Eingesperrt, gelangweilt, genervt und hilflos: So fühlen sich viele der rund 1,7 Millionen Kinder und Jugendlichen in der Schweiz, seit die Pandemie ihr Leben bestimmt.
Was früher die Flegeljahre waren, ist heute von Enthaltsamkeit und Angst geprägt: «Wir können nichts unternehmen. Alles wiederholt sich, jeder Tag ist gleich», sagt die 18-jährige Ronja Keller aus Zürich. «Manchmal habe ich sogar das Gefühl, das Leben wird nie mehr so sein wie vorher.»
Auf der Arbeit, in der Schule, beim Sport, in Familie und Freundeskreis trifft die Pandemie junge Menschen besonders hart. Dabei haben sie kaum Erfahrungen im Umgang mit Lebenskrisen.
Wie die angehende Köchin Ronja Keller in ein paar Monaten ihre Lehrabschlussprüfung absolvieren soll, weiss sie nicht. Was danach kommt, noch viel weniger. Sie spricht aus, was viele Jugendliche und junge Erwachsene fühlen: Statt sich adoleszenten Flausen hinzugeben oder die berufliche Laufbahn zu planen, stecken sie in einer öden Endlosschlaufe.
Die Hilfeschreie sind unüberhörbar. Das Sorgentelefon der Stiftung Pro Juventute läutet häufiger als sonst: «Viel mehr Jugendliche äussern Ängste, berichten von Konflikten mit Eltern und Geschwistern, von häuslicher Gewalt und Einsamkeit», so Sprecher Bernhard Bürki.
Mehr am Bildschirm, mehr einsam
Das Virus diktiert den Rhythmus der Generation von morgen – mit fatalen Folgen: die Perspektiven schwinden, der Videokonsum steigt, Vereinsamung hält Einzug. Bei einem kleinen, stetig steigenden Teil der Jugendlichen schwindet sogar die Lust zu leben.
Psychische Störungen gehören zu den häufigsten gesundheitlichen Problemen im Kindes- und Jugendalter. Auch ohne Pandemie ist Suizidalität in diesem Segment nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache. Die soziale Verelendung durch das Coronavirus verstärkt diesen Trend.
Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Bern verzeichnet bei den Notfällen eine Zunahme von 50 Prozent. «Wir sind überfüllt und können bei weitem nicht alle aufnehmen», sagt Direktor Michael Kaess. Bereits seit Monaten müsse triagiert werden. «Je nachdem gibt es dann Wartezeiten von mehreren Wochen oder gar Monaten für ein stationäres Bett.»
In der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität Zürich sind die Notfälle in den letzten zwölf Monaten um 40 Prozent gestiegen. Es sind übers Jahr gerechnet 1000 Kinder und Jugendliche, die sofort eine Betreuung brauchen. «Wir kommen an unsere Grenzen und mussten deshalb vermehrt Jugendliche überbrückend auf Erwachsenen-Stationen verlegen», sagt Direktorin Susanne Walitza. Die Folge: Weil die Kapazitäten ausgeschöpft sind, müssen immer mehr Jugendlich zu Hause betreut werden.
Ganz ähnlich das Bild in Basel: «Der Anmeldedruck in der Poliklinik und den stationären Abteilungen für Kinder und Jugendliche ist seit Herbstbeginn 2020 so hoch wie noch nie», sagt Alain Di Gallo, Direktor der Klinik für Kinder und Jugendliche der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Und in der Luzerner Kinder- und Jugendpsychiatrie stehen aktuell 290 statt sonst 160 Patienten auf der ambulanten Warteliste.
Besonders intensiv betroffen sind offenbar Jugendliche, die bereits vor der Pandemie psychisch angeschlagen waren. Erhebungen für die Schweiz kommen zum Schluss, dass dies auf 10 bis 20 Prozent zutrifft.
Entscheidend ist das Umfeld: «Familien in bereits belasteten, sozial oder wirtschaftlich prekären Verhältnissen haben ein deutlich höheres Risiko, dass sich ihre Situation und das Familienklima spürbar verschlechtern», so Bernhard Bürki von Pro Juventute.
Mehr Suizidversuche
Beunruhigend ist vor allem die Zunahme von ernsthaften Suizidversuchen: «Wir betreuen viel mehr suizidale Jugendliche bei uns», sagt Michael Kaess. Das stelle die Kliniken landesweit vor grosse ethische Herausforderungen: «Am meisten leiden im Prinzip jene Patienten, die zwar krank sind, aber nicht unmittelbar lebensgefährdet. Auch sie brauchen Hilfe und erleben grosses Leid, müssen aber in der Triagesituation zurückstecken, weil wir immer zuerst die akut gefährdeten Jugendlichen behandeln.»
