Wessen Zukunft? Unsere Zukunft!», rufen die Schüler im Takt: Klimastreik am Freitag in Zürich, Zehntausende gehen auf die Strasse, wie überall in der Schweiz, wie überall in Europa. Ein angegrautes Paar, Typ Frührentner, steht wenige Meter vor der Demo. Grinsend machen sie ein Selfie vor den aufgebrachten Schülern. Das Gezeter der Jungen scheint sie nicht wirklich zu kümmern.
Die Klimafront verläuft entlang vieler Linien: links und rechts, Stadt und Land. Und nun klafft offenbar auch zwischen Jung und Alt ein Graben.
Die Jugend streikt und wirft den Senioren vor, sie hätten die Klimamisere verursacht. Der Nachwuchs ist zornig, weil sie der Schlamassel der Oldies ausbaden müssen. Die Älteren hingegen wettern, die Jungen liessen sich instrumentalisieren und wollten ansonsten nur die Schule schwänzen. In diesem Generationenkonflikt schenken Jung und Alt einander nichts. Und manches deutet darauf hin, dass der Graben tiefer wird.
Denn der Streit geht weit über das Klima hinaus. SonntagsBlick zeichnet die Verwerfungslinien nach und fragt: Gibt es keine Möglichkeit zur Versöhnung?
Knackpunkt Politik
«Dass die Jungen von den Alten politisch fremdbestimmt werden, ist seit dem 18. Jahrhundert ein Dauerthema», sagt François Höpflinger, Altersforscher der Universität Zürich. An der Herrschaft der Alten hat sich wenig geändert. Im Parlament ist jeder fünfte Politiker über 60-jährig, weniger als eine Handvoll ist unter 30. Vor allem an der Urne sind die Senioren eine Macht– zahlenmässig überlegen und fleissige Wähler. «Bei Abstimmungen zeigt sich oft das gleiche Bild», klagt der Dachverband der Schweizer Jugendparlamente. «Die Alten überstimmen die Jungen.» Dies sei vor allem bei knappen Abstimmungsresultaten der Fall, hat das Forschungsinstitut GFS herausgefunden. In der aktuellen Legislatur gewannen die Älteren praktisch jedes Geschäft.
Bei 30 Abstimmungen haben sich die über 60-Jährigen nur einmal nicht durchgesetzt, wie die «NZZ am Sonntag» nachgerechnet hat. Bitter für die Jungen: Gerade mit Umweltanliegen laufen sie auf. Sie waren für eine grünere Wirtschaft oder für die Abschaltung aller AKW. Doch sie machten die Rechnung ohne die Alten. «Die alte Generation hat immer schon versucht, die Jüngeren zu blockieren», sagt Soziologe Höpflinger.
Knackpunkt Renten
Hier kracht es richtig zwischen Jung und Alt! Sowohl die AHV wie die berufliche Vorsorge sind aus dem Gleichgewicht.
Und es wird immer ärger. Der Bund warnt, dass die Altersversischerung schon ab nächstem Jahr über ihren Verhältnissen lebt. Salomè Vogt von Avenir Jeunesse, dem Jugendforum des Thinktanks Avenir Suisse, sagt: «Als die AHV gegründet wurde, sah die Welt anders aus. 6,3 Arbeitstätige finanzierten einen Rentner. Heute sind es 3,4. Bald werden es noch weniger sein.» Bis 2035 droht ein 50-Milliarden-Loch! Statt eine Rente beziehen, heisst es für die Jungen: Schulden abzahlen.
Das gleiche Bild in der zweiten Säule: Um die Renten der heutigen Pensionierten zu decken, wird immer mehr Geld der Jungen benötigt. «Weil die Lebenserwartung gestiegen ist, reicht das angesparte Kapital nicht mehr bis ans Lebensende», so die Politologin Vogt.
Man müsste handeln – doch die Diskussion ist blockiert. Die Alten, die ein Leben lang einbezahlt haben, wollen nicht auf ihren gemütlichen und wohlverdienten Lebensabend verzichten. Damit vergrössern sie die Not der Jungen, die auch einmal in Rente gehen möchten.
Knackpunkt Gesellschaft
Kürzlich publizierte das Bundesamt für Statistik eine grosse «Erhebung zum Zusammenleben in der Schweiz». Die Beamten hatten gefragt, wo die Bevölkerung der Schuh drückt.
Wie die Auswertung durch SonntagsBlick zeigt, hegen viele Senioren krasse Vorurteile gegenüber ethnischen Minderheiten. Zwölf Prozent der über 65-Jährigen halten Dunkelhäutige für faul und gewalttätig. 19 Prozent sind grundsätzlich gegen alle Muslime. Und fast jeder vierte Senior – 22,5 Prozent – äussert sich klar antisemitisch: Juden seien grundsätzlich geldgierig und machthungrig.
Anders die Jugend. Die 15- bis 24-Jährigen stimmten keinem dieser Vorurteile mit mehr als fünf Prozent zu. Fremdenfeindlichkeit sei oft verbunden mit gesellschaftlicher Verunsicherung und ältere Menschen seien nun mal verunsicherter als junge, erklärt Altersforscher Höpflinger: «Sie vergolden das Vergangene und fürchten sich vor der Zukunft.»
Knackpunkt Wohnen
Während junge Paare und Familien verzweifelt nach Wohnraum suchen, lebt ein Drittel der über 60-Jährigen in einem Einfamilienhaus und bleibt dort bis ins hohe Alter. Die Senioren konzentrieren Wohneigentum und Kapital in ihren Händen. Das zeigt der wiederkehrende «Age Report», dessen Ko-Autor François Höpflinger ist. «Wir haben im Rentenalter stark untergenutzten Wohnraum», so der Altersforscher. «Viele alte Leute sagen, sie hätten mehr Platz, als sie brauchen.»
Die Kinder sind ausgeflogen, die Eltern bleiben im viel zu gross gewordenen Zuhause zurück. Die Gründe sind nachvollziehbar: Man ist verbunden mit Haus und Nachbarschaft, und zu viele Zimmer zu haben, ist kein wirkliches Problem. Ausserdem bedeutet ein Umzug meistens einen höheren Mietzins – erst noch für weniger Zimmer. Das Resultat sind ganze Siedlungen, die zusammen altern. «Und gleichzeitig wird bezahlbarer Wohnraum für die Jungen immer knapper», sagt Höpflinger.
All diese Konflikte schwingen am verregneten Klimastreik in Zürich mit. Die Jugend marschiert weiter. Das ältere Paar hat sich unbeeindruckt davongemacht.
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