SonntagsBlick: Herr Schori, wie sah Ihr Leben aus, bevor Sie Projektleiter bei «Gefangene helfen Jugendlichen» geworden sind?
Ilias Schori: Zwischen meinem 9. und 23. Lebensjahr sehr intensiv. Ich war in sechs verschiedenen Heimen, drei geschlossenen Anstalten und insgesamt knapp ein Jahr im Jugendgefängnis. Auf der Strasse bestand mein Leben aus Gewalt, Drogenhandel, Drogenkonsum und Einbrüchen.
Wie hat die darauffolgende Zeit im Erwachsenenvollzug Sie persönlich verändert?
Ich schaffte es, mich zu reflektieren: Was habe ich für Fehler gemacht, was habe ich bei anderen mit meinen Delikten angerichtet? Auch meine Familiengeschichte habe ich für mich selber aufgearbeitet. Trotzdem war ich sehr einsam und hatte Fragen und Ängste wegen meiner Zukunft. Mich plagten schwere Depressionen, teilweise bis zu suizidalen Gedanken.
Was war für Sie der ausschlaggebende Punkt, der Kriminalität den Rücken zu kehren und jetzt sogar aktiv zu versuchen, Jugendliche von der schiefen Bahn abzuhalten?
In erster Linie das Pöschwies. Ich war ein Mensch, der einen Schlag ins Gesicht gebraucht hat – und das haben sie in der Haftanstalt geschafft. Will ich die paar Jahre, die man auf diesem schönen Planeten hat, wirklich hier drin verschwenden? Vor allem habe ich den Wunsch, mich und meine Familie stolz zu machen und glücklich zu leben, was man im Gefängnis definitiv nicht kann.
War es schwer für Sie, an die Öffentlichkeit zu treten und Ihre kriminelle Vergangenheit zuzugeben?
Am Anfang wollte ich nicht in die Medien. Ich hatte Angst davor, wie die Gesellschaft auf mich reagieren würde. In erster Linie habe ich mich für den Verein überwunden, damit unsere Arbeit bekannter wird. Ich habe Fehler gemacht, kann auch in der Öffentlichkeit dazu stehen und wurde dafür mit vielen positiven Reaktionen belohnt.
Was beinhaltet Ihre Arbeit im Verein «Gefangene helfen Jugendlichen»?
Vor allem Aufklärung auf Augenhöhe. Ich gehe in Schulen und erzähle über das Gefängnis, bringe es sozusagen in die Schule. Ich zeige den Jugendlichen, dass es nicht cool ist, dort zu enden, und dass das Leben nach der Haft nicht leicht ist. Wir organisieren auch Gefängnis-Rundgänge in echten Haftanstalten für Jugendliche, die mit einem Fuss schon auf der schiefen Bahn sind. Das soll nicht Angst machen, sondern ihnen aus nächster Nähe zeigen, dass das Gefängnis nicht so ist, wie es im Gangsterrap glorifiziert wird.
Ilias Schori (28) ist Projektleiter im Verein «Gefangene helfen Jugendlichen» und zeigt jungen Menschen bei Besuchen in Schulen auf, dass das Gangsterleben nichts mit dem Glamour und dem Lifestyle zu tun hat, der im Rap und in Filmen propagiert wird. Er weiss, wovon er spricht: Nach mehreren Aufenthalten in Jugendheimen und Jugendgefängnissen sass er 28 Monate in Haft, 17 davon in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf ZH. Dort begann er, seine Taten zu reflektieren, und entschied sich, mit seinen negativen Erfahrungen anderen zu helfen.
Ilias Schori (28) ist Projektleiter im Verein «Gefangene helfen Jugendlichen» und zeigt jungen Menschen bei Besuchen in Schulen auf, dass das Gangsterleben nichts mit dem Glamour und dem Lifestyle zu tun hat, der im Rap und in Filmen propagiert wird. Er weiss, wovon er spricht: Nach mehreren Aufenthalten in Jugendheimen und Jugendgefängnissen sass er 28 Monate in Haft, 17 davon in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf ZH. Dort begann er, seine Taten zu reflektieren, und entschied sich, mit seinen negativen Erfahrungen anderen zu helfen.
Es gibt viele Kinder, die eine schlimme Kindheit hatten, aber nur ein Teil davon wird kriminell. Wie kommt das?
Einer meiner Brüder musste auch in eine Pflegefamilie und wurde nicht kriminell. Bei mir war es anders. Wenn man zu Hause Probleme hat und gar nicht mehr auf seine Eltern hört, wendet man sich Randgruppen zu und versucht dort cool zu sein. Man macht ein, zwei Fehler, landet im Jugendheim und ist nur noch unter Seinesgleichen. Von da an ist es eine Abwärtsspirale, die schwer zu durchbrechen ist.
Das soziale Umfeld hat also einen Einfluss?
Es spielt eine sehr grosse Rolle.
Wie sollten Eltern sich denn verhalten, wenn ihr Kind schon in jungen Jahren straffällig wird?
Am besten ist, das Kind mit Gesprächen und Liebe abzuholen und nicht mit Gewalt. Ich wurde zu Hause aufs Gröbste geschlagen – das ist aber kontraproduktiv. Wenn es mit Gesprächen nicht klappt, sollten Eltern so früh wie möglich Hilfe von aussen herbeiziehen.
Im Kanton Zürich steigt die Jugendkriminalität seit vielen Jahren. Die Straftäter werden immer jünger und die Delikte gewalttätiger. Was ist der Grund dafür?
Einer sind sicher die sozialen Medien, wo Gewalt so behandelt wird, als würde man ins Café gehen und Kuchen essen. Auf Tiktok und Instagram ist Gewalt alltäglich, sie ist zum Wettbewerb geworden. Jugendliche prügeln sich wegen ihres Reviers oder angeblicher Ehre. Es ist ein Trend geworden. Die Gewalt wird auch immer intensiver. Früher hat man sich geprügelt, heute wird direkt zugestochen. Das hat sich massiv verändert in den letzten Jahren. Schulen sollten so früh wie möglich Prävention betreiben, damit der Trend mit den Waffen aufhört.
Wie sehen Sie die Rolle von Musik und Filmen, in denen Kriminalität glorifiziert und das Gangsterleben als etwas Erstrebenswertes dargestellt wird?
Die Glorifizierung ist da, und die muss man ernst nehmen. Schlimmste Wörter, Verherrlichung von Drogen und Gewalt, ein abschätziges Frauenbild – ich bin der Meinung, das alles hat einen sehr grossen Einfluss auf die Jugendlichen. In Videoclips kommen Waffen vor, als wäre es etwas völlig Normales. Würde es keine Social Media und keinen Gangsterrap geben, hätten wir deutlich friedlichere Abende.
Denken Sie, höhere Haftstrafen würden Jugendliche davon abhalten, kriminell zu werden?
Ich finde das angebracht. Der Riegel sollte auch schneller geschoben werden – aber nicht im Sinn von Wegsperren, sondern die Jugendlichen sollten wieder in die Normalität geführt werden und zum Beispiel die Möglichkeit bekommen, eine Lehre zu machen. Ich selber – ich gebe es ehrlich zu – hätte auch eine höhere Haftstrafe verdient.