Noch liegen keine gesicherten Daten vor, die einen Anstieg der Suizidalität statistisch belegen. Und nicht alle Kliniken im Land beobachten eine Zunahme von suizidalen Jugendlichen, wie eine Umfrage von SonntagsBlick zeigt. Susanne Walitza von der Kinder- und Jugendpsychiatrie Zürich betont, dass die Widerstandsfähigkeit der Jugendlichen insgesamt gut zu sein scheint: «Viele arrangieren sich mit der Situation und machen das Beste daraus.» Sie setzten bemerkenswert stark auf Solidarität und seien manchmal vorbildlicher als Erwachsene.
Und noch ein Lichtblick: Für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre gelten in Sport und Kultur Erleichterungen der Corona-Massnahmen. Der Bundesrat kündigte diese Woche an, die Altersgrenze nun auf 18 Jahre zu heben und die erlaubten Sport- und Kulturangebote auszuweiten. Zudem sollen Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit wieder zugänglich werden.
Langsam, aber stetig kehrt die jugendliche Freiheit zurück.
Die Dargebotene Hand:
Anonyme Beratung unter Einhaltung der Schweigepflicht.
Per Telefon 143 und Online www.143.ch.
Beratungsstelle Castagna für sexuell ausgebeutete Kinder, Jugendliche und in der Kindheit ausgebeutete Frauen und Männer:
044 360 90 40, www.castagna-zh.ch.
Opferhilfe Schweiz: www.opferhilfe-schweiz.ch
Die Dargebotene Hand:
Anonyme Beratung unter Einhaltung der Schweigepflicht.
Per Telefon 143 und Online www.143.ch.
Beratungsstelle Castagna für sexuell ausgebeutete Kinder, Jugendliche und in der Kindheit ausgebeutete Frauen und Männer:
044 360 90 40, www.castagna-zh.ch.
Opferhilfe Schweiz: www.opferhilfe-schweiz.ch
Nicola Probst (17), Praktikant in einer Kita, Müntschemier BE:
«Ich wohne noch bei den Eltern und habe jetzt viel Zeit mit meiner Familie verbracht. Das hat uns noch mehr zusammengeschweisst. Eigentlich geht es mir gut, ich darf nicht klagen. Aber es macht mir sehr zu schaffen, dass andere in meinem Alter mehr erlebt haben. Beim Ausbruch der Pandemie war ich 16, jetzt werde ich bald 18. Ich hatte mich sehr auf die Zeit gefreut, in der man zum ersten Mal alleine an Festivals geht und viel Zeit mit Freunden verbringt. Ich habe das Gefühl, mir werden wichtige Jahre genommen – die vielleicht schönsten meiner Jugend. Manchmal bin ich wütend. Nicht auf den Bundesrat oder die Massnahmen, sondern auf die Situation. Und ich mache mir Sorgen um andere. Dass viele Jugendliche psychisch stark leiden, belastet mich. Ich frage mich, wie ich helfen könnte. Etwas Positives hatten die Lockdowns: Meine selbst gedrehten Comedy-Youtube-Videos wurden öfter geschaut, und ich konnte dadurch während dieser Zeit Leute unterhalten.»
Nicola Probst (17), Praktikant in einer Kita, Müntschemier BE:
«Ich wohne noch bei den Eltern und habe jetzt viel Zeit mit meiner Familie verbracht. Das hat uns noch mehr zusammengeschweisst. Eigentlich geht es mir gut, ich darf nicht klagen. Aber es macht mir sehr zu schaffen, dass andere in meinem Alter mehr erlebt haben. Beim Ausbruch der Pandemie war ich 16, jetzt werde ich bald 18. Ich hatte mich sehr auf die Zeit gefreut, in der man zum ersten Mal alleine an Festivals geht und viel Zeit mit Freunden verbringt. Ich habe das Gefühl, mir werden wichtige Jahre genommen – die vielleicht schönsten meiner Jugend. Manchmal bin ich wütend. Nicht auf den Bundesrat oder die Massnahmen, sondern auf die Situation. Und ich mache mir Sorgen um andere. Dass viele Jugendliche psychisch stark leiden, belastet mich. Ich frage mich, wie ich helfen könnte. Etwas Positives hatten die Lockdowns: Meine selbst gedrehten Comedy-Youtube-Videos wurden öfter geschaut, und ich konnte dadurch während dieser Zeit Leute unterhalten.»
Lisa Schmocker (19), Studentin, Luzern
«Eigentlich bin ich fürs Studium nach Luzern gezogen, um neue Leute kennenzulernen. Aber weil alle Vorlesungen online sind, ist das kaum möglich. Meine Motivation ist weg. Ich muss mich extrem zwingen, am Morgen aufzustehen und mich an die Arbeit zu machen. Jetzt wäre doch die Zeit, um die wildesten, lustigsten Dinge zu erleben! Dass uns das weggenommen wird, ist schwer. Am meisten vermisse ich, mit meinen Freunden tanzen zu gehen. Jetzt bestehen meine Wochenenden daraus, dass wir uns im engsten Kreis treffen und etwas trinken. Weil wir kaum neue Dinge erleben, ist der Gesprächsstoff begrenzt. Mir geht es nicht blendend. Im letzten Jahr habe ich angefangen, eine Psychiaterin zu sehen, weil ich Anzeichen einer Depression hatte. Mit dem kommenden Frühling geht es mir aber jeden Tag ein Stückchen besser.»
