvoll. Aber in der Umsetzung gab es bestimmte Probleme», räumt Lindermeier ein. Mit dem flotten Klimastreik und den traditionellen Gewerkschaften prallten Welten aufeinander, die Vernetzung kostete Kraft und Zeit, die gemeinsamen Forderungen waren nicht griffig genug für den Strassenkampf.
Hat sich der Klimastreik verzettelt?
«Die Art, wie wir produzieren, ist zentral bei der Bekämpfung des Klimawandels. Aber den Zusammenhang zwischen Arbeitszeitreduktion und Klima verstehen selbst Interessierte erst, wenn man eine halbe Stunde darüber spricht», sagt Cyrill Hermann selbstkritisch, der gerade auch die Diskussionsrunden für ein nationales Strategietreffen Anfang Juni vorbereitet.
Die Aktivistinnen und Aktivisten wissen, dass sie sich fokussieren müssen. Sie wissen nur noch nicht, worauf.
Dass Aktivisten eine Tankanlage in Rümlang ZH blockieren, bewegt am Donnerstagmorgen nicht mal die eigenen Gschpänli. Im Telegram-Channel des Klimastreiks Zürich haben die Nachricht bis zum Mittag 1200 Menschen gelesen, nur drei haben ein Herz dagelassen. Im schweizweiten Channel sind die Reaktionen ähnlich mau. Achtmal Feuer, einmal Händeklatschen. Ein Kommentar.
Trotzdem fühlen sich die klimabewegten Jugendlichen dafür verantwortlich, ständig «irgendwas Grosses» machen zu müssen. Damit überhaupt noch berichtet wird. Damit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Gehör finden. Oder als Rückenwind für Politikerinnen und Politiker.
Grüne und Linke machen den Jugendlichen zusätzlich Druck
Für den Druck, den sie spüren, machen die klimabewegten Jugendlichen auch grüne und linke Politikerinnen und Politiker verantwortlich. Die liessen konkrete Handlungsinstrumente wie den Klimaaktionsplan, den der Klimastreik gemeinsam mit renommierten Wissenschaftlern geschrieben hat, verpuffen – stachelten die Jugend aber nachdrücklich zum Protest an.
«Jacqueline Badran hat mir auch mal gesagt: ‹Super, haltet den Druck von der Strasse!›», erzählt Cyrill Hermann. Er fühlt sich von den Erwachsenen im Stich gelassen. «Es ist mega krass, dass wir allein für die Kinder von morgen einstehen müssen. Dabei sind wir doch selbst noch Kinder.»
«So aktiv zu sein, ist eine psychische Belastung. Aber es ist eine moralische Verpflichtung für mich als privilegierte Person im globalen Norden», sagt Anna Lindermeier.
Mit der Mischung aus Frust, Angst und Überforderung gehen die Jugendlichen beim Klimastreik unterschiedlich um. Manche satteln auf zivilen Ungehorsam um, blockieren und sabotieren. Manche, wie der Zürcher Dominik Waser (23), der für die Grünen im Gemeinderat sitzt, wechseln in die institutionelle Politik. Und manche gehen einfach.