Früherkennung von Tätern
Jährlich Zehntausende Verdachtsfälle von Gewalt

Der Amokläufer von Flums, Sascha I., hatte sich vorab auffällig verhalten. Trotzdem geschah die Tat. Ein Forensiker erklärt, wie die Behörden Täter erkennen.
Publiziert: 29.10.2017 um 20:26 Uhr
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Aktualisiert: 29.10.2021 um 11:47 Uhr
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Mit diesem Profilbild bewegte sich Amoktäter Sascha I. in den sozialen Medien.
Foto: ZVG
Reza Rafi

Sascha I. hat letzten Sonntag die Schweiz geschockt. Der 17-Jährige verletzte in Flums SG sechs Menschen mit einem Beil. Zuvor hatte der Amokläufer im Internet Signale gesendet, die ein gestörtes Verhältnis zu Gewalt und psychische Schwierigkeiten erahnen liessen. Das wirft in der Bevölkerung die Frage auf, wie viele potenzielle Täter im Land unterwegs sind. Und wie die Sicherheitsbehörden sie finden.

«Es gibt sehr, sehr viele Leute, die auffällig werden, aber nur sehr wenige, die zu Tätern werden»

Unter auffälligen Personen mögliche Täter zu erkennen, fällt in den Aufgabenbereich der forensischen Psychologen. Der prominenteste in der Schweiz ist Jérôme Endrass, Stabschef des Amts für Justizvollzug des Kantons Zürich. «Es gibt sehr, sehr viele Leute, die auffällig werden, aber nur sehr wenige, die zu Tätern werden», beschreibt Endrass die Herausforderung seines Jobs. «Was wir betreiben, ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.»
Und der Heuhaufen ist gross: Alleine im Kanton Zürich werden laut Endrass pro Jahr über fünftausend Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet; «dazu kommen Querulanz, Stalking oder Drohungen am Arbeitsplatz». Insgesamt, schätzt er, würden hierzulande «jährlich wohl Zehntausende Personen gemeldet, bei denen etwas nicht okay ist».

Angestiegen ist gemäss Endrass nicht die Gewaltbereitschaft der Leute. Aber: «Die Anzahl Meldungen an die Polizei hat deutlich zugenommen.» Das habe mehrere Gründe: «Man ist immer weniger bereit, ein Risiko einzugehen. Die Toleranz gegenüber Gewalt hat abgenommen», sagt Endrass.

«Wenn einer vor zwanzig Jahren seltsame sexuelle Präferenzen hatte, hat man das nicht gesehen.»

Ein anderer Faktor ist das Internet: «Wenn einer vor zwanzig Jahren seltsame sexuelle Präferenzen hatte, hat man das nicht gesehen. Jetzt hinterlassen solche Leute Spuren im Internet. Sie äussern sich auf Facebook oder liken was.»

Um den Behörden ihre Arbeit zu erleichtern, haben Endrass und sein Team ein Computerprogramm erarbeitet. «Das ist eine webbasierte Software. Die Konzeption ist fertig entwickelt, jetzt wird sie programmiert.» Endrass hofft, dass die Software möglichst breit aufgenommen wird. «Es gibt Gespräche mit anderen Kantonen.» An einer Konferenz wurde das Programm vorgestellt. Der Vorteil einer einheitlichen Vorgehensweise ist, dass alle nach denselben Standards arbeiten – sprich auf dieselben Risikomerkmale achten. Im Bedrohungsmanagement ist wichtig, dassman eine gemeinsame Sprache spricht.»

Endrass’ Fazit: «Der Bevölkerungsschutz ist so gut aufgestellt wie noch nie.»

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