Lisa Schmocker (19), Studentin, Luzern
«Eigentlich bin ich fürs Studium nach Luzern gezogen, um neue Leute kennenzulernen. Aber weil alle Vorlesungen online sind, ist das kaum möglich. Meine Motivation ist weg. Ich muss mich extrem zwingen, am Morgen aufzustehen und mich an die Arbeit zu machen. Jetzt wäre doch die Zeit, um die wildesten, lustigsten Dinge zu erleben! Dass uns das weggenommen wird, ist schwer. Am meisten vermisse ich, mit meinen Freunden tanzen zu gehen. Jetzt bestehen meine Wochenenden daraus, dass wir uns im engsten Kreis treffen und etwas trinken. Weil wir kaum neue Dinge erleben, ist der Gesprächsstoff begrenzt. Mir geht es nicht blendend. Im letzten Jahr habe ich angefangen, eine Psychiaterin zu sehen, weil ich Anzeichen einer Depression hatte. Mit dem kommenden Frühling geht es mir aber jeden Tag ein Stückchen besser.»
Ronja Keller (18), angehende Köchin; Cedric Buffat (19), Stromer-Lehrling
Ronja: «Wir sind jetzt zwei Jahre zusammen. Als Corona kam, durften wir uns fast drei Monate nicht wirklich sehen. Meine Eltern waren sehr vorsichtig. Ich war unglücklich.»
Cedric: «Wir haben uns dann einmal in der Woche getroffen und waren für ein, zwei Stunden spazieren. Sonst haben wir übers Handy gechattet und so.»
Ronja: «Mal einen Film zusammen schauen, das haben wir sehr vermisst.»
Cedric: «Kurz nach meinem 18. Geburtstag kam der Lockdown. Eigentlich hab ich mich mega gefreut. So: Jetzt gehts richtig los! Doch auf einmal war alles verboten. Das war eine harte Zeit.»
Ronja: «Als ich im vergangenen November 18 wurde, feierte ich mit meinen Eltern und meinem Bruder. Klar war das schön. Aber ich wäre auch sehr
gerne bei meinen Freundinnen gewesen.»
Cedric: «Wir hatten halt Pläne zusammen. In die Ferien fahren, keine Ahnung. Stattdessen sassen wir zu Hause.»
Ronja: «Das Rumsitzen macht einen wahnsinnig. Jetzt, wo wir volljährig sind, wo wir alles machen dürften, sind wir wie eingesperrt. Ich habe einfach Angst, dass es nicht mehr aufhört. Es fühlt sich an, als würden wir alles verpassen.»
Cedric: «Aber haben auch grosses Glück. Wir haben uns. Es gibt Freunde, die viel krasser alleine sind.»
Ronja: «Stimmt schon. Für Singles ist es sicher megaschwierig, jemanden kennenzulernen. Das ist schon hart. Man trifft sich ja gar nicht mehr.»
Ronja Keller (18), angehende Köchin; Cedric Buffat (19), Stromer-Lehrling
Ronja: «Wir sind jetzt zwei Jahre zusammen. Als Corona kam, durften wir uns fast drei Monate nicht wirklich sehen. Meine Eltern waren sehr vorsichtig. Ich war unglücklich.»
Cedric: «Wir haben uns dann einmal in der Woche getroffen und waren für ein, zwei Stunden spazieren. Sonst haben wir übers Handy gechattet und so.»
Ronja: «Mal einen Film zusammen schauen, das haben wir sehr vermisst.»
Cedric: «Kurz nach meinem 18. Geburtstag kam der Lockdown. Eigentlich hab ich mich mega gefreut. So: Jetzt gehts richtig los! Doch auf einmal war alles verboten. Das war eine harte Zeit.»
Ronja: «Als ich im vergangenen November 18 wurde, feierte ich mit meinen Eltern und meinem Bruder. Klar war das schön. Aber ich wäre auch sehr
gerne bei meinen Freundinnen gewesen.»
Cedric: «Wir hatten halt Pläne zusammen. In die Ferien fahren, keine Ahnung. Stattdessen sassen wir zu Hause.»
Ronja: «Das Rumsitzen macht einen wahnsinnig. Jetzt, wo wir volljährig sind, wo wir alles machen dürften, sind wir wie eingesperrt. Ich habe einfach Angst, dass es nicht mehr aufhört. Es fühlt sich an, als würden wir alles verpassen.»
Cedric: «Aber haben auch grosses Glück. Wir haben uns. Es gibt Freunde, die viel krasser alleine sind.»
Ronja: «Stimmt schon. Für Singles ist es sicher megaschwierig, jemanden kennenzulernen. Das ist schon hart. Man trifft sich ja gar nicht mehr.»