Eigentlich wissen wir es ja seit Jahrzehnten: Die Erwärmung der Atmosphäre gefährdet unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Und wie zuletzt bei der Hitze in Südeuropa wird uns immer häufiger vor Augen geführt, wie die Welt aussehen könnte, wenn wir den Ausstoss von Klimagasen nicht bremsen.
Dennoch ist der Klimawandel für viele Menschen viel zu abstrakt, kaum begreifbar. Nur die wenigsten passen ihr Verhalten an. «Menschen lernen häufig unwillig, langsam und oft so spät wie möglich», sagt der Sozialpsychologe Heinz Gutscher. «Und im Moment beherrschen Träumereien, Wunschdenken und Naivität das Feld.» Weshalb der Klimawandel auch häufig unterschätzt wird.
Verschiedene Strategien um Dissonanzen abzubauen
Ein Grund dafür, dass Menschen nicht handeln, ist die psychologische Distanz, sagt Jennifer Inauen, Assistenzprofessorin für Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin an der Universität Bern. «Auch wenn der Klimawandel näher rückt, ist er für viele doch noch in zeitlich recht weiter Ferne – insbesondere im Vergleich zu alltäglichen Bedürfnissen, die oft akuter wahrgenommen werden.» Oder umgekehrt: Wird die Klimaerwärmung in drastischen Farben geschildert, kann es zur inneren Lähmung kommen. Inauen, die auch Vizepräsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Gesundheitspsychologie ist: «Man ist hoffnungslos oder vermeidet die Information und wird nicht aktiv.»
Dann gibt es auch noch das Phänomen der sogenannten kognitiven Dissonanz. Dabei besteht ein Widerspruch zwischen einer Tatsache – in unserem Fall der Erderwärmung – und dem Verhalten einer Person, etwa klimaschädigenden Gewohnheiten wie häufigem Fliegen oder hohem Fleischkonsum. Solche Dissonanzen führen zu seelischer Anspannung; um sie abzubauen, nutzen Menschen verschiedene Strategien. Manche verleugnen das Problem, andere bagatellisieren es, manche rechtfertigen sich und verdrängen es gänzlich.
Immer mehr Menschen haben Angst vor dem Weltuntergang
Andererseits gibt es auch Menschen, denen die Vorgänge und Zusammenhänge schmerzlich bewusst sind – und die wegen der düsteren Zukunftsaussichten regelrecht in Panik verfallen. «Der Gedanke, dass die Welt zerstört wird und wir dies nicht verhindern können, kann starke Gefühle von Angst, Traurigkeit, Machtlosigkeit, Ärger, Wut und Hass auslösen», schreiben die Psychiaterin Valérie Chammartin und der Psychotherapeut Marc Grandgirard im Fachmagazin der Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen. «Wenn Symptome wie Angstzustände und Depressionen auftreten, kann dies erhebliche Folgen für das tägliche Leben haben.» Chammartin und Grandgirard werden in ihrer Praxis häufig von Menschen aufgesucht, denen es so geht. «Und es scheinen immer mehr zu werden.» Für diesen Zustand gibt es mittlerweile einen Begriff: Die «Collapsalgie» beschreibt den inneren Zusammenbruch durch Angst vor dem Weltuntergang.
Junge wenn möglich in Entscheidungen miteinbeziehen
Diesen Zustand erleben vor allem jüngere Menschen. «Sie werden stärker von der Klimaveränderung betroffen sein als ältere Menschen und können gleichzeitig weniger dagegen tun», sagt Inauen. Sie seien darauf angewiesen, dass Personen und Organisationen mit Macht aktiv werden. Die Psychologin: «Es geht hier also um starke Risikowahrnehmung bei relativ geringem Handlungsspielraum – verständlich, dass Betroffene frustriert sind.»
Umso wichtiger sei es, dass man ihnen Gehör schenke und sie, wenn möglich, in Entscheidungen einbeziehe. Wer mit solchen Ängsten zu kämpfen habe, könne auch versuchen, den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern, sich also zum Beispiel in Betrieben, Vereinen oder politisch fürs Klima zu engagieren. Und sich bewusst zu machen, dass Menschen nicht nur Teil des Problems sind – sondern auch der Lösung.