Martina S. fährt seit 30 Jahren unfallfrei Auto – nun droht überraschend Ausweisentzug
«Plötzlich macht mich der Staat zu einer Behinderten»

Das Berner Strassenverkehrsamt verweigert Martina S. die für ihren neuen Job notwendige Bewilligung und droht damit, ihr den Ausweis gleich ganz abzunehmen. Trotz 30 unfallfreien Jahren wird ihre Fahrtüchtigkeit wegen eines Geburtsdefekts infragegestellt.
Publiziert: 01.08.2024 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 01.08.2024 um 08:35 Uhr
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Das Berner Strassenverkehrsamt zweifelt an der Fahrtüchtigkeit von S. und will ihr womöglich sogar den Ausweis abnehmen – obwohl sie seit 30 Jahren unfallfrei ist.
Foto: zVg
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Gina KrücklReporterin

Martina S.* (52) aus Meinisberg BE wollte am 1. August eine neue Stelle antreten: Sie hätte behinderte Kinder in die Schule chauffieren und wieder abholen sollen. Doch das Berner Strassenverkehrsamt (SVSA) verweigert S. die Bewilligung, die sie für den Job braucht. Warum, versteht die Bernerin nicht: «Es ist absolut hirnrissig.» Sie sagt zu Blick: «Plötzlich macht mich der Staat zu einer Behinderten. Warum kreieren sie ein Problem, wo keines ist?»

Das Nicht-Problem: S. kam mit einer Fehlbildung ihres rechten Beines zur Welt, eine Fibula-Aplasie. Dank mehrerer Operationen als Kind lebt sie wie jeder andere gesunde Mensch auch. «Ich musste nur darauf achten, dass ich nicht zu lange stehe. Sonst hat mich mein Bein nie eingeschränkt», erzählt S.

Autofahren als Hobby und als Job

So fährt Martina S. seit 32 Jahren Auto. Da ÖV-Reisen für sie schnell anstrengend sind, geht S. fast überall mit dem Auto hin. «Pro Monat fahre ich rund 3000 Kilometer. Ich trage dabei eine Schiene, dank der ich problemlos die Pedale bedienen kann.» Unfallfrei – abgesehen von einem kleinen Auffahrunfall 1994. S. macht sogar freiwillig Zusatz-Fahrkurse. «Es macht Spass, in einem sicheren Rahmen die Grenzen auszutesten. Und ich fahre einfach gern Auto.»

Umso mehr freut sich S., als ihr die neue Stelle angeboten wird: «Der Job wäre perfekt gewesen.» Zum einen, weil sie in den letzten Jahren vermehrt Probleme mit dem vielen Stehen in ihrem Detailhandel-Job hat. Deswegen erhält sie seit zwei Jahren von der IV eine Dreiviertelsrente. Hauptsächlich aber, weil sie mit Kindern zusammenarbeiten kann, die sich in einer ähnlichen Situation wie sie befinden. «Ich hätte ihnen zeigen können, dass man auch mit einer Behinderung sein Leben selbst bestimmen kann.» 

Ausweis-Entzug droht

Doch das SVSA bockt. Für ihren neuen Job benötigt S. die sogenannte «Bewilligung 122», die den berufsmässigen Transport von Schülern und kranken oder behinderten Personen erlaubt. Aber: Die Fahrtüchtigkeit von S. konnte bei der angeforderten, ärztlichen Untersuchung «nicht bestätigt» werden, findet das SVSA. Es beruft sich dabei auf die eine Verordnung, laut der Führerausweis-Inhaber «keine Missbildungen» haben dürfen, «die nicht durch Einrichtungen genügend korrigiert werden können». Oder einfach gesagt: Das Amt glaubt nicht, dass S. dank ihrer Schiene sicher Autofahren kann. Obwohl sie das seit 30 Jahren tut.

S. ist schockiert: «Mein Bein war beim Autofahren nie ein Thema. Alle meine Fahrlehrer und Fahrkursleiter wussten davon, keiner sah darin ein Problem.» Innert 30 Tagen soll S. zu einem zweiten Arzt – das SVSA droht sogar mit Ausweisentzug. Verunsichert geht S. zum zweiten Doktor. «Er meinte, ich werde die Bewilligung wohl nicht erhalten und meinen Ausweis verlieren», erzählt S. «Er sagte, meine einzige Chance sei ein dritter Arztbesuch, diesmal bei einem Neurologen.» Das würde S. bis zu 1700 Franken kosten. Für die zwei bisherigen Ärzte hat sie bereits 600 Franken ausgegeben. Viel Geld für jemanden, der auf eine IV-Rente und Ergänzungsleistungen angewiesen ist.

Das sagt das Strassenverkehrsamt

Auf Anfrage betont Stefan Rupp, Abteilungsleiter beim SVSA, dass im Fall von Martina S. bislang noch nichts entschieden ist. Er sagt allerdings, dass der zweite Arzt die Fahreignung von S. nur unter Auflage der neurologischen Untersuchung bestätigt. Aufgrund des laufenden Verfahrens will Rupp nicht über die Wahrscheinlichkeit eines Fahrausweis-Entzugs spekulieren. Aber: «Die Fahreignung muss jederzeit gewährleistet sein. Ein befristeter oder unbefristeter Entzug kann grundsätzlich jeden betreffen.»

S. rechnet nicht mehr damit, die «Bewilligung 122» zu erhalten. Ihren neuen Job wird sie am 1. August nicht antreten. Doch sie kämpft weiterhin um ihren Führerausweis. «Ohne Auto bin ich zu Hause eingesperrt. Ich könnte wohl nicht mal mehr arbeiten, da das Pendeln mit dem ÖV zu anstrengend wäre.» Sollte sie ihren Ausweis verlieren, müsste sie bei der IV ein extra für sie umgebautes Auto anfordern. «Was das den Steuerzahler wohl kosten würde?»

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